Kapitel 5

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- Wut ist wie ein scharfes Gewürz. Eine Prise hält dich wach, zu viel trübt einem die Sinne. –

Ich wischte meine schweißnassen Hände an meiner Hose ab. Zu sagen ich wäre nervös, wäre untertrieben. Alec schnappte sich gerade seine Schultasche und rückte vor dem kleinen Spiegel im Flur seinen Beanie zurecht. Die Mütze trug er, um die Ohrstöpsel zu verstecken, und ich musste sagen, es funktionierte verdammt gut. Dennoch sah ich meinen Bruder unsicher an. Er schien meinen Blick zu spüren, denn er blickte vom Spiegel aus zu mir und schenkte mir ein sanftes Lächeln. Dabei sah er vor wenigen Sekunden noch aus, als würde er sein Spiegelbild mit seinem Blick töten wollen. Als wollte er mir sagen ich soll mir den Kopf nicht dermaßen zerbrechen. Doch wie konnte ich den Abend in seinem Zimmer oder seine eigenartigen Gefühlsänderungen vergessen? Vielleicht war ihm diese Szene nicht im Kopf geblieben, immerhin schien er nicht er selbst gewesen zu sein. Trotz dessen wirkte er zuversichtlich, versuchte es zumindest. Ich dagegen war ein nervliches Wrack und das sah man mir auch an. Es konnte so viel schief gehen. Abgesehen davon, dass es meinem Zwilling schlagartig wieder schlechter gehen könnte - noch schlechter.

Deshalb hatten wir auch gestern noch versucht, unserer Oma zu erklären, dass die Lösung mit der Brille und den Stöpseln nur übergangsmäßig funktionieren würde. Aber die bereits in die Jahre gekommene Frau, war der Meinung, dass wenn Alec nun eine Lösung gefunden hatte, er auch wieder in die Schule gehen könne. Mein Zwilling gab sein bestes unserer Oma zu erklären, dass er im Unterricht die Brille bestimmt nicht tragen dürfte und somit seine Kopfschmerzen zurückkommen würden.

Dies war der einzige Moment, an dem meine Oma kurz still blieb und in uns die Hoffnung aufstieg, sie würde es sich anders überlegen. Doch die Hoffnung starb als sie festlegte, sie würde in der Schule anrufen und Bescheid sagen, dass Alec die Brille nicht abnehmen dürfte und dies auch von seinem Arzt angeordnet wurde. Hoffentlich klappt alles, wie Oma es sich vorgestellt hatte.


Vom Schicksal geführt machten wir uns gemeinsam auf den Weg ins Bildungsgefägnis. Meine Oma war ein herzensguter Mensch, aber wenn es um die Schule ging, hatte sie kein Erbarmen. Denn Bildung stand bei ihr an erster Stelle. Immerhin sollte aus uns später etwas werden. Ich konnte ihre Ansicht voll und ganz nachvollziehen, jedoch war es in der derzeitigen Situation eher ungünstig.
"Lia, mach dir nicht so viele Gedanken. Es wird schon schief gehen. Im Notfall lass ich mich von der Krankenschwester nach Hause schicken. Aber mir geht es schon viel besser, weil ich gestern Nacht halbwegs schlafen und mich erholen konnte. Abgesehen davon macht die Sonnenbrille alles viel erträglicher.", versuchte mein Zwilling mich – ein weiteres Mal an diesem Tag – zu beruhigen. Prüfend sah ich dem braunhaarigen Jungen neben mir ins Gesicht. Lächelnd schob mich Alec durch die offenen Türen des Haupteingangs, woraufhin wir sofort von unseren Freunden empfangen wurden. Mein Bruder musste Rede und Antwort stehen und wurde in die Arme geschlossen, da sich jeder freute, ihn gesund wieder zu sehen. Anfangs schlug sich Alec sehr gut, versteifte sich jedoch zunehmend und ich merkte, wie er sich immer mehr versuchte, etwas von der Gruppe zu distanzieren. Er hatte seine Hände zu Fäusten geballt, sein Rücken war vollkommen angespannt. Insgesamt sah er ganz so aus als würde er gleich zerreißen. Den anderen fiel diese Tatsache nicht auf, da sie bereits in verschiedenste Gespräche versunken waren. Ich stellte mich neben Alec. "Was ist los?" Alec nahm eine andere Haltung ein und verdeckte mit seiner Hand seine Nase. "Ich ... ich weiß nicht. Es stinkt hier unheimlich. Ich rieche Schweiß, Deo und deine Hautcreme. Einfach alles", kam es leise knurrend aus ihm heraus. Ich riss die Augen auf. Oh, verdammt.

Angestrengt dachte ich nach. Wie soll man dagegen etwas tun? "Oh, Gott, Lia, ich halte das nicht aus", gequält verzog mein Bruder sein Gesicht. "Gibt es einen Geruch, der dich nicht so stört?", fragte ich ihn verzweifelt. Wir hatten es noch nicht einmal in Klasse geschafft. Alec hielt inne. Ich merkte, wie er seine Hand von seiner Nase etwas entfernte und einen tiefen Atemzug nahm.

Patriam Academy - Das Erwachen der Wölfe, Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt