Kapitel 6

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Entsetzt betrachteten die Erzengel den bewusstlosen Körper ihres Bruders, bis die Wut den sonst so ruhigen Michael überfiel und er kurz davorstand den Seraphen anzugreifen. „Überdenke deine nächste Handlung Bruder." Uriel holte mit diesen Worten den Erzengel der Treue und Weisheit aus seinem grenzenlosen Zorn heraus und wandte sich möglichst bemüht neutral zu bleiben an Seraphion. „Was ist geschehen?"

„Es ist etwas passiert, was so nicht hätte geschehen dürfen", antwortete der Schwarzhaarige und ging schweren Schrittes zu der einzigen Säule, auf die das unschuldige Engelsflämmchen ruhte. „Mein Bruder liegt hier bewusstlos am Boden und du wagst es, deine Erklärung in die Länge zu ziehen?" Michaels Stimme bebte vor Zorn, was die anderen Beiden nicht nur hörten, sondern auch spürten.

„Ich kann es euch beiden nicht erzählen." Seraphion sah mit ernster und verschlossener Miene zu den beiden Erzengeln, wobei er bemerkte, dass die Kontrolle des Weißhaarigen an einem seidenen Faden hing, welcher in Sekunden zu reißen drohte. „Rede!" Uriel, welcher zum ersten Mal dem Seraphen gegenüber die Stimmer erhob, fasste sich mit beiden Händen ins Gesicht und versuchte, seine aufkommenden Gefühle zu unterdrücken und rational als Erzengel zu handeln. Aber er merkte schnell, dass das leichter gesagt als getan war.

„Kein Wort wird über meine Lippen kommen. Dem Einzigen, dem ich eine Erklärung schuldig bin, ist Erzengel Haniel. Sobald er sein Bewusstsein wiedererlangt hat, werde ich ihn um Verzeihung bitten, denn das ist das Mindeste, was ich nun tun kann. Und nun helft mir alles in das Haus eures Bruders zu schaffen, danach bringt ihr ihn zu seinem besonderen Ort, damit er sich erholen kann."

Auch wenn es Michael und Uriel nicht gefiel, so hatten sie keine andere Wahl, als ihm zu helfen. Sie mussten ihren Bruder schnell zu sich nach Hause bringen und das Kind der Prophezeiung in Sicherheit wissen.

Der Transport der Baumwollbeutel verlief reibungslos, da sie Michaels Flugbahn folgten und sich seinem Tempo anpassten. Uriel, welcher Haniel in seinen Armen hielt, flog hinter dem letzten Beutel und achtete drauf, dass nichts verloren ging. Das Ende der Kette bildete Seraphion, der den Schild der Lebensflamme hielt und sie alle mit seiner Magie tarnte, so dass sie keiner mehr erblicken konnte.

Ihr Schutz war nun das oberste Gebot und wurde bis zum Erreichen des weißen Marmorhauses penibel eingehalten. Sie konnten nicht riskieren, dass jemand einen bewusstlosen Erzengel, geschweige denn ein unschuldiges Leben sah. Leider scheiterten sie an der Tür des Hauses, da der Besitzer nicht bei Bewusstsein war, konnte er auch niemanden einlassen. Praktisch und unpraktisch zugleich dieses System, dachte der Seraph und Schritt auf Uriel zu, der immer noch den schlafenden Erzengel der Liebe und Hoffnung in seinen Armen hielt.

Er packte mit einer freien Hand den regungslosen rechten Arm von Haniel, ritzte mit einem Fingernagel in dessen Handinnenfläche und drückte aus der entstandenen Wunde etwas Blut hinaus. Die leicht blutende Hand platzierte er an die geschlossene Tür, welche anfing zu glühen, was das Zeichen für Seraphions Einsatz war. So kratzte sich der Seraph ebenfalls eine Wunde in die Handinnenfläche und drückte fest seine Hand neben die von Haniel und überließ dem Siegel den Rest. Sekunden wurden zu Minuten, bis das Siegel das Ritual akzeptierte und ihnen Einlass gewährte.

„Wie ist das möglich?", fragte Uriel seinen Bruder, welcher nur fassungslos die offene Tür anstarrte. „Ich erkläre es euch, sobald wir eingetreten sind." Seraphion, der den die kleine Flamme wieder fest in beiden Händen hielt, trat als erstes in das für ihn unbekannte Haus und bestaunte das offene Wohnzimmer, welches mit hellem Licht durchflutet wurde. Michael und Uriel folgten ihm und bemerkten erst jetzt, dass die Baumwollbeutel ihrem Herrn folgten und sich der Reihe nach an der freien Wand neben der Tür einordneten.

Der Erzengel des Mutes ging kommentarlos an den sich umsehenden Seraphion vorbei und steuerte die heilende Quelle seines Bruders an. Als der Seraph anstalten machte, Uriel zu folgen, wurde dieser von Michael aufgehalten und in ein schwarz-weißes Schlafzimmer geführt und öffnete die Tür zum angrenzenden Nebenraum, welches keinerlei Möblierung beinhaltete. „Für was wird dieser Raum verwendet?", fragte Seraphion den Weihaarigen. „Es war Haniels Wunsch, dass sein zukünftiges Kind in seiner Nähe heranwächst. Da nun deines hier verbleiben wird, ist es vorübergehend seines."

Angel - Haniel [BoyXBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt