Wer die Qualen der Folter aushalten kann, sagt die Wahrheit nicht, und wer sie nicht aushalten kann, auch nicht.
-Michel de Montaigne (eigentlich Michel Eyquem, Seigneur de Montaigne, französischer Philosoph und Essayist)
Ich habe schmerzen. Überall. Ich spüre es bis in meine Seele hinein und dabei fühlt sich mein Körper an als würde er hunderte Zentner schwer sein. Unter meinen Fingerkuppen fühle ich eine weiche Decke. Liege ich in Bett? Es fühlt sich nicht nach meinem eigenen Bett an und auch nicht nach dem Gästebett im Kriegsrudel Territorium.
»Stell dich nicht schlafend! Steh auf!«, ertönt eine weibliche Stimme neben mir. Ich öffne meine Augen, sehe eine hölzerne Decke an und setze mich auf. Vor mir steht ein Mädchen das nicht viel älter als ich ist. Es sieht vernachlässigt und verrückt aus. »Steh doch endlich auf! Das Frühstück wartet!«
»Das Frühstück wartet?«, erkundige ich mich vorsichtig während ich meine beiden über den Bettrand schwinge.
»Ja, und wenn du dich nicht beeilst läuft es weg!«, knurrt meine Entführerin und deutet hinter sich. Langsam stehe ich auf, beiße mich auf die Zähne um nicht laut auf zu schreien. Mein Körper fühlt sich nicht besser an wenn ich mich bewege.
Die Blockhütte hat schon bessere Tage erlebt. Hier und dort verfault das Holz und etliche stellen im Flur sind undicht. Das schlimmste ist aber der Geruch. Es stinkt bestialisch hier, nach dem Tod. Über all an den Wänden hängen Kräuterbündel, Rosmarin, Lavendel und viele andere die ich gar nicht erkenne. In der Küche angekommen setze ich mich an die Feuerstelle und beobachtete meine Entführerin, wie sie mit sich selbst redet und hin und wieder etwas unsichtbares von ihrer Schulter schlägt. Sie redet so leise das ich sie nicht verstehen kann, aber das Gespräch führt sie nicht alleine.
Ich bin noch nie einer Hexe begegnet, aber wenn alle so sind wie meine Entführerin, dann will ich auch keine zweite begegnen.
»Hier, nimm! Nimm schon!«, verlangt sie von mir und drückt mir eine dampfende Schüssel in die Hand. Welche ich sofort abstelle und erstmal auf meine Finger Puste. Sie hat mir eine kochend heiße Schale in die Hand gedrückt. Verärgert sehe ich auf meine leuchtend rote Fingerkuppen. »Iss endlich! Du bist wirklich langsam!«
»Tut mir leid, ich fange schon an.«, entschuldige ich mich und hebe zögerlich den Löffel mit Haferbrei an. Klumpig und dickflüssig. Genau wie ich es hasse.
»Wenn du nicht willst, esse ich es!«, droht meine Entführerin während sie mit großen Augen auf die Schüssel mit Haferbrei starrt. Mir kommt die Galle jetzt schon hoch, wenn ich auch nur an den Geschmack von Haferbrei denke. Murrend nehme ich einen Happen und spüre wie mein Magen sich dagegen wehrt. Ich habe Haferbrei noch nie gemocht.
»Wenn du willst, kannst du den Rest haben.«, meine ich nach sechs bissen des widerlichen Haferbreis. Ohne Nahrung kommen Menschen nicht aus, aber mehr bekomme ich einfach nicht runter. Es schmeckt nicht. Ich halte ihr den Haferbrei hin und sehe dabei zu wie sie es in wenigen Sekunden verschlingt. Obwohl sie sich danach die Lippen leckt, und es ihr offensichtlich geschmeckt hat, kann mein Magen nicht anders als zu rebellieren.
»Wölfe verhätscheln sich auch nur!«, brummt meine Entführerin während sie die Schale weiter ausleckt. »Herrin, sie isst nichts!«
»Dann lass sie doch! Die Wölfin wird wohl wissen, was gut für ihren eigenen Körper ist.«, erwidert eine zweite Weibliche Stimme mit einem seufzen. Erschrocken sehe ich dabei zu wie sich die alte Frau neben mich auf den Boden fallen lässt mit einem erleichterten seufzen. Ihre Gehhilfe legt sie neben sich ab. »Mandy kümmre dich um die Tiere! Und lass diesmal die Eier liegen!«
»Natürlich Herrin.«
»Eufrosinia, nicht wahr? Und der Krieger Sverre ist dein Gefährte?«, erkundigt die alte Frau sich bei mir. Ihre Haare sind hellgrau, die verschrumpelte Haut wirkt kränklich in dem dunklem Tageslicht. Für eine Hexe sieht sie ganz normal aus. Es gab mehrerer solcher Alten Frauen in meinem Dorf, schrumpelige Haut, graues Haar und immer zu seufzend, wenn sie sich hinsetzen.
»Ja Sverre ist mein Gefährte.«, bestätige ich und sehe wieder in die Feuerstelle.
»Ein feiner Kerl. Groß. Kräftig. Ein Werwolf.«
»Worauf wollen sie hinauf?«
»Darauf, dass es nicht viele Gefährtinnen im Kriegsrudel gibt.«, fängt die Hexe an. »Irgendwann wird es mehr geben, aber nicht in deinem Leben.«
»Das heißt, ihr werdet mich töten?«
»Nein, nicht wir. Kennst du dich mit Geisterhexen aus?«
»Nein, ich bin noch keiner Hexe begegnet, aber mein Rudel hatte ein Problem mit Hexen. Ich glaube es waren Geisterhexen.«, erwidere ich und nehme unauffällig abstand. Alte Menschen, egal ob Werwolf, Hexe oder Mensch, alle haben einen merkwürdigen Geruch. Einen Geruch den ich einfach nur ekelig finde.
»Ah, du stammst aus dem Hoyde Rudel?«, erkundigt die alte Hexe sich mit einem schweren seufzen. »Wir mussten uns doch irgendwie die Zeit vertreiben und es war der erste Teil von unserem Plan. Wir haben nämlich jetzt unser Druckmittel. Ein Druckmittel das wir vorher nicht hatten.«
»Ein Druckmittel? Ich bin ein Druckmittel?«, wiederhole ich nochmal verwirrt. Wofür soll ich den ein Druckmittel sein? Sicher nicht für meinen Vater? Er hat mich buchstäblich enterbt. »Wofür? Für wenn?«
»Du bist nicht die schlauste oder?«, lächelt die alte Hexe miesmutig. »Für das Kriegsrudel natürlich! Es-«
»Sverre hat sich nicht an mich gebunden und die meisten Wölfe haben recht auf eine Zweite Chance. Ich könnte ihn zurückweisen, hier und jetzt, und euer Druckmittel wäre hinfällig.«, meine ich großkotzig. Ich weiß nicht ob ich es durchziehen könnte. Ob ich Sverre wirklich zurückweisen könnte. Wahrscheinlich nicht. Ich weiß was mir blüht, wenn ich Sverre zurückweise. Ich werde nicht mehr zum Hoyde Rudel zurückkehren können. Ich müsste mir ein neues Rudel suchen und hoffen, das ich dort aufgenommen werde.
»Und du würdest dich das wirklich trauen? Dich dieser Schmach aussetzen?«, hinterfragt die Hexe mich unglaubwürdig. »Hast du denn auch nur die kleinste Ahnung, was dir blühen würde, wenn du Sverre zurückweisen würdest?«
»Es ist meine Angelegenheit und nur meine allein. Und die meisten würden Mitleid mit mir haben.«, zucke ich mit den Schultern. »Einen Krieger als Gefährten? Er ist immerzu unterwegs, nie daheim. Keine Kinder die er mir schenken kann und keine Liebe die er mir bieten kann. Geschweige denn, seine kostbare Zeit. Es gibt genug Rudel, die die Krieger verachten und mich mit offenen Armen empfangen würden.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«, erwidert die Hexe leicht verunsichert. »Nun erzähle mir alles was du über das Hoyde Rudel weißt. Ich werde es wissen, wenn du lügst.«
Eure Linkszanne
Sonntag, der 23 Januar 2022
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Rudelmond
WerewolfSie hat noch nie diese liebe empfunden. Er hat keine Ahnung, was er mit einer Gefährtin soll. Sie sucht noch einen Platz in seiner Welt. Er fürchtet sich vor der Gefahr die im Dunkeln lauert. Beide müssen sich aneinander gewöhnen und gemeinsam überl...