Mit vielen unbeantworteten Fragen im Kopf schwang sich Haniel nach dem Verlassen des Schlosses in die Lüfte und steuerte sein Zuhause an. Erneut betrachtete er seine Umgebung, doch es fehlte jede Spur der zuvor verzweifelten Energie. Sein Blick wanderte nun langsamer über das saftig grüne Gebirge unter ihm und erinnerte sich an die Geschichte des Herrn. Konnte all das, was er und auch alle anderen Engel ihr Leben lang kannten, wirklich nur aus reiner Magie erschaffen worden sein?
Dieser Gedankengang ließ den Erzengel nicht los, weshalb er in die dichten Wälder hinabstieg und vor einem der größten Bäume hier in der Gegend geschmeidig landete. Beim genaueren Betrachten sah man dem Baum sein stolzes Alter an, doch war Haniel nicht klar, wie er die These der Magie in der Umwelt bestätigten sollte. Konnte er das überhaupt?
„Was mache ich hier nur?", überfordert mit der Situation, fuhr sich der Erzengel mit der rechten Hand über die Kapuze seiner Robe und zog sie tiefer über sein Gesicht. Mit dem endgültigen Entschluss, endlich nach Hause zu fliegen, drehte sich der Verhüllte um und erschrak innerlich, als ein fremder Engel vor ihm stand. „Das frage ich mich auch", erklang die tiefe Stimme des Unbekannten und Haniel wusste zuerst nicht, wo er hinschauen sollte.
Lange schwarze Haare, von denen die untere Haarpracht in einem wunderschönen Türkis gefärbt war und in Verbindung mit den weißen Flügeln auf Rücken, die die definierten Hüften perfekt zur Geltung brachten. Doch waren das nicht die einzigen faszinierenden Merkmale an dem Unbekannten, sondern auch seine braunen Augen, die an geschmolzenen Bernstein erinnerten. Diese wurden von einem dichten schwarzen Wimpernkranz betont, die den Augen um nichts in punkto Schönheit nachstanden. Volle Lippen, die perfekt zu den hohen Wangenknochen passten, perfektionierten das Gesamtbild des Engels vor ihm und ließen den Erzengel leicht schlucken.
Die goldenen Halsketten, die den Stand des Engels deuten sollten, lagen frei und ohne Scham auf der entblößten muskulösen Brust, welche freizügig eine vom Sonnenlicht geküsste Haut preisgab. Lediglich ein aus Gold gefertigter Mantel und Rock bedeckten den Engel, welcher eine seiner geschwungenen Augenbrauen anhob, als er das Starren des Erzengels bemerkte.
„Soll ich meine Frage wiederholen?", fragte dieser mit einem Lächeln. Langsamen Schrittes kam der Schwarzhaarige Haniel näher, doch schreckte der Erzengel nicht zurück. „Nein, ich habe die Frage inhaltlich komplett vernommen, doch kann ich Ihnen keine Antwort geben", sprach Haniel mit fester Stimme, was sein Gegenüber nur schmunzeln ließ.
„Typisches Erzengelsgehabe, du kannst auch normal mit mir reden", erwiderte dieser. Um seine lockere Art weiter unter Beweis zu stellen, stupste der Schönling den Erzengel mit einer seiner weißen Schwingen an, was ein angenehmes Gefühl auf beiden Seiten hervorrief. Eine kurze Stille trat ein und beide Engel hingen der Wärme der Berührung nach, doch fing Haniel sich schneller als der Unbekannte.
„Es ist kein Erzengelsgehabe, wenn ich Sie mit Respekt behandle", Haniel wusste nicht, warum er das Bedürfnis hatte, sich für seine guten Manieren rechtfertigen zu müssen, doch es war schon zu spät und die Worte gesprochen. „Respekt ist auch gut, denn ich stehe über dir in der Hierarchie. Aber ich habe dir eben angeboten mich zu duzen und dennoch siezt du mich weiterhin. Wo ist da der Respekt kleiner Erzengel?", gespannt wartete der Braunäugige auf eine Antwort, denn er wusste genau, dass seine Aussage einem Angriff glich, doch war es zu verlockend den Erzengel vor ihm zu testen und seine Reaktionen zu beobachten.
„Klein? Ich bin der achte Erzengel und mein Name lautet Haniel. Meine Tugenden sind Liebe und Hoffnung, welche ich symbolisiere und ausübe. Ich verbitte mir jegliche Beleidigungen und wenn wir schon dabei sind. Wenn man einem Fremden das 'du' anbietet, stellt man sich in der Regel nach auch namentlich selbst einmal vor", vor unterdrückter Wut flatterten Haniels weiße Schwingen leicht, was auch der Unbekannte bemerkte.
„Du gefällst mir. Mein Name ist Seraphion und ich stehe als Seraph für den Kampf. Aber nun kommen wir doch lieber zu den wichtigen Dingen zurück, die am Anfang unseres Gespräches waren. Was machst du wirklich hier Erzengel Haniel?", nun wusste der Erzengel den Namen der Schönheit vor sich, welcher ihm auf der Zunge verging wie flüssiges Ambrosia. Seraphion.
„Auf diese Frage hatte ich bereits geantwortet. Wenn du mich nun entschuldigen würdest", mit diesen Worten schwang sich Haniel aus dem Stand heraus in die Luft und flog mit Höchstgeschwindigkeit nach Hause. All die farbenfrohen Häuser und bunten Landschaften des Himmels zogen an ihm vorbei, doch interessierten Haniel dies keineswegs. Ein innerliches Chaos hatte ihn während der Anwesenheit des Seraphs befallen und wütete immer noch stark in seiner Brust.
Völlig außer Atem kam Haniel in seinem weißen, aus Marmor bestehenden Haus an und riss sich förmlich die heilige Robe vom Leib. „Reiß dich zusammen, du bist ein Erzengel", sagte Haniel wie ein Mantra zu sich selbst und es zeigte seine Wirkung. Das Chaos verschwand und machte Platz für sein rationales Denken.
Zielstrebig durchquerte er sein geräumiges Wohnzimmer, in dem nur ein kleines Sofa samt kleinem aus Stein gemeißelter Tisch stand. Das Licht, welches den Raum erhellte, entstammt der mittelgroßen weißen Wolke, die in der Mitte unbewegt verharrte. Haniel blieb an einer der vier Wänden vor einem Gemälde stehen, dass ihn und seine Brüder zeigte, und tippte auf das Gesicht Uriels, woraufhin es anfing zu leuchten und Kontakt zu seinem Bruder aufnahm.
„Ist alles in Ordnung Haniel?", es dauerte ein kleines bisschen, bis Uriel den Ruf seines kleinen Bruders bemerkte und eilig annahm. „Ich brauche deine Hilfe und zwar geht es darum...", noch bevor Haniel zu Ende sprechen konnte, brach die Verbindung zu seinem älteren Bruder ab und verwundert darüber, drückte er mehrfach auf Uriels Gesicht herum.
Geschlagene fünf Minuten versuchte Haniel voller Sorge seinen Bruder zu erreichen, bis er auf die Idee kam, zu ihm zu fliegen. Sowohl innerlich als auch körperlich war er bereit sofort loszufliegen und hatte sich eine schlichte Robe herbeigezaubert und angezogen, als es plötzlich an seiner Haustür klopfte. Besuch erwartete der Erzengel nicht, also wer konnte das sein?
Als er die Tür durch das Siegel öffnen ließ, konnte er seinen Augen nicht trauen, denn mit den zwei Männern vor seiner Tür hatte er überhaupt nicht gerechnet.
DU LIEST GERADE
Angel - Haniel [BoyXBoy]
FantasyDer Herrscher des Himmels konnte nicht mehr mit ansehen, wie einige seiner liebsten Engel leideten, also beschloss er ihnen neue Aufgaben zu erteilen, ungewiss welchen Ausgang diese nehmen würden. Der Herr aller himmlischen Kreaturen ging das Risiko...