SECHSUNDSIEBZIG - ICH

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Marilyn Monroe hat mal gesagt, dass alles aus einem bestimmten Grund passiert. Die Menschen verändern sich, damit du lernst, loszulassen, die Dinge gehen schief, damit du sie zu schätzen weisst, wenn du recht hast, du glaubst Lügen, damit du schliesslich lernst, niemandem ausser dir selbst zu vertrauen, und manchmal fallen gute Dinge auseinander, damit bessere Dinge zusammenfallen können.

Der erste Teil stimmt jedenfalls. Doch oft erkennt man diese Gründe erst später oder wenn dann gar nicht mehr.

Anstelle eines Fluges in meine wunderschöne Heimat, habe mich auf dem schnellsten Wege ins Krankenhaus gemacht. Die Zeit hat gedrängt. Während der Fahrt hat mir Patric alle notwendigen Dokumente der Stammzellentransplantation per E-Mail zukommen lassen. Ich hatte mir zu diesem Zeitpunkt keine allzu grossen Gedanken wegen dem anstehenden Eingriff und deren Nebenwirkungen gemacht. Ich wollte nur eines: helfen und das so schnell wie möglich.

Irgendwann mal ein Menschenleben retten zu können, dass stand jedenfalls nie auf meiner Bucket Liste. Ich war ein Schisshase und wägte jedes Risiko genaustes ein. Im schlimmsten Fall zog ich vor dem vermuteten Ereignis die Reissleinen, vielleicht aus Angst oder Verzweiflung. Besser gesagt, war es eine Mischung aus beiden.

Ich hätte nie im Leben damit gerechnet, dass ich völlig unerwartet vor dieser Entscheidung stünde. Jetzt noch eine Pro und Contra Liste aufzufüllen, erschien mir aussichtslos.

Ich nahm das Risiko bewusst in Kauf - und das zum allerersten Mal in meinem sonst so strukturiertem Leben! Ein weiteres Highlight, das nächste Highlight stand mir noch vor.

Weil die Zeit ziemlich drängte, hatte ich mich schlussendlich für eine zweistündige Operation unter Vollnarkose entschieden. Bei diesem Eingriff werden mit Nadeln ca. 1 Liter Knochenmark gemischt mit Blut aus meinen Becken entnommen. Die andere Methode würde viel zu lange dauern und man würde sehr viel Blut sehen, was für ein absolutes No-Go gewesen wäre.

Innerhalb von wenigen Stunden lag ich dann im Operationssaal. Eiserne Kälte fegte über meinen Körper und drang in meinen Kopf ein, als die Ärztin eine Maske auf mein Gesicht drückte und mir sagte, ich solle bis 10 zählen. Ich kam bloss auf drei, bevor ihr Gesicht verblasste, ich mich auf die Metallplatte fallen liess und erschöpft die Augen schloss.

Was danach passierte, kann ich dir bis jetzt nicht beantworten. Jedenfalls hatte ich einen Tag später das Krankenhaus verlassen, hatte mich in den nächsten Flieger gesetzt und war wieder daheim, in der Schweiz.

Sofie musste ich über meine - ich sag's mal halsbrecherische Aktion informieren. Im ersten Moment fand sie es nicht so besonders, weil sie es kaum erwarten konnte mich nach so einer langen Zeit wiederzusehen, was ich absolut nachvollziehen konnte.

Wenige Tage später stand sie dann voller Vorfreude in der Empfangshalle des Flughafens Zürich und musste wegen eines technischen Defektes am Triebwerk wieder etwas länger warten. Und dann war der Moment gekommen, als ich hundemüde ihr strahlendes Gesicht unter den wartenden Menschen entdeckte. Freudig rannte Sofie zu mir, als sie mich sah und umarmte mich stürmisch.

«Home sweet home, my Mona! I hope you had a nice flight!», sagte sie auf Englisch mit einem starken Schweizer Akzent, was mich zum Schmunzeln brachte.

Statt auf direktem Wege nach Hause zu fahren, hatten Sofie und ich einen Abstecher zu meinem Lieblingsplatz am Bodensee gemacht.

Wir besuchten den Schiffsanlegesteg in Altnau. Mit seiner einzigartigen Länge von 270 Metern macht ihn das zum längsten Steg am gesamten Bodensee.

Mir bereitet es jedes Mal so grosse Freude über den Steg zu schlendern und etwa in der Mitte in den See zu springen, sofern die Wassertemperaturen mindestens über 20 Grad waren. Vor meinem Durchbruch als Autorin verbrachte ich etliche Stunden hier. Zum einen genoss ich die herrliche Aussicht, zum anderen hatte ich mit dem Laptop auf meinem Schoss und schrieb. Einfach, solange bis ich kein Akku mehr hatte, was zu meinem Bedauern regelmässig eintraf.... Leider.

Als wir dann endlich eine Sitzgelegenheit ergattern konnte, hatte ich Sofie mein Herz ausgeschüttet. Und hin und wieder nahm mich Sofie in den Arm, weil mir Tränen über meine Wangen rollten.

Louis war wie mit einem Brenneisen in mein Herz eingebrannt worden und ich werde wohl mehrere Monate brauchen über ihn hinwegzukommen.

*6 Monate später*

«Man braucht immer mehrere Anläufe, um ans Ziel zu kommen - jedoch muss man immer dranbleiben.»

Nach langem Warten habe ich es doch noch geschafft die Fortsetzung von Shadow Light zu schreiben beziehungsweise gemeinsam mit Paper Heart zu veröffentlichen.

Während meines Aufenthaltes in der Schweiz hatte ich dann alle Entwürfe über den Haufen geworfen und wollte alles von Grund neu aufschreiben. Das, was ich zuvor geschrieben hatte, entsprach nie der Wahrheit. Also besuchte ich regelmässig den Steg und schrieb drauflos.

Ich wollte etwas Neues schaffen, wovon ich erzählen konnte. Etwas, was tief aus dem Innersten meines Herzens kam und wahrhaftig war.

Und jetzt ist es vollbracht! Und es ist so ein unglaubliches Gefühl das frischgepresste Buch ENDLICH in den Händen zu halten und daran zu riechen. Ja, ich liebe den Duft immer noch!

Und heute Abend ist der grosse Moment, an dem Paper Heart und ich Shadow Light - Widerstand vorstellen werden. Natürlich kann ich es kaum erwarten und ich freue mich riesig darüber, hier im grössten Theatersaal am Broadway eine Lesung abzuhalten.

Und wenn du denkst, dass ich in der Zwischenzeit nie an Louis gedacht habe, liegst du komplett falsch.... Während dem Schreiben habe ich bloss an ihn gedacht und ich wünschte mir so sehr ihn an meiner Seite zu wissen.

Das Tragischste an allem, ich weiss überhaupt gar nicht, ob er noch am Leben ist oder schon längst tot ist. Dieser Gedanke trifft mich schwer.

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt