Spion der Krone

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"Wieso bist du hier?", frage ich Venka außer Atem, als wir einen hohen, moosbewachsenen Berg hinaufsteigen, von dem aus wir Ashton zufolge, das ganze Gebiet überblicken und von dort aus auch schneller zum Palast gelangen könnten.

Venka sieht zu meiner Verwunderung in Ashtons Richtung, der weit über uns mit Leichtigkeit den Abhang hinaufklettert, als sie schließlich erwidert: "Ashton war derjenige, der mich...angeworben hat." Sie scheint zu zögern, aber dann redet sie weiter.
"Wer denkst du, hat mich überhaupt erst vor deinem Zimmer stationiert? Meine Beförderung, das war sein Werk."

Ich starre sie mit offenem Mund an.
"Aber wie hat er es geschafft, all die Jahre unentdeckt zu bleiben."

Jetzt zuckt Venka ratlos mit den Schulter. "Du hast ihn doch erlebt, oder? Wer würde denken, dass ausgerechnet er ein Spion der Krone
ist?" Ein Spion der Krone.

"Aber gibt es noch andere? Spione, meine ich?"

Das rothaarige Mädchen neben mir wirft mir nun einen eindeutig genervten Blick zu, bevor sie antwortet: "Das weiß ich nicht."

Mit diesen Worten erhöht sie ihr Tempo und lässt mich alleine zurück.

Das letzte Stück besteht nur aus einer steilen Felswand. Ich sehe gerade noch wie Ashtons Fuß oben dahinter verschwindet und hoffe inständig, dass danach nicht noch eine weitere Wand vor uns aufragt. Ich taste mühevoll nach der nächsten Kerbe in dem alten Gestein und ziehe mich weiter den Abhang hinauf.

Ich brauche eine halbe Ewigkeit um das Ende zu erklimmen. Als ich endlich oben angekommen bin, liege ich flach wie ein Seestern, die Arme und Beine von mir gestreckt auf dem staubigen Boden und keuche laut.
Neben mir sitzt Venka und reibt sich den Schweiß von der Stirn. "Man, so erschöpft war ich nicht mehr, seit Hunter mich gezwungen hat eine Woche lang mit ihm zu trainieren."

Ich spüre, wie eine Welle von Mitleid für das rothaarige Mädchen über mich hinwegrollt.

Bilder des riesigen, muskulösen Mannes fluten mein inneres Auge. Mit Hunter zu trainieren muss einer Folter gleichkommen.

Plötzlich legt sich ein Schatten über mich und ich hebe den Kopf ein wenig vom Boden, nur um Ashton zu erblicken, welcher, die Arme vor der Brust verschränkt, vor mir steht.

"Du stehst mir in der Sonne, hau ab", grummele ich, doch er lacht nur und dreht den Kopf zu Venka, die immer noch neben mir auf dem Boden sitzt.

"Wir sind fast da", sagt er und ignoriert meinen Kommentar. Als sich keiner von uns bewegt, fügt er hinzu: "Jetzt kommt, ausruhen können wir uns alle in der Hölle."

Als ich schließlich mühevoll auf die Beine komme, schmerzen meine Muskeln auf eine Weise, die mich beinahe dazu bringt, mich wieder auf den staubigen Boden fallen zu lassen.

Doch dann hebe ich den Blick und sehe mich um. Unter uns erstreckt sich ein Meer aus Bäumen. Dahinter aber liegt eine Stadt. Dutzende von Häusern verschmelzen zu einem beige-grauen Fleck. In der Mitte der Stadt ragt der königliche Palast in all seiner imposanten Fassade in den Himmel.

Als ich mich umdrehe, erhasche ich einen Blick auf Ashtons Gesicht. Er starrt den Palast an, einen undefinierbaren Ausdruck in den Augen. Kurz meine ich etwas wie Zweifel in den sonst so gleichgültigen Zügen des jungen Mannes zu entdecken, doch dann straft er nur die Schultern und kehrt dem Anblick den Rücken zu.

Ich werfe einen letzten Blick auf die Stadt und versuche mir vorzustellen, wie es den Palastbewohnern ergangen ist. Schließlich gab es einen Angriff. Haben die Rebellen auch versucht, den Palast zu zerstören?
Wie viele Menschen haben den Angriff überlebt?
Von Ashton weiß ich, dass die Rebellen bereits kurz nach meiner unfreiwilligen Abreise ebenfalls wieder in das Hauptquartier zurückgekehrt sind.

"Beeil dich, Avery", ertönt Venkas Stimme und ich atme die angehaltene Luft aus, bevor ich mich umdrehe und ihr folge.

Offenbar war Orientierung alles, was Ashton gebraucht hat, um den richtigen Weg zum Schloss zu finden. Sind wir davor noch etwas ziellos umhergeirrt, so folgen wir jetzt scheinbar einer genau bestimmten Route. Immer wieder muss Ashton sein Tempo verringern, damit Venka und ich ihn nicht aus den Augen verlieren. Er ist still geworden. Nicht einmal meine vollkommen miserablen Versuche, den dicken Wurzeln und fiesen, spitzen Steinen auszuweichen hat er kommentiert. Ab und an berät er sich mit Venka über nötige Pausen oder ihr weiteres Vorgehen. Ich höre nur mit halbem Ohr zu, bin ich doch viel zu sehr damit beschäftigt, mich für duzende verschiedene Szenarien, welche mich bei unserer Ankunft im Palast erwarten könnten zu wappnen.

Als wir schließlich Rast machen, lasse ich mich gegen einen dicken, ungemütlichen Baumstamm sinken und schließe die Augen. Inzwischen ist die Nacht über das Land hereingebrochen.

Unendliche Erschöpfung legt sich wie eine schwere Decke über mich, aber in meinem Kopf herrscht das reinste Chaos.

Was haben die Rebellen mit Abelyn gemacht? Haben sie dem kleinen Jungen wehgetan? Werden sie uns jagen? Ashton und Venka jagen?

Das bringt mich dazu meine schweren Augenlieder zu öffnen.

Ashton sitzt mir gegenüber an einen Baumstumpf gelehnt, eine Pistole in der Hand. Sofort versteife ich mich, doch er hat den Blick auf die Waffe gesenkt und nimmt immer und immer wieder das Magazin heraus, nur um es dann wieder hereinzustecken. Seine Handgriffe sind so geübt, sein Gesichtsausdruck so abwesend, dass das Laden und Entladen der Waffe vermutlich seine Art ist, seinen Geist zu beruhigen.

Einen Moment bleibe ich stumm und sehe ihm dabei zu. Es hat tatsächlich eine eigenartig beruhigende Wirkung, dieselbe Abfolge an Handgriffen wieder und wieder zu sehen. Keinerlei unnötige Bewegung, nicht die kleinste Abweichung. Routine. Ich starre so intensiv auf seine Bewegungen, dass ich erst etwas verspätet merke, dass sie aufgehört haben.

Als ich den Blick hebe trifft er direkt in Ashtons Augen. Er presst kurz die Lippen zusammen, dann sieht er weg.

"Was werdet ihr tun, wenn ich wieder im Palast bin?", frage ich nach einiger Zeit und deute vage auf Venka, die schlafend auf dem Boden liegt.

Ashton bleibt eine Zeit lang stumm. Dann antwortet er: "Venka wird uns morgen verlassen. Ich habe ihr den Weg gezeigt, den sie gehen muss."
Wie kryptisch, denke ich leicht genervt.

"Und du?", frage ich ihn.

"Ich werde dich in den Palast begleiten, jemand muss doch dafür sorgen, dass du dich nach all den Mühen nicht auf den letzten Metern verläufst. Außerdem habe ich noch etwas im Palast zu erledigen."

Ich lege den Kopf schief. "Arbeitest du für den König?"

Ashtons Blick verrät nichts, als er erwidert: "Ich arbeite für den Prinzen."

Ich starre ihn an. Tausende von Gedanken wirbeln in meinem Kopf umher und ich frage das erste, was mir in den Sinn kommt: "Du weißt also, wer der Prinz ist?"

Ashtons Mundwinkel verziehen sich spöttisch. Mist.

"Ach Avery, selbst wenn ich seine Identität kennen würde, denkst du ernsthaft, dass ich sie ausgerechnet dir verraten würde?"

Ich beiße die Zähne zusammen und verfluche mich innerlich für meinen Ausrutscher.

Also mache ich eine wegwerfende Handbewegung und zucke mit den Schultern. "Mir doch egal."

"Du solltest ein wenig schlafen", ist alles, was Ashton sagt.

Dieses eine Mal widerspreche ich ihm nicht, als ich die Augen schließe.

Hiii, ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen :)

𝐭𝐡𝐞 𝐚𝐬𝐡𝐞𝐬 𝐲𝐨𝐮 𝐥𝐞𝐟𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt