13. Matteo

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Die Züge rattern über die Gleise und halten zischend und quietschend im Bahnhof von Erfurt. Geschäftig eilen die Menschen an ihnen vorbei und beachten ihn und Ella kaum.

"Wann kommt der Zug?", fragt sie gefühlt zum hundertsten Mal und sieht immer wieder nervös auf ihre Uhr. Matteo seufzt leicht genervt und schüttelt bloß den Kopf. "Wie vor 30 Sekunden auch in zwei Minuten. Und es ist nur Vivi".

Ella gibt ihm einen leichten Klaps auf den Arm. "Sag das nicht so, ich habe meine Tochter lange nicht gesehen".
Matteo presst die Lippen aufeinander, sagt aber nichts. Er würde ihr nur sehr ungern Recht geben, immerhin vermisst er Charlotte auch immer, wenn sie nicht in seiner Nähe ist.

Endlich fährt Vivis Zug vor und als sie aus dem Zug steigt, erkennt er ihre wilde Lockenmähne schon von Weiten. Stürmisch nimmt sie ihre Mutter in die Arme und verdrückt einige Tränen.

"Hi Mama", nuschelt sie in Ellas Schulter und grinst dann zu ihm auf.
"Na mein Brüderchen, hast du mich vermisst?".

Matteo schnaubt bloß und entlockt ihr damit nur noch mehr ein Lächeln. Natürlich hatte er sie vermisst, das würde er nur nie zugeben.

Auf dem Weg zu seinem Wagen kommt Vivi aus dem Plaudern nicht mehr heraus. Erzählt Ella groß und breit von ihrer Tour durch Amerika, während Matteo sie alle nach Hause fährt.

Cassy ist noch in der Klinik, als sie ankommen. Sie wollte mit Charlotte nachkommen, sobald klar ist dass sie ohne Bedenken entlassen werden kann.

"Ich schlafe auf der Couch?", fragt Vivi und macht sich direkt auch schon breit. "Was anderes haben wir auch nicht, außer du möchtest im Hotel schlafen".

Als er hinter sich die Tür ins Schloss fallen hört und einen schnalzenden Laut, muss er grinsen.
"Auch wenn wir ein bisschen Stress haben, kommt das überhaupt nicht in Frage".

Cassy tritt neben ihn und schaut zu ihm auf. Lächelnd gibt er ihr einen Kuss und nimmt dann seine Charlotte auf den Arm, die leicht verschlafen zu ihm aufschaut. Ohne Fieber oder sonstiges.

"Hallo mein Mädchen", murmelt er und streicht ihr liebevoll über das Köpfchen. Vivi quiekt leise vor Verzückung und tritt neben ihn. "Wie geht es ihr?", fragt sie und Cassy lächelt erleichtert. "Wieder gut. Aber es war schon ein gewaltiger Schock".

Vivi streichelt sanft die kleinen Wangen und lächelt zu ihm auf.
"Ich will gar nicht wissen, wie sehr er das Klinikum in Aufruhr versetzt hat".
Cassys leises Lachen verrät alles.

"Du bist meine Frau, du solltest hinter mir stehen", meint er schmollend und Cassy tätschelt ihm liebevoll die Schulter. "Tu ich doch immer".

Am Abend, als alle gegessen hatten und sich schlafen legen wollten, nutzt Matteo noch die Chance und geht eine Runde mit seiner Tochter spazieren. Dick eingepackt, nicht nur sie auch er, machen sie sich auf den Weg zur Altstadt.

Die weißen Wölkchen seines Atems verlieren sich in der kühleren Abendluft und er genießt die Ruhe, die ihn umhüllt. So sehr er auch seine Schwester und Stiefmutter liebt, beide zusammen sind einfach unerträglich.

Plötzlich klingelt sein Handy. Ohne aufs Display zu gucken geht er dran.

"Was gibt es, mein Schatz?", fragt er und hört ein Kichern an der anderen Leitung, welches nicht von seiner Frau stammt.
"So hast du mich aber lange nicht mehr genannt".

Überrascht zieht er eine Augenbraue hoch.
"Isabella, mit dir habe ich nicht gerechnet".
"Das habe ich wohl gemerkt. Ich wusste ja gar nicht, dass du in einer festen Partnerschaft bist!".
"Naja, im Grunde geht dich das ja auch nichts an".

Ein Schnalzen am anderen Ende der Leitung.
"Ach Matteo, behandelt man so eine alte Liebe?".
Matteo seufzt. "Eine Liebe kann es ja nicht gewesen sein. Eher eine Liebelei von kurzer Zeit".
Isabellas Lachen lässt seine Kopfhaut kribbeln. Bei ihm löst es einfach kein angenehmes Gefühl mehr aus.

"Ach komm, deine Nachricht auf meiner Voicemail hat doch alles gesagt".
Einer seiner schwächsten Momente.
"Das ist 20 Jahre her. Und bevor ich meine erste Frau kennenlernte. Was willst du nun?".
Kurze Stille. Charlotte im Wagen fängt ein leises Wimmern an, weil Matteo stehen geblieben ist. Als er seinen Weg fortsetzt, schläft sie langsam wieder ein.

"Ich bin in Erfurt und wollte dich fragen, ob du der guten, alten Zeiten willens mit mir einen Kaffee trinken gehen würdest".
Matteo atmet scharf ein.
"Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist".
"Ach komm, als ob deine Partnerin was dagegen hat".

Matteo schaut auf seine Tochter hinab, die beim Schlafen eine kleine Sabberblase produziert.
"In Ordnung. Ich melde mich wegen einem Termin".
"Wie wäre es morgen Nachmittag? Ich kann auch zur Klinik kommen".
Widerwillig willigt Matteo ein und legt dann auf.
Ein ungutes Gefühl beschleicht ihn. Isabella meldete sich nie ohne Hintergedanken. Allein bei dem Wort muss er schmunzeln.

Als er wieder mit Charlotte zuhause ankommt und sie ins Bettchen legt, liegt Cassy auch bereits im Bett und schläft. Vorsichtig entkleidet er sich und legt sich zu ihr, ohne sie zu wecken. Im Schlaf rollt sie sich herum und kuschelt sich direkt an ihn.

Sein Herz klopft ihm unkontrolliert in der Brust. Wieso hat er auf einmal ein schlechtes Gewissen?

In aller Freundschaft - die jungen Ärzte: LebensabschnitteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt