SIEBENUNDSECHZIG - ICH

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Wovor hast du eigentlich Bammel?

Ich meine, die eine extreme Angst vor bestimmten Objekten oder Situationen.

Weisst du, welche ich damit meine? Die eine, bei der du fast in die Hosen machst. Bei der du Zähneklappern in der dunkelsten Ecke stehst und hoffst, dass alles so schnell wie möglich vorbeigehen wird.

Spürst du das Kribbeln unter der Haut? Und nicht zu vergessen, die schlottrigen Beine.

So ergeht mir jetzt, abermals habe ich mein Notizbuch aufgeschlagen und bin abermals jeden Punkt durchgegangen.

Gestern Nacht habe ich mich in meinem Bett gewälzt und nur immerzu geseufzt. Meine Augen habe ich kaum zugebracht und sobald sie vor Müdigkeit entfielen, weckte mich schlagartig der Gedanke. «Habe ich alles?» «Irgendetwas muss doch noch ich vergessen haben?»

Heute Morgen bin ich schon vor Wecker klingeln wach. Der langersehnte Tag ist da! Wie lange haben wir darauf hingearbeitet, wie viel etliche Stunden mussten wir warten.

Und jetzt habe ich Schiss, aber ziemlich.

Zum einen habe ich bis dato erfolgreich das Thema Transplantation von Knochenmark oder Stammzellen auf die sehr lange Bank geschoben. Ich möchte fast sagen ignoriert, jedoch passt die Definition in diesem Aspekt nicht. Ich wurde nie damit konfrontiert, warum denn auch. Deswegen habe ich recherchiert, viel recherchiert. In jeder freien Minute, die ich mir freischaufeln konnte.

Und zum anderen habe ich so verdammt davor zu scheitern. Wir setzen alles aufs Spiel. Wenn es mir nicht gelingt, habe ich seine Hoffnungen zerstört und sein Wunsch unerfüllbar bleibt.

Ich stütze mich mit den Händen auf dem Waschbecken ab und sehe in den Spiegel.

Je näher das Event rückt, desto schwerer wird die Last auf meinen Schultern. Eine Träne löst sich aus meinem Augenwinkel und ich wische sie sofort mit dem Handrücken ab.

«Ich muss stark sein!», motiviere ich mich selbst. «Ich muss stark für ihn sein.»

Der Wecker klingelt schon wieder - das Zeichen, mich auf den Weg zu machen.

Statt das Taxi nehme ich dieses Mal die Subway, denn an der Ecke Eight Avenue und 43th sind die Strasse mit Sightseeing-Bussen und Taxen vollgestopft. Ein rechtzeitiges Durchkommen mit dem Taxi kann also nicht gewährleistet sein.

Wie du merkst, habe ich meine Anfahrt ebenfalls auf die Minute genau geplant. Unpünktlichkeit liegt mir ganz und gar nicht und ich kann es nicht besonders ertragen.

Ich werde regelrecht nervös, sobald ich merke, dass ich zeitlich knapp dran bin.

Jedenfalls überspringen wir die langweilige Bahnfahrt mit der Subway. Du bist mir hoffentlich nicht böse, oder?

Dann bin ich langsam die Treppe von der Subway-Station zum Krankenhaus hinaufgestiegen, ohne den Blick von den Stufen zu heben. Als ich kurz innehalte und meinen Blick aufrichte, trifft es mich sage und schreibe der Schlag. Volle Kanone ins Gesicht sagt man das so? Ach, keine Ahnung. Ich bin sprachlos. Nein, ich übertreibe wirklich nicht. Das haut mich im wahrsten Sinne des Wortes aus den Socken!

Bevor wir mit unserer Kampagne dann auf Social Media gestartet sind, haben wir uns Gedanken darüber gemacht, damit wir vor Ort einen Wiedererkennungswert müssen.

Sprich - wir müssen die Menschen erkennen, diejenigen die an der Spendenaktion teilnehmen und die wahren Helden des Tages sind.

Während der ganzen Zeit ging mir eines nicht aus dem Kopf, denn heute muss einfach der Tag der Hoffnung sein. Warum wollen wir das nicht symbolisieren, oder in irgendwelcher Form festhalten? Mir fiel es dann wie Schuppen vor den Augen, als ich im Büro eine giftgrüne Tasse in der Hand hielt.

Nicht ohne Grund wird die Farbe Grün als Hoffnungsträger in der Literatur beschrieben.

Deshalb war es sofort glasklar, dass jeder Spender etwas Grünes tragen muss. Es soll auf keinen Fall Pflicht sein, es war eher als Gage gedacht. Ja, Gag ist gut.

Ich weiss nicht, wie viele Menschen mit einem auffallenden grünen Kleidungsstück nun vor mir sind. 50, 100 oder sogar 200?

Verdammt, und jetzt ist mein Zeitplan hinüber! Wie soll ich denn jetzt innerhalb von 10 Minuten nun zum Krankenhaus gelangen?

Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als mich durch die Menge zu drängeln, drehe mich, um mich seitlich durch die engen Zwischenräume zwischen den Menschen zu zwängen.

«Darf ich bitte vorbei!» «Entschuldigung!» «Sorry!» «Ich muss ehm durch!»

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt