Erfrorene Herzen spühren keine Kälte

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Francis schweigt, während wir aus dem Speisesaal treten. Es fällt mir schwer mit ihm Schritt zu halten, denn für jeden Schritt von ihm brauche ich zwei. Wir gehen an meiner Zelle vorbei in Richtung der Tunnel, durch die ich gestern Nacht gewandert bin. Die bekannte Kälte legt sich wie das Hauchen eines amüsierten Gottes um mich und ich beginne zu frösteln. Francis neben mir scheint die Kälte garnicht zu spüren. Es bildet sich nicht einmal eine Gänsehaut auf seinen von dem T-Shirt nicht bedeckten Armen. Vielleicht spürt man keine Kälte, wenn man ein Herz aus Eis hat, denke ich boshaft.

Nach einer halben Ewigkeit bleiben wir vor einer massiv wirkenden Eisentür stehen. Einen Moment überkommt mich der unsinnige Gedanke, Francis könne mir vielleicht zur Flucht verhelfen. Kurz denke ich, dass hinter dieser Tür vielleicht meine Rettung wartet. Doch dann klopft Francis zweimal gegen das dunkelgraue Eisen der Tür und ich zucke zusammen, als sie sich gleich darauf öffnet.

Er bedeutet mir vorzugehen und ich verfluche mich, dass ich kein Messer oder eine Gabel vom Esstisch mitgebracht habe.

Ich gehe also durch die Tür und bei dem Anblick, der sich mir dort bietet, reiße ich die Augen auf.

Ich stehe in einem kleinen, rechteckigen Raum. Eine Wache steht mit ausdruckslosem Blick neben der Tür. Francis schickt sie weg.

Eine riesige Glasscheibe nimmt den gesamten Teil der linken Wand ein und hinter dieser Glasscheibe kann ich in einen anderen Raum blicken.
Er ähnelt meiner Zelle, komplett Weiß aber kleiner und anstelle eines Bettes stehen vier Stühle ordentlich aufgereiht in der Mitte des Raumes. Auf diesen vier Stühlen sitzen vier Personen.

Auf dem Stuhl der mir am nächsten ist, sitzt ein Mann. Er ist ungefähr vierzig Jahre alt und starrt mit wütender Miene stur gerade aus. Neben ihm sitzt eine schwarzhaarige Frau, ihre Wange ist geschwollen und des bilden sich die ersten Anzeichen eines großen, blauen Blutergusses. Doch ihr Blick ist klar und sie sitzt aufrecht. Auf dem nächsten Stuhl zappelt ein Junge hin und her. Er ist ein paar Jahre jünger als ich und seine Miene ist gezeichnet von purem Entsetzen. Der Mann auf dem letzten Stuhl trägt eine Palastuniform. Er sitzt komplett still da, den Blick direkt auf uns gerichtet, auch wenn ich mir sicher bin, dass wir sie zwar betrachten können, sie uns jedoch weder sehen noch hören können.

Diese Vermutung bestätigt sich, als Francis die Stimme erhebt: "Nun, Avery. Dies hier ist die Aufgabe, bei der du uns behilflich sein kannst. Diese vier Personen hier gehören zu uns Rebellen. Sie waren im Palast stationiert um ihn zu infiltrieren und andere Aufgaben von Interesse für uns zu erledigen."

Natürlich. Natürlich hatten sie bereits vorher Leute im Palast. Vermutlich sogar bereits vor dem Wettbewerb.

"Ich möchte bitte, dass du sie dir genau ansiehst", sein Tonfall ist mit einem Mal sanft und kehlig. Ich versteife mich. "Und dann wirst du mir sagen, ob dir einer hiervon bekannt vorkommt."

Ich drehe den Kopf um Francis anzusehen. Er lehnt mit verschränkten Armen an der Tür und versperrt mir somit- unwissend oder nicht- den Fluchtweg.

Nochmals riskiere ich einen Blick auf die Menschen hinter der Glasscheibe, halte aber meinen Blick so neutral wie möglich. Tatsächlich kommt mir keiner der vier bekannt vor, doch ich versuche es auf eine andere Art und Weise.

"Selbst wenn ich eine der Personen kennen würde...warum denkst du, ich würde es ausgerechnet dir sagen?"

Auf Francis' Gesicht breitet sich ein düsteres, beinahe diabolisches Grinsen aus, als hätte er genau mit dieser Antwort gerechnet. Als hätte er gehofft, dass ich diese Frage stellen würde.
Er tritt etwas zur Seite und öffnet die Tür, durch die wir gerade eben getreten sind. Zuerst sehe ich nur die Wache, die er vorher fortgeschickt hat. Aber hinter eben dieser erblicke ich ein mir bekanntes Gesicht.

Abelyn.
Das erste, was mir auffällt, sind die Handschellen um ihre Handgelenke. Dann bemerke ich die blauen Flecken. Sie sind überall. Auf ihren Armen, an den Beinen, in ihrem Gesicht. Ihr schönes Gesicht ist von Blutergüssen gezeichnet, einige sind bereits blau, andere scheinen frisch und rot.
Ihre Augen sind halb geschlossen, was aber eher an den Schwellungen zu liegen scheint, denn sie rümpft die Nase, sobald sie mich erblickt.

Entsetzt wirble ich zu Francis herum. "Was zum Teufel soll das? Warum ist sie hier?"

Francis begegnet meinem Blick unbeeindruckt und nickt schließlich mit dem Kinn in Abelyns Richtung.

"Abelyn hier, wurde von uns in der Nähe aufgeschnappt. Sie hatte sich doch tatsächlich den grotesken Gedanken in den Kopf gesetzt, dich zu befreien. Ihr ist es sogar gelungen ihre Familie, welche übrigens überzeugte Anhänger der Monarchie sind und bereits Zeit ihres Lebens gegen uns vorgehen, davon zu überzeugen, dich zu retten."

Er richtet den Blick auf Abelyn, die kein Zeichen gibt, ob sie uns überhaupt hören kann.

"Schade, dass meine inkompetenten Kameraden nicht nachgedacht haben und alle außer dich getötet haben", ich fahre zusammen, doch Francis zuckt mit den Schultern.

Sie haben Abelyns Familie umgebracht, ist das erste, was mir in den Sinn kommt. Und dann: Heißt das, sie ist auf meiner Seite?
Ich blicke wieder zu Abelyn. Doch diese sieht Francis jetzt aus geschwollenen Augen hasserfüllt an und als sie spricht klingt es undeutlich. Als hätte sie bei dem Kampf auch mehrere Zähne verloren. "Was willst du, Francis?", zischt sie.
Nichts an ihr erinnert mehr an die schnippische, arrogante Schönheit aus Sunnort.

"Oh, ich will vieles. Aber fürs Erste, wie wäre es wenn du mal einen Blick hinter die Scheibe werfen könntest", mit diesem Worten deutet er zu den vier Menschen hinter der Glasscheibe. Abelyns Blick fliegt zu den Personen und gleich darauf stößt sie ein schockiertes Keuchen aus.

Francis richtet sich auf, wirkt mit einem Mal wie ein Hai, der Blut gewittert hat. Ich will Abelyn packen, sie festhalten, damit sie ihm nicht verrät, was er wissen will. Doch da ist Abelyn bereits an die Scheibe gerannt und schreit einen Namen. Sofort drückt Francis auf einen Knopf und alle vier Personen zucken zusammen. Zuerst denke ich, er hätte ihnen irgendwie wehgetan, doch als Abelyn weiter schreit, sehe ich, wie der kleine Junge den Kopf in alle Richtungen herumreißt.

"Jax! Oh, Jax! Scheiße, was ist passiert?"

Der Junge beginnt zu schreien, doch die Systeme scheinen seine Stimme nicht zu übertragen. Einen Moment betrachten wir alle, wie sich der Mund des Jungen bewegt. Wörter formt, die wir nicht hören können.

"Halte durch, Jax! Ich hole dich da raus! Halte durch!"

Mit diesen Worten dreht sie sich in Francis' Richtung. Dann stürzt sie sich ohne Vorwarnung auf ihn.


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𝐭𝐡𝐞 𝐚𝐬𝐡𝐞𝐬 𝐲𝐨𝐮 𝐥𝐞𝐟𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt