Kapitel 9

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- Das Böse ist des Menschen beste Kraft. –

(Friedrich Nietzsche)


*Währenddessen an einem anderen Ort*

Die Sonne sank hinter die von Eichenbäumen bedeckte Weiten des Waldes, welcher dieses kleine Kaff umschloss. Der nun in orange getauchte Natur begann, sich in den für diese Umgebung typischen Nebel zu legen. Dies ließ die ganze Atmosphäre schlagartig umschwenken. Wie der flüssige Tod höchstpersönlich schlängelten sich die Nebelschwaden langsam und unheilbringend durch die Baumstämme an dem von Moos bedeckten Waldboden entlang. Ohne Rücksicht verschlangen sie sämtliche gefallene Blätter sowie Stöcke und was sonst noch auf dem Boden verweilte.

Wieder hatte Mutter Natur etwas geschaffen, das man perfekt nutzen konnte. Mit dem Nebel zu wandeln verlieh einem unheimlich viele Möglichkeiten. Auch dieses Mal würde ich dieses von der Natur gegebene Geschenk nutzen – natürlich zu meinen Zwecken. Es kam nicht selten vor, dass ich aus dem Nebel heraus agierte. Unerwartet, schnell und vor allem tödlich.

Ich entließ den Rauch aus meiner Lunge. Sanft umspielte er meine Lippen, die zu einem boshaften Grinsen verzogen waren. In kleinen Wölkchen stieg er in die nun langsam abkühlende Nachtluft. Mein Blick fiel auf meine rechte Hand, in der sich die Zigarette befand. Schlechte Angewohnheit, das wusste ich. Doch einen Ersatz hatte ich bis jetzt nicht gefunden. Außerdem schadete es mir sowieso weniger als den üblichen Nutzern dieses Suchtmittels.

Perfekt passend zu meiner derzeit bereits strahlenden Laune, da ich den Auftrag hatte, diese Bälger zu beobachten, begann der Himmel über mir sich zu leeren, ein genervtes Seufzen meinerseits folgte. Ich liebe den Regen. „Es begann tatsächlich zu regnen.", dachte ich augenverdrehend. Mit einem genervten Knurren ließ ich den Rest des Glimmstängels zu Boden fallen und trat ihn mit meinen Fuß aus, während ich mein Handy aus meiner Hosentasche fischte, welches Zeitgleich zu vibrieren begann.

Als ich sah wer störte, hob sich meine Laune erneut in beachtliche Höhen. „Ja?", bellte ich in den Hörer und zog mir die Kapuze meines langen schwarzen Mantels über den Kopf. Klischeehaft, jedoch effektiv. Schwarz war nun mal nachts die beste Tarnung.

„Wie sieht's aus? Etwas Interessantes gefunden?", fragte der Mann in monotoner Tonlage. Vermutlich saß er sich gerade in diesem Moment seinen breiten, faulen Arsch hinter seinem Schreibtisch platt – in der einen Hand einen teuren Scotch, in der anderen eine Zigarre – während ich hier im Regen stand. Die Wut darüber, dass ich gegen die aktuelle Situation und vor allem meine Position nichts tun konnte, ließ meine Fingerspitzen kribbeln. Ich ballte meine Hand zur Faust.

"Hätte ich dann nicht bei meinem großartigen Boss angerufen, um Bericht zu erstatten?", gab ich ihm entnervt zurück und umschloss das Telefon in meiner Hand fester. Was sollte man bei diesen Nervensägen groß finden? Langsam machte ich mich erneut auf den Weg zu dem Haus mit dem kleinen weißen Gartenzaun.

"Weißt du, du solltest mir endlich etwas liefern oder wir beide wissen was geschehen wird", kam es von der anderen Seite, deutlich unzufrieden mit meinen Ergebnissen und meinem Verhalten. Gedanklich verfluchte ich diesen gestörten, jedoch leider außerordentlich mächtigen Mann.

Gegen meine Natur brummte ich eine, definitiv nicht ernst gemeinte, Entschuldigung und legte auf. Auch dieses Verhalten würde ihm nicht gefallen, was er mir nicht durchgehen lassen würde.

Doch meine Nerven waren mehr als strapaziert. Immerhin folgte ich Kindern und durfte mir deren Probleme sowie andere Dinge in ihrem Leben näher ansehen. Nur weil er irgendwelche potentiellen Versuchskaninchen für weiß Gott welche Gräueltaten suchte.

Ich war nicht außerordentlich zart besaitet, doch die Schreie der bereits gefundenen Kinder verfolgten mich sogar im Schlaf.

Zweige knackten unter meinen Schuhsolen. Der Regen prasselte immer heftiger auf mich herab, weshalb ich vollkommen durchnässt an dem Haus ankam. Weil ich wusste, dass die schrullige, alte, mir ziemlich suspekte Oma das Haus verlassen hatte, musste ich nicht befürchten, von jemandem erwischt zu werden.

Ich holte erneut meine Sucht aus der Tasche und steckte mir eines dieser kleinen Sargnägel zwischen die Lippen. In dem Moment erschütterte ein tiefes Knurren die Umgebung. Es ließ meine Nackenhaare zu Berge stehen und mich in meiner Bewegung inne halten. Eine Schar Vögel schreckte aus den Bäumen auf und suchte das weite. Diese Reaktion konnte ich vollends nachvollziehen.

Der andere, welcher heute ebenfalls dazu kam, um die Geschwister zu beobachten hielt in seinem Versteck ebenfalls inne. Er hatte mich den ganzen Tag nicht bemerkt, war viel zu beschäftigt mit dem bald anstehenden Vollmond, sowie sich von den Kindern fernzuhalten, sodass sie ihn nicht sahen. Anfänger, dachte ich und schnaubte leise.

Mein Blick glitt erneut zu einem der Fenster in dem Haus meiner Zielobjekte. Ein dumpfes Poltern war zu hören und ließ mich grinsen. Vielleicht wurde der heutige Abend doch noch interessant. Ich konnte förmlich spüren, wie eine der im Haus wohnenden Personen die Kontrolle verlor. Wut, unbändiger Zorn erfüllte die Umgebung. Jedes Wesen mit dem zweiten Gesicht konnte diese bestimmt im Umkreis von einigen hundert Metern spüren.

Da flippte definitiv gerade jemand aus. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen ließ ich die Zigarette wieder in der Schachtel verschwinden. Es erwärmte mir das Herz, diesem Spektakel beiwohnen zu dürfen. Was wohl passieren würde? Tatsächlich gab es ja nur drei Möglichkeiten: Er rennt davon und zerfleisch irgendein armes Geschöpf, das ihn über den Weg läuft. Er zerfleischt sie und gibt sich sein Leben lang die Schuld – dies wäre natürlich außerordentlich traurig – oder er beruhigt sich. Mein Favorit wäre wohl die Nummer zwei. Gespannt, ob sich auch dieses Exemplar selbst oder jemanden anderen, vermutlich die Schwester, verletzen würde, hielt ich den Atem an.

Außerdem musste ich dann dem Boss erneut mitteilen, dass seine potentiellen Kandidaten nicht mehr unter uns weilten. Zu schade aber auch. Da erstaunlicherweise nur einer der beiden das zweite Gesicht hatte, ließ mich dieser Fall ebenfalls nicht so kalt wie er sollte. Ich konnte nicht abstreiten, dass mich diese Familie sehr reizte.

Gerne würde ich selbst in das Haus stürmen, dem Ganzen ein Ende setzen. Auf einen weiteren Amarok konnte die Welt gerne verzichten. Spöttisch ließ ich mich von der Vorstellung, alles zu beenden mitreißen. Malte mir das herrliche Blutbad, welches sich ergeben würde, aus. Die Hilflosigkeit in ihren Augen. Ich schüttelte mich bei diesen Gedanken. Versuchung war nie gut.

Man hörte die Stimme der Schwester. Sie klang alles andere als ruhig. Weiteres Poltern. Bis plötzlich alles leise wurde. Viel zu still. Verwirrt wanderten meine Augenbrauen nach oben. So schnell war alles beendet? Fast schon traurig über das unspektakuläre Ende wartete ich auf den Geruch von Kupfer. Schließlich sollte man bald Blut wahrnehmen. Ungefähr eine Mädchenmenge davon.

Doch was nun folgte, hatte ich in meinem bereits langen Leben noch nicht erlebt. Die Atmosphäre schlug so schnell um, wie ich es noch nie wahrgenommen hatte. Genauer gesagt war es so schnell geschehen, dass man es kaum wahrnehmen konnte. Ich wusste nicht was dies auslöste, doch ich merkte zunehmend, wie es mir die Luft zum Atmen nahm. Ich spannte mich an. Als hätte man mir den Sauerstoff entzogen, versuchte ich nach Luft zu schnappen, konnte diese jedoch nicht in meine Lungen aufnehmen.

Was zur ...? Der Druck der Umgebung nahm zu. Stieg weiter an und schnürte mir die Kehle ab. Mein Kopf begann zu brummen. Wie ein Schraubstock, welcher sich um meinen Hals legte und sich immer weiter schloss. Mir wurde unsagbar heiß. Irgendwas lud sich hier auf. Ich griff mir mit beiden Händen an den Hals. Sank auf meine Knie. Verdammt.

Ein lautes, alles durchdringendes "STOP" schnitt klingenartig durch die Luft. Ließ den Schraubstock mit einem Mal verschwinden. Ich holte laut Luft und keuchte. Scheiße.

Mit solch einer Intensität hatte ich so etwas lange nicht mehr erlebt. Ich richtete mich auf und nahm Abstand zu dem Haus. Gottverdammt. Mein Kopf schien, sich mit dem zunehmen Sauerstoff in meinen Lungen zu beruhigen. Ich hatte gefunden was der Boss suchte und somit konnte ich ohne Umschweife im Nebel verschwinden. Hoffentlich war die Sache hiermit beendet.

Patriam Academy - Das Erwachen der Wölfe, Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt