Kapitel 16

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"Erzengel." Leise Schritte drangen an Haniels Ohren, der von dem entstandenen Geräusch langsam aufwachte. Als er seine Augen öffnete, sah er keinen Seraphion neben sich im Bett liegen und auch war er nicht mehr in seinem Haus.

"Erzengel." Der Grauhaarige erhob sich vom dreckigen Boden und sah sich um und stellte fest, dass er sich in einem Wald befand. Wie kann das sein? Wo bin ich hier?

"Erzengel." Haniel hörte die sanfte Stimme eines Mannes, der nach ihm rief, doch hallte diese von überall her. "Wer ist da?", fragte er in die Dunkelheit hinein, doch bekam er keine Antwort zurück. Ein stetiges Tropfen, welches von Wasser stammen musste, erklang zu seiner rechten Seite, was ihn dort hinschauen ließ.

Versteckt hinter einem Baumstamm kauerte eine Gestalt, die ihn zu beobachten schien. "Zeigt Euch", forderte er, aber die Gestalt reagierte nicht. "Ich befehle es Euch", setzte Haniel nach, was auch nicht weiterhalf. "Zieht eure Robe an, Erzengel. Hier ist es für euch nicht sicher." Der Grauhaarige reagierte sofort und stand im nächsten Moment verschleiert im Wald. Ohne zu zögern, ging er auf die Gestalt zu, die vor ihm zurückwich. "Bleibt stehen und zeigt Euch."

"Ich kann nicht, Sie findet mich sonst. Ihr müsst mich retten, aber seid vorsichtig, Erzengel", flüsterte die schwarze Silhouette versteckt im Schatten. Sie? Von wem redet Es? Und warum muss Es gerettet werden?

"Wie soll ich Euch finden? Und warum soll ich Euch finden? Redet mit mir." Die Gestalt änderte ihre Meinung und kam näher an ihn heran, doch blieb sie weiterhin versteckt.

“Sucht nach mit Dunkelheit befallene Schwingen, die die ihren Glanz und Leben verloren haben. Findet Ihr die toten Schwingen, findet Ihr auch mich. Wenn Ihr mich nicht finden und retten solltet, wird der Himmel fallen und all das innewohnende Leben mit sich nehmen. Aber seid vorsichtig, Erzengel Haniel, denn Ihr müsst auf eure zweite Hälfte aufpassen, denn sie ist der Schlüssel zum Sieg. Verliert Ihr sie, verlieren die Engel ihren Beschützer.” Die Gestalt löste sich vor ihm in Luft aus und hinterließ in dem Baum hinter sich einen Buchstaben zurück, der mit Blutigen Händen hinein geritzt wurde.

Haniel betrachtete den Buchstaben C, doch als er diesem näher kommen wollte, zerbrach der Boden unter seinen Füßen und riss ihn in eine schwere Dunkelheit, aus der der Erzengel nicht herauskam.

Schweiß gebadet, schlug er die sturmgrauen Augen auf und setzte sich mit einem Ruck in seinem Bett auf. Unruhig huschten die Augen des Engels durch das Zimmer und erleichtert stellte er fest, dass er wohl geträumt hatte. Es fühlte sich aber so real an.

“Haniel”, hörte er die raue Stimme von Seraphion, welcher sich ebenfalls aufsetzte und sich an seine Seite schmiegte. Der Jüngere genoss die Wärme des Seraphen und gab sich der Berührung hin, da er die Nähe des Anderen in diesem Moment brauchte. “Ich hatte keinen schönen Traum”, begann der Grauhaarige und hatte somit Seraphions volle Aufmerksamkeit. “Erzähl mir von diesem”, fordere der Schwarzhaarige sanft, da er sich Sorgen machte.

Der Grauhaarige erzählte von seinem Traum, dass ihm der Wald seltsam vorkam und sich nicht wohl fühlte. Auch die Gestalt ließ er nicht aus, die eine Botschaft hinterließ, die zum einen zwei Hinweise enthielt, und zum anderen eine Schicksalsrichtung preisgab.

“Also müssen wir einen Engel finden, dessen Flügel tot sind und deine zweite Hälfte schützen”, fasste der Seraph kurz und wusste, dass er damit gemeint war. Warum muss ich aufpassen? Die Antwort auf diese Frage blieb Seraphion verwehrt und auch Haniel konnte ihm nicht helfen, da er sich noch nicht bewusst war, dass sie zwei verbundene Seelen waren. Zwei Hälften, die zu einem Ganzen werden und Frieden finden werden.

“Ist mit der zweiten Hälfte meine Seele gemeint?”, überlegte der Jüngere, winkelte nachdenklich die Beine an und bettete seinen Kopf auf den Knien. “Das denke ich auch, deswegen müssen wir sie unbedingt schützen, mein Engel.” Noch konnte Seraphion die Wahrheit nicht aussprechen und musste Haniels Leben sichern. Ich darf dich nicht verlieren.

“Dann sollte ich mir überlegen, wie ich sie noch besser schützen kann.” In diesem Moment schlängelte sich die Efeuranke unter dem Bett hervor und begab sich aus der Tür heraus in Richtung Quelle. “Wohin geht deine Efeuranke, Seraphion?”, fragte Haniel verwirrt, da er diese Pflanze nicht verstand. “Ich glaube, dass sie deine Seele beschützen geht, zumindest fühlt es sich in meinem Herzen so an”, antwortete der Seraph. “Du fühlst das in deinem Herzen?” Der Erzengel hob eine Augenbraue und sah dem Schwarzhaarigen in die bernsteinfarbenen Augen.

“Ja, es ist schwer zu erklären, aber ich fühle mich den Pflanzen sehr verbunden und manchmal höre ich sie auch in meinen Gedanken”, verriet er Haniel. “So wie ich mich dem Wasser sehr nah fühle", ergänzte der Jüngere, dessen Schwingen leicht raschelten.

Seraphion erschuf mithilfe seiner Magie ein Blatt Papier und einen Stift, mit welchem er die bereits in Erfahrung gebrachten Buchstaben aufschrieb. “Wir sollten überlegen, zu was sie gehören könnten, Haniel.” Der Grauhaarige gab dem Seraphen recht, denn es machte sich in seinem Inneren das Gefühl breit, dass diese beiden nicht die Letzten sein werden.

“Es könnte ein Ort sein, doch fällt mir keiner mit diesen beiden Buchstaben ein”, überlegte der Erzengel und ging alle Gebiete der Engelwelt durch. “Ich denke eher, dass es ein Name sein könnte, denn diese Gestalt hat von einer Sie geredet. Es muss sich also um jemanden handeln, der die Gestalt kennt und gefangen hält. Mir ist nur noch nicht klar, wie es Kontakt zu dir aufnehmen kann”, sprach Seraphion und erntete Haniels Zustimmung, da das Gesagte plausibel klang.

“Wir sollten uns als erstes auf den komischen Facilityengel konzentrieren, da er im Geiste nicht anwesend wirkte”, beschloss Seraphion. Haniel war sich nicht sicher, ob sie auf der richtigen Spur waren, denn er hatte keine negativen Schwingungen von diesem empfangen. Der Seraph bemerkte die Unsicherheit des Jüngeren, legte einen Arm um dessen Schultern, zog ihn näher an sich heran und hauchte in sein Ohr: “Wenn ich falsch liege, sind wir uns wenigstens sicher, dass er unschuldig ist.”

Haniel löste sich von Seraphion, als er erschauderte und stand kommentarlos auf. Bevor der Schwarzhaarige etwas sagen konnte, streiften ihn die unteren Federn des linken Flügels und erzeugten eine angenehme Wärme, die sich von der Stelle im gesamten Körper ausbreitete.

“Ich werde mich waschen”, fing Haniel an und grinste leicht, als er Seraphions dunkeln Blick bemerkte und Anstalten machte, sich ebenfalls zu erheben. “Aber allein”, vollendete er seinen Satz und verließ lachend sein Zimmer. Zurück blieb ein schmunzelnder Seraph, der sich sehr beherrschen musste, damit er seinem Herzen nicht folgte.

Er legte sich zurück ins Bett, schloss die Augen und hörte die Stimmen der Pflanzen, die zu ihm sprachen und mitteilten, wie schön der Erzengel war. Ich kann ihnen nur zustimmen.

Eine immer lauter werdende Stimme drang in sein Bewusstsein, die er durch ihre hektisch gesprochenen Worte kaum verstand. Nur ein einziges Wort blieb in seinen Gedanken hängen und ließ ihn stutzen, da er diesen Namen vor langer Zeit das letzte Mal gehört hatte.

“Azrael.”

Angel - Haniel [BoyXBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt