Kein fünf Sterne Hotel

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Am vierten Tag meines Aufenthaltes, -zumindest nehme ich an, dass es der vierte Tag ist- den täglichen Essenszeiten zu urteilen, wird die Tür erneut geöffnet. Zwei mal täglich betritt jemand mit einem Tablett den Raum und verschwindet dann ebenso schnell und schweigend, wie er gekommen ist.

Jedes Mal versuche ich verbissen an Informationen zu gelangen. Wo bin ich? Wieso bin ich hier? Was habt ihr jetzt vor? Wollt ihr mich hier drinnen verkümmern lassen?

Und jedes Mal treffe ich auf die gleiche eiserne Wand aus bedeutungsschwerem Schweigen, die gleiche kalte Abgebrühtheit.

Du bist eine Gefangene, scheint die Stille zu höhnen.
Eine Gefangene. Gefangene. Gefangene.

Mein Gefängnis bilden kahle, weiße Wände. Eine Toilette, ein Waschbecken, ein Tisch, eine Pritsche. Kein Stuhl.

Ich versuche immer, einen Blick aus der Tür zu erhaschen, sobald sie sich öffnet. Doch alles was ich sehe, ist ein Gang, der sich seitlich zu beiden Seiten meiner Zelle erstreckt, keine Ahnung wie lang er ist oder wo er hinführt.

Heute jedoch, treffen meine Augen auf ein bekanntes Gesicht, als die Zimmertür mit Schwung aufgestoßen wird.

"Ist alles zu deiner Zufriedenheit, Kleine?", der kaum verhohlene Hohn in der Stimme des Mannes lässt mich die Zähne zusammenbeißen.

Ashton lehnt sich grinsend an den Türrahmen und verschränkt die Arme vor der Brust.

"Natürlich", den Spott in meiner Stimme kann ich mir einfach nicht verkneifen. "Wie wäre es, wenn du dich vier Tage in eine Zelle einsperren lässt? Mal sehen was du dann über die Bequemlichkeit des Bettes und den netten Ausblick zu sagen hast."

Sein Lächeln verrutscht keinen Zentimeter und er wirft mir einen unbeeindruckten Blick zu.

"Oh, das tut mir leid. Wenn du auf ein fünf Sterne Hotel mit Meerblick gehofft hast, muss ich dich leider enttäuschen, Kleine. Aber genug geplaudert, komm mit." Seine Stimme ist wie süßer Honig, in den man Gift geschüttet hat.

Ich verschränke demonstrativ die Arme und ahme damit seine abweisende Haltung nach.

"Wohin?", inzwischen meine ich Ashton gut genug einschätzen zu können, um zu ahnen, dass er mich entweder ignorieren oder anlügen würde, aber ein kleiner, leichtsinniger Teil von mir, hofft noch auf Hilfe. Auf einen Komplizen.
Dumm, ich weiß.

Er hebt eine Augenbraue und ein unheilvolles Grinsen ziert sein betörend schönes Gesicht.
Wie eine Katze, die mit einer Maus spielt. Er scheint nicht so leicht die Fassung zu verlieren.

"Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit", sagt er schließlich, als ich immer noch keine Anstalten mache, mich zu bewegen. Also Ersteres, denke ich.

Innerlich ringe ich mit mir.
Er könnte mich einfach anlügen, mir erzählen, er ließe mich laufen nur um mir dann, sobald ich ihm den Rücken zugekehrt hatte eine Kugel in den Kopf zu jagen.

Vermutlich ist es naiv von mir, aber nach vier Tagen in diesem trostlosen Raum ist die sprichwörtliche Aussicht auf etwas anderes geradezu verlockend.

Also trete ich einige Schritte auf ihn zu, bis ich direkt vor ihm stehe.

Er zögert nicht lange, sondern packt meinen Arm und schiebt mich aus der Tür. Vor dem Raum steht ein Mädchen mit blutroten Haaren und einem schneeweißen Anzug.

Sie zwinkert mir wortlos zu und heftet sich an unsere Fersen, während wir uns nach links wenden und den Flur entlanggehen.

Fast hätte ich gefragt, wer sie ist.

Meine Augen huschen umher, auf der Suche nach einem Ausgang, nach einer Waffe, nach irgendetwas.

Doch der Flur, ist jetzt schwarz gestrichen und leer. Unzählige Türen sind zu beiden Seiten in die Wand eingelassen, keine davon ist geöffnet.

Meine zwei Begleiter manövrieren mich geschickt durch ein Labyrinth aus verzweigten Gängen und wirken dabei so selbstsicher und geschmeidig, dass ich mir prompt wie ein ungelenkiges Wahlross vorkomme.

Doch ich halte den Kopf hoch erhoben und präge mir jedes noch so kleine Detail ein.

Wir kommen an einer Wand aus verdunkeltem Glas vorbei. Ich kenne dieses Glas. Mein Vater hatte einmal einen Geschäftspartner zum Abendessen nachhause eingeladen. Er war in einem schwarzen SUV gekommen. Ein derartiges Auto hatte ich noch nie gesehen. Man konnte nicht in das Innere sehen. Die Scheibe war schwarz gewesen. Aber ich hatte gespürt, das er mich beobachtete. Genau wie ich seine Blicke den ganzen Abend auf mir gespürt hatte.

Eine halbe Ewigkeit später, bleibt Ashton stehen und wendet sich mit abwartender Miene an das rothaarige Mädchen. Sie starrt ihn einen Moment scheinbar fassungslos an, doch Ashton hebt nur stumm eine Augenbraue, bis sie genervt schnaubt. Sichtlich beleidigt aber protestlos wendet sie sich ab und geht ohne einen Blick zurückzuwerfen den Gang entlang.

Ashton wirkt ganz und gar unbeeindruckt von ihrem Verhalten. Als er merkt, dass ich ihn beobachte, meint er mit einem beiläufigen Schulterzucken: "Vier Jahre hier und sie trauen ihr immer noch nur so weit, wie sie spucken können. Sie ist ausgetickt, weißt du? Hätte fast zwei ihrer Kammeraden getötet."

Ich gebe mir alle Mühe, ihn nicht  mit offenem Mund anzustarren.

Seine Augen gleiten kurz skeptisch an mir herunter, bevor er mir wieder in die Augen sieht.

Jemand hat mir einen cremeweißen Pullover und eine einfache, schwarze Hose in den Raum gelegt.

Ich wende mich ab und blicke zu der Tür, vor der wir angehalten haben und erstarre, als ich das eiserne Symbol der Rebellen entdecke, welches in der Mitte der Tür prangt. Der tote Rabe wirkt hier noch erbärmlicher als in den Fotos der Zeitungsartikel. Einzelne, eiserne Federn liegen neben dem Tier.

Anstatt einer Klinke, ist dort ein schwarzer quadratischer Kasten.
"Was mache ich hier, Ashton?", frage ich, um einen neutralen Ton bemüht nach langem Schweigen ohne ihn anzusehen.
Ein Seufzen hinter mir. "Dir das zu sagen, ist nicht meine Aufgabe, Kleine."

"Was ist dann deine Aufgabe?", frage ich spöttisch. Er antwortet nicht und ich rolle nur mit den Augen. Dann tippt er einmal kurz auf die schwarze Box, dessen Oberfläche aufklappt. Darunter kommt ein Tastenfeld zum Vorschein.

Irgendwie schafft es Ashton, den Code so einzugeben, das ich ihn nicht sehe.
Ich schnaube frustriert. Ashton schiebt den Kasten zur Seite und darunter erscheint eine kleine Klinke

"Geh jetzt rein", weist er mich tonlos an und ich tue es.

Ich lege die Hand auf die Klinke, das Metall kalt unter meiner erhitzten Haut und drücke sie nach unten.

Als sie geschmeidig aufgleitet, weht mir ein vertrauter Geruch entgegen.
Nach Karton und Leder und Papier. Wie erstarrt nehme ich den Anblick in mich auf, der sich mir bietet. Dann trete ich in den Raum und die Tür fällt hinter mir ins Schloss.

Deckenhohe Regale, ein Labyrinth aus Stapeln und Fächern. Zwei, oder manchmal sogar drei Bücher hintereinander.

Eine Bibliothek.

Ich stehe in einer riesigen, spärlich beleuchteten Bibliothek.

Meine Füße erzeugen kein Geräusch auf dem schwarzen Perserteppich, als ich langsam auf eines der Regale zugehe.

Es müssen aberhunderte von Büchern sein. Das dunkle Holz der Regale schimmert verheißungsvoll im dürftigen Licht der Lampen.

𝐭𝐡𝐞 𝐚𝐬𝐡𝐞𝐬 𝐲𝐨𝐮 𝐥𝐞𝐟𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt