Zwischen Grau und Geborgenheit

150 7 0
                                    

"Wo ist Falleen?" Er grinst nur und sagt stattdessen: "Du hast die Ehre einer Führung durch diese bescheidenen Behausungen erhalten, du Glückliche."

"Ich Glückliche", wiederhole ich sarkastisch. "Was bist du eigentlich? Blakeleys Schoßhündchen oder sowas?" Das entringt Ashton tatsächlich ein Lachen. "Oder sowas", ist alles, was er schließlich dazu sagt.

Mein Gesichtsausdruck lässt Ashton komplett kalt, als er meinem Blick standhält. "Du hast ganz schön viel Mumm, Kleine. Ich hege keine Zweifel daran, dass wir uns bestens verstehen werden, solltest du dich dazu entscheiden, diese kindliche Sturheit abzulegen und endlich anfangen die richtigen Fragen zu stellen und jetzt komm mit."

Er legt die Hand auf meinen Rücken und schiebt mich sanft, aber bestimmt vorwärts.

Auf unseren Weg kommen wir an keinem einzigen Fenster vorbei. Wie lange ist es her, seit ich den Himmel gesehen habe? Das ewige Grau, Schwarz und Weiß der Wände hier hat sich in einen Strudel aus Trostlosigkeit und abgetöteten Hoffnungen verwandelt.

Nein. Wenn ich so denke, hat Blakely schon gewonnen.

Wir biegen um eine Ecke, dann um noch eine und bald stehen wir vor einer großen Tür. Fackeln sind zu beiden Seiten der Tür angebracht und jeweils eine Wache steht neben der Fackel. Die Gesichter ausdruckslos nicken sie Ashton zu, rühren sich jedoch nicht weiter.

Sie sind beide bewaffnet und das Emblem der Rebellen prangt golden und unübersehbar auf ihrer Brust. Das Licht der Fackel bricht sich darin und lässt mich blinzeln.

Ohne zu zögern tritt Ashton vor, legt seine Hände flach auf das Holz der Tür und stößt sie mit einem Ruck auf.

Wärme strömt mir entgegen und dann rieche ich Gewürze und Knoblauch und frisches Brot.

Der Raum ist großzügig beleuchtet und ein warmes Gefühl von Geborgenheit rollt über mich bevor ich es verhindern kann.

Der Raum, der eigentlich eher einer Halle gleicht, ist riesig. Drei riesige Langtische erstrecken sich bis an das hintere Ende des Raumes. Menschen sitzen an ihnen und Gelächter dringt an meine Ohren.

Dass ich an der Schwelle stehengeblieben bin, merke ich erst nach einer Weile. Ich spüre Ashtons berechnenden Blick auf mir, weigere mich aber, ihm in die Augen zu sehen.

Ashton beobachtet mich aufmerksam, wie ein Habicht, der jedes kleinste Stocken meines Herzens wahrnimmt, als wir zusammen weiter in den Raum treten. Zumindest bis jemand seinen Namen ruft.

Als ich mich in Richtung der Stimme drehe, blicke ich verwundert auf einen kleinen, blonden Jungen hinunter, der die kleinen Arme an Ashtons Bein geklammert hat. Ich denke schon, dass Ashton ihn einfach abschüttelt und weitergeht, vielleicht noch eine trockene Bemerkung hinterherwirft.

Doch stattdessen sehe ich verblüfft zu, wie er vor dem Jungen in die Hocke geht. Mit großen, glänzenden Augen sieht der Junge ihn an und sagt: "Sie mal Ash, ich habe meine erste Narbe bekommen!" Er streckt seine Hand vor Ashtons Gesicht und fuchtelt damit wild vor seinen Augen herum. Nach einer Weile greift Ashton sanft nach der sich unaufhörlich bewegenden Hand und hält sie fest, damit er die Narbe sehen kann.

Sie befindet sich an seinem Handrücken und zieht sich einmal quer darüber.

Ashton fährt sanft mit einem Finger über den roten Striemen und der Junge zischt, bevor er das Kinn hebt. "Die habe ich von Joel! Wir haben heute das erste mal mit den Dolchen gekämpft."

Ashton bleibt stumm, doch ich bemerke seine verkrampfte Haltung.

"Bin ich jetzt auch ein richtiger Rebell wie du? Du hast einmal zu Hunter gesagt, man brauche Narben, wie du sie hast um ein vollwertiger Rebell zu sein, du hast gesagt man müsse bluten um-"

"Das reicht."
Zum ersten Mal seit ich ihn kenne verrät Ashtons Stimme etwas über seine Gefühle. Sie klingt gepresst, fast wütend.

Der Junge verstummt und blickt ihn mit seinen runden braunen Knopfaugen an.

Als Ashton nichts weiter sagt, versucht der Junge es erneut:
"Ashton! Aber du hast doch auch-"

"Das reicht jetzt, Gregory." Sein eindringlicher Ton scheint den Jungen zu verwirren, doch er bleibt stumm. Anstatt zu protestieren, wendet er den Kopf in meine Richtung und fragt ruhig: "Wer ist das?"

Das provokante Lächeln auf Ashtons Gesicht ist zurück, als er sich aufrichtet und mit der Hand in meine Richtung deutet. Verschwunden ist der angespannte, eindringliche Ashton und der charmante, aber allem voran vorsichtige Rebell ist wieder an seine Stelle getreten.

"Das ist Avery", erwidert er und mit einem längeren, abschätzenden Blick in meine Richtung sagt er, "sie kommt aus dem Palast."

Gregorys Augen gleichen jetzt zwei Untertassen, doch ich sehe Misstrauen in ihnen aufflackern. "Wird sie mir wehtun?", fragt er auf diese offene Art, die Kindern wie ein Parfum anhaftet.

Ich mache den Mund auf, doch Ashton kommt mir zuvor: "Du wolltest doch immer wissen, wie es wirklich im Palast ist, also hier", er legt eine Hand auf meine Schulter und ich beiße die Zähne zusammen. "Ich bin mir sicher, Avery beantwortet nur zu gerne all deine Fragen."

Gregory's Mund steht offen und er blickt mich bewundernd an.

"Ashton", ertönt plötzlich eine unbekannte Stimme hinter uns. Wir drehen uns gemeinsam in die Richtung der Stimme und meine Augen landen auf einem Mann. Er ist ungefähr Anfang dreißig, hat rotes Haar und eisblaue Augen. Er stützt sich auf einen schwarzen Stock und in seinem Gürtel hängt eine Waffe. Sein wachsamer Blick fällt auf mich und er mustert mich grimmig. Dann sieht er wieder zu Ashton und beginnt leise auf ihn einzureden. So leise, dass ich ihn nicht verstehe. Ashton nickt ab und an und reibt sich das Kinn.

Dann sagt er: "Sie sollen erst mir Bericht erstatten, schick sie bitte in mein Arbeitszimmer. Ich werde gleich da sein."

Ich sehe zu, wie der Mann, der locker über zehn Jahre älter als Ashton ist den Kopf neigt und sich ohne ein Wort umdreht und aus dem Raum geht.

Als Ashtons Blick auf den meinen trifft hebe ich beide Augenbrauen. "Worum ging es da gerade? Wer soll zuerst dir Bericht erstatten?"

"Sieht so aus, als müsste ich unsere Führung verschieben, Kleine", er lächelt neckisch und dreht sich um, doch nach zwei Schritten auf die Tür zu, bleibt er an einem der Tische stehen und beugt sich zu den dort sitzenden Mädchen herunter. Er ist noch nahe genug, dass ich deutlich höre wie er sagt: "Einen guten Tag die Damen, wenn es euch nichts ausmacht, würde ich mein Anhängsel gerne in eure fähigen Hände geben."

Mir entgeht nicht, wie die zwei Frauen den Mund zu einem Lächeln verziehen und unter dichten Wimpern zu ihm aufsehen. Nachdem sie zugestimmt haben verabschiedet sich Ashton mit einem: "Heute Abend geht die erste Runde auf mich, bis dann", was den beiden ein Kichern entlockt, und verschwindet ohne einen Blick zurück aus dem Raum.

𝐭𝐡𝐞 𝐚𝐬𝐡𝐞𝐬 𝐲𝐨𝐮 𝐥𝐞𝐟𝐭 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt