nocturnus adversarius

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Sobald die Tür meiner Zelle hinter mir zufällt, rutsche ich mit dem Rücken an der Wand hinunter, bis ich auf meinem Bett sitze. Auf dem Schreibtisch sehe ich zwei Scheiben Brot mit Butter und Käse belegt. Kein Besteck. Ich beschließe es später zu essen.

Ashton hat darauf bestanden, dass was auch immer Francis und Gillian mir zeigen wollten ebenso gut bis morgen warten kann.

Ashton...wieso um alles in der Welt wollen die Rebellen ausgerechnet ihn auf dem Thron sehen? Ja, er ist- wie es scheint- durchaus wortgewandt und charismatisch und versteht offenbar, wie die Dinge laufen. Aber trotzdem...weshalb er? Es gibt genug andere sicherlich ebenso fähige Personen hier. Es muss noch etwas anderes dahinter stecken, dessen bin ich mir absolut sicher.

Ich stütze den Kopf in die Hände und atme ein paarmal tief ein und aus. Meine Lunge fühlt sich auf einmal zu klein an, als könne sie das benötigte Pensum an Luft, welches mein Körper gerade offenbar dringend benötigt nicht fassen. Ich fühle mich, als wären Tage vergangen, seitdem ich das letzte Mal wirklich geschlafen habe. Mein Kopf ist so voll mit Gedanken das ich glaube, er stellt jeden Moment den Dienst ein. Als würde er sich gleich ausschalten gehen und mich nutzlos zurücklassen.

Verdammt Avery, reiß dich zusammen.

Ich reibe mir die schmerzenden Schläfen und setze mich aufrecht hin.

Mein Blick wandert durch das fensterlose Zimmer, das trostlose Weiß der Wände ist makellos. Kein Fenster, kein Sonnenlicht- wenn es überhaupt Tag ist.
Gerade will ich mich doch auf das Bett schmeißen, in der Hoffnung ein wenig Schlaf zu finden, da hallt ein leises Klicken durch den Raum. Ich erstarre, mein Blick fliegt zu der Tür. Sie hat keinen Türgriff. Nur eines der schwarzen Kästchen wie das, das ich vor der Bibliothek gesehen habe, aber das ist außen angebracht.

Es existiert schlichtweg keine Türklinke und damit auch keine Möglichkeit die Tür von innen zu öffnen. Doch ich kenne das Klicken.
Es ertönt jedesmal, kurz bevor einer der Rebellen durch die Tür tritt.

Jemand hat die Tür geöffnet.
Bevor ich überhaupt weiß was ich tue, stehe ich vor der Tür und lege vorsichtig ein Ohr flach an die Oberfläche. Kein Atmen, kein Piepsen, nicht einmal der Hauch eines Geräusches.

Ohne die Augen von der Tür zu nehmen, entferne ich mich ein paar Schritte von dieser, die Hand blindlings nach dem Waschbecken in der Ecke ausgestreckt.

Dann berühren meine Hände endlich das glatte Kühl der Waschschüssel. Dort liegt eine Zahnbürste neben einer kleinen Tube Zahnpasta. Ich greife nach ersterer und schließe die Hand um das harte Plastik.

Sie hat ein etwas spitz zulaufendes Ende. Nicht optimal aber besser als unbewaffnet zu sein.

In Windeseile bin ich wieder an der Tür, ich weiß, dass sie sich in meine Richtung öffnet, also kralle ich die Finger in das etwas hervorstehende Türblatt und ziehe daran. Die Tür ist schwerer als gedacht, doch es gelingt mir, sie so weit zu öffnen, dass ich erst meinen Kopf und dann, als ich ihn zu beiden Seiten gedreht und festgestellt habe, dass der Korridor leer ist, auch meinen Körper durch den Schlitz zwängen kann.

Draußen verschwende ich einige kostbare Augenblicke damit, zu entscheiden ob ich die Tür offen stehen lassen soll, doch es erscheint mir klüger, sie zu schließen. Vielleicht verschafft es mir Zeit.

Ich wende mich nach rechts, einzig und allein aus dem Grund, das Ashton mich jedesmal nach links geführt hat.

Die Zahnbürste fest umschlossen, husche ich so leise wie möglich die Gänge entlang, diese bleiben glücklicherweise dunkel. Ich weiß nicht, wie lange ich gelaufen bin, als ich schließlich langsamer werde, um mein rasendes Herz zu beruhigen. Ein Blick in alle Richtungen verrät mir, dass ich mich jetzt in einem anderen Teil des Unterschlupfs befinde. Die Wände hier sind aus dunklem, grauen Stein und es ist kälter.

Je weiter ich gehe, desto kühler und dunkler scheint es zu werden. Doch meine Hände fangen an zu schwitzen und ich wische sie an meiner Hose ab.
Ich muss einen Weg hier heraus finden, ich muss zurück in den Palast und-

Als ich wieder aufsehe, steht ein Schemen vor mir.

Ich unterdrücke den Drang zu schreien und spanne die Muskeln an, bereit mich auf einen Kampf einzulassen, wenn es sein muss.
Doch dann schlägt die Person vor mir die Kapuze zurück und ich beiße die Zähne so fest aufeinander, dass mein Kiefer schmerzt.

Vor mir steht Falleen.
Die Augenbrauen hochgezogen und den Mund zu einer scheinbar wütenden Linie zusammengepresst.
"Weshalb bist du nicht in deiner Zelle?", ihre Stimme klingt mehr wie ein wütendes Knurren und ich schließe die Hand noch fester um die Zahnbürste.

"Ach, weißt du?", sage ich in dem Tonfall, von dem ich weiß, dass er sie zum Kochen bringt, obwohl meine Hände zittern. "Ich wollte mich nur ein bisschen umsehen. Wenn man den ganzen Tag in diesem schrecklich kargen Zimmer verbringt, wird einem schnell langweilig."

Ich schiebe die Zahnbürste meinen Ärmel hinauf, während Falleens Blick prüfend an mir hinuntergleitet. "Nun", meint sie schließlich, "deine Erkundungstour ist leider vorbei."

Ich straffe den Rücken und erwidere: "Das denke ich nicht."
Sie macht Anstalten meinen Arm zu packen, doch ich tänzle gerade noch rechtzeitig aus ihrer Reichweite.

Sofort rückt sie nach und landet einen kurzen, präzisen Schlag auf meinen Brustkorb. Überrascht schnappe ich nach Luft, doch Falleen zögert nicht eine Sekunde und rammt ihr Knie in  meine Magengrube. Mühevoll unterdrücke ich einen Aufschrei und blinzle hektisch, um die Tränen des Schmerzes zu vertreiben. Ich höre, wie Falleen lacht, als ich mir den Magen halte. "Du hättest in deiner Zelle bleiben sollen, Avery."

Ich beiße die Zähne zusammen und bleibe still, als hätte sie mir all die Kraft genommen.

Ich lasse meinen Körper ein wenig erschlaffen und halte den Kopf gesenkt. Doch ich sehe ihre Oberschenkel direkt vor mir. Wieder lacht Falleen und ich sehe, wie ihre Arme an ihre Seiten fallen, sehe, wie sie sich entspannt.
Wie dumm von ihr, denke ich, als ich die Zahnbürste noch fester packe und sie mit dem spitzen Ende nach vorne und einer schnellen Bewegung in ihren Oberschenkel ramme.

Sie schreit auf, doch da presse ich bereits meine Hände auf ihren Mund und bringe sie damit zum Schweigen.

Mit vor Wut aufgerissenen Augen, starrt sie mich an, doch ich lache nur.

Ich sehe, wie Blut aus der Wunde an ihrem Oberschenkel tropft und ihre Hose rot färbt.

Sie versucht sich aus meinem Griff zu winden, doch ich packe sie an den Haaren und zische:
"Lass es gut sein, Falleen, du kannst mich nicht-"

Etwas kühles drückt plötzlich gegen meine Schläfe und ein Klicken halt durch meine Ohren. Ich erstarre.

Eine Stimme direkt an meinem Ohr faucht: "Lass sie los oder ich puste dir auf der Stelle den Schädel weg."

Aus den Augenwinkeln sehe ich den schwarzen Bob, doch es ist ihre Stimme, die sie verrät.

Saige.

𝐭𝐡𝐞 𝐚𝐬𝐡𝐞𝐬 𝐲𝐨𝐮 𝐥𝐞𝐟𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt