Der Maulwurf

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Wir laufen etwa eine Stunde die Tunnel entlang, biegen so oft links oder rechts ab, dass ich komplett die Orientierung verliere.

"Hier entlang! Sie müssen hier unten sein!"

Mein Kopf schießt in Venkas Richtung. Sie hat die Lippen hart aufeinander gepresst, als sie ihr Tempo erhöht ohne einen Blick zurück.

Wir werden verfolgt.

Immer wieder prallen mehrere, gedämpfte Stimmen an den Wänden ab. Unverständliche Rufe und Schritte.

Der Weg ist schmal und direkt neben mir zu meinen Füßen fließt sämtliches Abwasser des Landes entlang. Der Gestank ist beinahe unerträglich, aber Venka bleibt kein einziges mal stehen.

Auch nicht, als ich keuche wie ein sterbendes Tier. Sie reicht mir lediglich einen kleinen, silbernen Flachmann, den ich entgeistert anstarre. Venka hebt eine Augenbraue. "Entweder das oder nichts."

Ich nehme den Flachmann mit einer säuerlichen Miene und setze ihn an meinen Lippen an. Die Flüssigkeit brennt, als sie meine Kehle herunter rinnt. Als ich mir unbeholfen eine Hand auf den Mund presse, um die Geräusche meines Hustenanfalls zu dämpfen, grinst Venka süffisant.
Ich gebe ihr die Flasche zurück.

Venka lacht und trinkt selbst einen großen Schluck.

Ich weiß nicht, wie lange wir gelaufen sind, doch irgendwann bleibt Venka stehen und betrachtet skeptisch die Tür neben uns. Auf unserem Weg sind wir immer wieder an solchen Türen vorbeigekommen und ich habe sie leise zählen hören.

"Nummer siebenunddreißig."

Sie drückt die Klinke herunter.
Nichts passiert.
Sie drückt erneut, stemmt sich mit dem ganzen Gewicht dagegen. Sie bewegt sich keinen Zentimeter.

"Bist du sicher, dass das hier die richtige Tür ist?"

"Willst du damit sagen, ich könnte nicht zählen?", fährt sie mich an und ich zucke zurück. "Entschuldige", murmelt sie. "Schon gut", sage ich gepresst.

"Komm her. Du musst mir helfen sie aufzustemmen."

Ich trete neben sie und Venka mustert mich kurz, bevor sie knapp erwidert: "Auf drei. Eins, zwei, drei."

Wir werfen uns gegen die Tür und Venka drückt die Klinke herunter. Nichts. Ich richte mich auf, reibe mir die schmerzende Schulter und sage: "Nochmal."

Nach unserem dritten Versuch, bewegt sich die Tür ein kleines Stück nach außen.

Die Stimmen hinter uns werden lauter.

Nach dem fünften Mal, steht sie so weit offen, dass wir uns beide mit einiger Mühe durch den Spalt quetschen können.

Als Venka sich hinter mir hindurchzwängt, sehe ich mich um.

Hinter uns fällt die Tür mit einem dumpfen Geräusch wieder zu.
Wir befinden uns mitten in einem Wald. Es scheint gerade dunkel zu werden.

Hecktisch drehe ich den Kopf in alle Richtungen, suche nach einem Lastwagen, einem Hinterhalt, einer bösen Überraschung.

Doch alles was ich sehe, sind dunkelgrüne Tannen mit tiefhängenden Ästen. Vor uns führt ein schmaler Pfad tiefer in den Wald hinein. Als Venka auf ebendiesen zusteuert, packe ich sie am Arm. "Wohin bringst du mich?"
Das rothaarige Mädchen blickt mir unbeeindruckt in die Augen und sagt dann langsam, als würde sie mit einem Kleinkind, das noch dazu schwer von Begriff ist reden.

𝐭𝐡𝐞 𝐚𝐬𝐡𝐞𝐬 𝐲𝐨𝐮 𝐥𝐞𝐟𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt