1001 Nacht

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„Zehntausend Jahre und mein Hals ist so steif wie ein Bügelbrett.“
-Dschinni

Die Ereignisse überschlugen sich mit einen Mal, so dass Jamil sich vor Gerüchten gar nicht mehr retten konnte. Es hieß, dass er wirklich mit Absicht und der Hilfe von Magie die Treppe runter geschubst wurde und der Grund war einzigst und allein der, dass er, auch als Alishba, Scarabias bester Magshift Spieler ist. Das Schultunier in dieser "American Football artigen" Sportart, wie Yuu es gerne betitelte (auch wenn niemand in Twisted Wonderland wusste was zum Henker American Football sein sollte), stand vor der Tür und irgendwer war wohl sehr besessen darauf die Konkurrenz auszuschalten. Wer auch immer es war, Jamil würde die Person gerne umbringen, denn mit dem rechten Arm eingegibst hatte man es als Rechtshänder nicht gerade leicht. Sein essen schmeckte zwar immer noch besser als das der anderen Scarabia Schüler, doch durch sein langsames Tempo ist ihm tatsächlich etwas angebrannt. Ihm, Jamil Ramsey Viper, ist etwas angebrannt. Den Spitznamen Ramsey hatte er somit offiziell beschmutzt.
In Geschichte saß er ausgerechnet neben Azul, der die Zeit damit verschwendete ihn Muscheln, Fische und kleine Chibi Oktopuse auf den Gips zu kritzeln. So genervt er deswegen auch gerne gewirkt hätte, er musste einfach grinsen und wandte daher absichtlich den Blick ab. Er hätte nie gedacht, dass Azul mal seine wertvollste Stütze sein würde, doch als einziger der sein Geheimnis kannte und ihn für seine Stärken und Schwächen schätzte, hatte er in dem Geschäftsmann mehr als nur einen Freund gefunden. Wäre Kalim nicht so naiv und, um es böse auszudrücken, dumm, würde er längst bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken.

Die Tage vergingen und immer wenn wichtige Entscheidungen anstanden, für deren Beantwortung Kalim einfach noch nicht reif genug war, zog Jamil seinen Magic Pen und... half dem Weißhaarigen etwas auf die Sprünge. Abends schlief er viel und tief, um sich von dem Blot zu reinigen und fühlte sich fitter denn je, auch mit dem gebrochenen Arm.
Einmal rief Kalim ihn abends zu sich ins Schlafzimmer und wobei Jamil sich darauf vorbereitete mit Magie aus einer unangenehmen Situation entkommen zu müssen, wollte Kalim allen Anschein nach nur im Bett kuscheln und reden. Was für ein Weichei.
Jamil lag ausgestreckt in Kalims Bett und Kalim selbst lag direkt daneben, den Kopf auf der Brust seiner Frau gebettet, als ob er ihren Herzschlag lauschen wollte. Und der musste verdammt schnell sein, aus Angst Kalim könnte merken, dass das vermeintliche C Körbchen sich wie -A anfühlte, doch selbst für das ertasten einfachster Anatomie war dieser Junge zu naiv. Um nicht allzu passiv und desinteressiert zu wirken, spielte seine nicht vergipste Hand mit Kalims Haaren und stellte überrascht fest, dass das diesen sonst so aufgedrehten Teenager wirklich zu entspannen schien. „Ich hab heute ein Märchenbuch in der Bücherei gefunden. Ich kannte es, denn meine Mutter hat mir immer daraus vorgelesen, als ich noch klein war“, erzählte der Weißhaarige verträumt, „es geht um einen Sultan der von seiner Frau betrogen wurde und aus Angst diese Schmerzen erneut durchmachen zu müssen nimmt er sich jeden Tag eine neue Frau, die er zum Anbruch des darauffolgenden Tages hinrichten lässt.“
“Ich kenne die Geschichte“, murmelte Jamil lächelnd, „Eines Tages nimmt er sich eine Frau die panische Angst davor hat zu sterben, also erzählt sie dem Sultan in ihrer Hochzeitsnacht eine Geschichte und baut zum Tageseinbruch einen Cliffhanger ein. Er ist so gespannt wie es weiter geht, dass er ihre Hinrichtung einen Tag hinauszögerte.“
„Genau und das für 1001 Nächte. Ich weiß nicht, ob er sie danach bedingunglos geliebt hat, oder ob ihr die Geschichten ausgegangen sind und sie doch hingerichtet wurde. Um ehrlich zu sein will ich es auch gar nicht wissen.“
Darüber hat Jamil sich tatsächlich nie Gedanken gemacht. 1001 Nacht war ein dicker Wälzer und er hatte nie besonders viel Zeit zum lesen, weshalb er tatsächlich noch nicht zuende gelesen hat. Die blutrünstigkeit, die diese Geschichten manchmal boten machten es ihm möglich sich vorzustellen, dass die arme Frau nach fast drei Jahren des Überlebenkampfes doch noch hingerichtet wurde und genau wie Kalim wollte er das eigentlich gar nicht so genau wissen. „Diese Geschichten geben einen wirklich Nostalgie. Hat eure Mutter euch damit auch in den Schlaf gelesen oder mochtet ihr andere Geschichten mehr?“ Kalim war offensichtlich nur auf Smalltalk aus, nicht ahnend, dass seine Frage Jamil mehr im Herz getroffen hat als vorstellbar. Seine Mutter und vorlesen? Seine Mutter und sich überhaupt mit ihren Kindern beschäftigen? „Sie... hat uns nie vorgelesen, weil sie und Baba zu beschäftigt waren. Es gab eine Geschichte aus 1001 Nacht, die ich geliebt habe und das war die von dem Dieb, der Prinzessin und der Wunderlampe. Jamil erzählte sie mir immer, bis ich eingeschlafen bin, doch ein Junge, nur zwei Jahre älter als ich, konnte nun mal nicht meine Mutter ersetzen.“
Jamil war sich nicht sicher, ob er seine Rolle richtig spielte, doch er konnte sich kaum vorstellen, dass seine Schwester ab und zu mal nicht lieber ihre Mutter mit dem Märchenbuch auf der Bettkante sitzen gehabt hätte. Die Weichen wurden bei ihrer Geburt gestellt und diese Weichen umzuwerfen war gar nicht so einfach. Er spürte Kalims flachen Atem auf seiner Brust, anscheinend einen Kulturschock darüber erleidend, dass es Mütter gab, die ihren Kindern nicht vorlasen.
„Das tut mir leid“, murmelte der Weißhaarige.
„Schon gut.“

Die Frau des SultansWo Geschichten leben. Entdecke jetzt