•ACHTUNDDREISSIG - ER•

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Ich liege auf meinem Bett, habe die Decke bis zum Kinn hochgezogen, starre zur Decke und warte. Worauf? Auf eine Eingebung, einen Herzinfarkt, vielleicht darauf, dass jemand mich rettet.

«Hey Bro!», dröhnt eine dunkle Stimme aus der Tiefe.

Ich habe die unter einer Kapuze verborgene Gestalt nicht kommen sehen, seine Schritte nicht gehört.

«Was zur Hölle machst du hier?»

Eine Weile liege ich still und lausche. Kein Geräusch dringt an mein Ohr. Nichts, was mir Aufschluss darüber gebe kann, was gerade passiert.

«Sag du's mir», sagt die Stimme und jemand springt schwungvoll auf Simons Bett.

«Ich ... dachte, du wärst tot!», stammle ich und betrachte meinen besten Freund Simon mit grossen Augen.

Seine Wangen bedecken dunkle Bartschatten, als hätte sich Simon seit ein paar Tagen nicht rasiert. Völlig fasziniert betrachte ich seine Haare, die er zu einem beidseitigen Undercut trägt. Die verbliebenen Haarstreifen in der Mitte hat er zu einem Zopf zusammengebunden.

«Warum?», fragt er schliesslich mit ruhiger Stimme. «Ich bin nicht tot, solange du jeden Tag an mich denkst, Lou.»

Einige Mal atme ich tief durch und reibe mir die Augen, ich vermag es nicht zu glauben, wer neben mir liegt. Es ist keine Täuschung der Fantasie.

«Ich musste dich einfach wiedersehen.»,

offenbart Simon grinsend und ich glaube

seinen Worten kaum.

«Nun komm schon, was hast du mir zu sagen? du bist nicht ohne Grund zurückgekehrt.»

«Erinnerst du dich noch an unser Versprechen?»

«Was für ein Versprechen?»

«Das unausgesprochene Versprechen zusammenbleiben, egal was passiert?»

Ich zucke mit den Achseln. «Daran kann ich mich nicht erinnern...», erwidere ich.

«Wie denn auch? Schliesslich war es auch ein unausgesprochenes Versprechen.», erklärt mein bester Freund und räkelt sich auf.

«Okay, gut, was haben wir uns also nicht gesagt?»

«Wir waren uns einig, loyal zu sein. Wir schworen uns dieses verdammte Drecksloch gemeinsam nicht als Freunde, sondern als Brüder zu verlassen...»

«So ein Scheiss. Du fantasierst dir alles aus dem Stegreif zusammen, Simon.»

«Dir ist schon klar, dass du mit einem Toten sprichst?! Ich glaube du fantasierst dir eine Menge zusammen.»

Ich will noch etwas sagen, doch ich bringe kein Wort mehr heraus.

«Du hast Scheisse gebaut, Walker. Mehrfach.»

«Hab kein' Scheiss gebaut.»

«Doch hast du! Begreifst du eigentlich, wie es um dich steht? Du kannst nicht einfach den Kopf in den Sand stecken und abwarten.»

«Und du brauchst nicht zu denken, dass du die Weisheit mit dem goldigen Löffel gefressen hast! Also, sag schon, was ich angestellt habe, Mister Oberschlau!»

«Man sollte nie jemanden wehtun - nicht ohne Grund.»

«Sag mal, was willst du mir eigentlich damit sagen. Soll ich jetzt vor dich hinknien, dich anbeten oder was? Worauf willst du hinaus?»

«Du willst also die Wahrheit wissen. Na gut! Du bist ein verdammtes Arschloch, Louis. Ich glaube, Mona hat sich in dich verliebt! Oder besser gesagt sie war wohl auf besten Weg dazu.»

«So ein Quatsch. Was erzählst du da?»

«Wer denkt denn hier ständig nur an die gleiche Person?»

Ich spiele den Ahnungslosen und sage nichts. Auch Simon schweigt. Mein Gehirn beruhigt sich, mein Atem geht gleichmässiger und ich spüre das Blut, wie es in den Adern pulsiert. Und glaub mir, ich wehre mich mit jeder Faser meines Körpers gegen sie, doch umso mehr ich dagegen kämpfe, desto mehr will ich Mona.

Ihre Reh Augen und diese wunderschön geschwungenen Lippen machen mich nervös.

«Du musst um sie kämpfen, Lou. Unter allen Umständen. Wenn du Mona jetzt gehen lässt, wirst du vielleicht nie wieder eine Frau wie sie treffen.»

«Ich kenne sie nicht einmal.", trotze ich genervt. Zum ersten Mal klinge ich nicht wie ein arroganter Mistkerl. Da liegt sogar etwas wie Betroffenheit in meiner Stimme.

Er zögert. Und für einen Moment denke ich, dass dieses Gespräch mit Simon real ist. Zumindest fühlt es sich so an. Bevor er aufsteht, drückt er mir ein Buch in die Hand.

«Du lernst einen Menschen erst so richtig kennen, wenn du siehst, wie er mit Schwächen umgeht.», meint er und nimmt ein Buch von meinem Nachtisch.

«Gibt es etwas, was ich tun kann, um dich als Schriftsteller zu überzeugen, Louis Walker?

Denn das Schreiben ist mein ganzer Lebensinhalt. Und mit dem, was du hier drin liest, will ich dir einen Einblick in meine sonst so verkorkste Welt gewähren.

PS: Nur, weil du einmal abgehauen bist, bist du nicht der Retter der Welt. M'»,

liest mir Simon vor.

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt