Buenos Aires

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„Gracias, señorita", sage ich freundlich zu der kleinen Kellnerin, die mich etwas zu lange ansieht, als sie mir meinen Gin Tonic an den Tisch vor der kleinen Bar bringt.

Die Luft ist schwülwarm. Obwohl die Sonne schon vor Stunden untergegangen ist, sind es bestimmt noch knapp unter dreißig Grad Celsius und die Haut der ganzen jungen Menschen um mich – meine eigene eingeschlossen – ist von einem dünnen Schweißfilm überzogen.

Ich liebe diese heißen, südamerikanischen Nächte. Das stetige Brummen der Unterhaltungen auf Spanisch, gelegentliches Lachen und das Klirren der Gläser, wenn die Menschen gemeinsam ihren Tag ausklingen lassen.

Die Tatsache, dass ich allein an meinem Tisch sitze, ist mir überaus recht, denn durch meinen Beruf bin ich tagtäglich dazu gezwungen, von Menschen umgeben zu sein und so genieße ich die seltene Ruhe. Ich begnüge mich damit, die Einheimischen bei ihren üblichen Abendritualen zu beobachten, lächele mild vor mich hin und gehe nicht weiter auf die eindeutigen Blicke der kleinen Kellnerin ein.

„Una cerveza por favor*", höre ich jemanden mit einem eindeutig unargentinischen Akzent und drehe mich neugierig um. Ich halte mich in aller Regel fern von den touristischen Gegenden auf und mische mich lieber unter die lokale Bevölkerung, als von aufgeregten Amerikanern oder Europäern angesprochen und in Gespräche verwickelt zu werden.

Der Akzent gehört einem jungen Mann, etwa einsneunzig groß, mit dunklen, zerzausten Haaren und einem zerknitterten weißen Hemd. Seine Haut ist braungebrannt und auch ihn betrachtet die kleine Kellnerin ausgiebig.
„Soy Aída", sagt die Kleine und streicht mit ihrer Hand über seinen nackten Unterarm. Er tritt einen Schritt zurück und lächelt unbeholfen, als sie ihm eine Bierflasche reicht.
„Gracias", murmelt er und wühlt in seiner Tasche nach Geld. „Cuanto cuesta?**"
„Su número de teléfono***", entgegnet sie frech und seine Augen weiten sich für eine Millisekunde. Dann verzieht er sein Gesicht grübelnd und runzelt die Stirn.
„Tut mir leid", räuspert er sich. „Mein Spanisch ist nicht so gut."

Ich habe Mitleid mit ihm, denn ganz offensichtlich hat er ihre offensive Annäherung verstanden, möchte sich jedoch mit einer Notlüge aus der Affäre ziehen. Ich stehe auf, stelle mich hinter ihn und lege meinen Arm um seine schlanke Taille.
„Perdón", mische ich mich ein und sehe sie direkt an. „Ya tengo su número.****"

Die Augen der Kellnerin werden riesig und sie tritt überrascht zurück.
„Sí, sí", murmelt sie verlegen und blickt auf den Boden. Ich drücke ihr etwas Geld für das Bier in die Hand und ziehe den verdutzten Amerikaner mit mir zum Tisch.

„Äh... danke", murmelt er erleichtert und nippt an seiner Flasche.
„Nicht zu lange Augenkontakt halten", erkläre ich grinsend. „Latinas verstehen nur schwer ein nein und dann wird es oft unschön."
„Werde ich mir merken", sagt er verlegen und will wieder aufstehen.
„Bleiben Sie vielleicht noch kurz, sonst fliegen wir beide auf und dann wird es für mich unschön", bitte ich ihn und sofort lehnt er sich wieder an die harte Lehne des kleinen Stuhls.

„S-Soll ich Ihre Hand halten?", fragt er nervös und ich schüttele lachend den Kopf.
„Lieber nicht, sonst riskieren wir eine Verhaftung. Argentinien ist nicht besonders... liberal. Sie müssen also nicht so tun, als wären Sie homosexuell. Es war nur die galanteste Lösung, Sie aus ihren kleinen Klauen zu befreien", lächele ich und nippe von meinem Drink.

Der große Mann schnaubt leise auf und sieht mir dann tief in die Augen.
„Von so tun als ob wäre in dem Fall keine Rede", brummt er mehr zu sich selbst und setzt seine Bierflasche erneut an seine Lippen.

„Dann fühle ich mich nicht ganz so schlecht, dass ich Ihnen etwas zu nahe gekommen bin", gebe ich zu und betrachte wie seine langen Finger am Etikett seiner Bierflasche knibbeln.
Er schluckt deutlich und zuckt mit seinen Schultern. „Wenn man so weit weg von zu Hause ist, kommt einem nur selten jemand nahe", raunt er.
„Wem sagen Sie das?", erwidere ich und spüre, wie sein Schuh gegen meinen stößt.

Zufall? Ich denke nicht, denn sein Blick hält mich wieder gefangen und ich befeuchte meine Lippen mit meiner Zunge.

„Ich bin Milan", stellt er sich heiser vor und ich überlege kurz, ob ich ihm einen erfundenen oder meinen wirklichen Namen nennen soll.
„Raphael", entgegne ich schließlich und er nickt nur, ohne unseren Blickkontakt zu unterbrechen.

Ohne ein weiteres Wort und als hätten wir eine stille Vereinbarung getroffen, stellen wir beide unsere Getränke auf dem kleinen Tisch zwischen uns ab und stehen fast zeitgleich auf. Wie durch ein unsichtbares Band gezogen, folge ich Milan die kleine Gasse entlang zu einer größeren Hauptstraße, an der er zielgerichtet zu einem Taxistand geht und auf die Rückbank des vordersten Wagens klettert.

„Avenída Juan de Garay, por favor", weist Milan den Taxifahrer an und blickt mich eindringlich an.
Ich zögere kurz, denn ich kenne diesen Mann nicht, weiß weder wer er ist noch wohin er mich bringt. Doch der lange Tag, der hinter mir liegt, Jet Lag, Müdigkeit und vielleicht mein Bauchgefühl und die Einsamkeit, die oft mein Begleiter ist, lassen mich neben ihn auf den Sitz rutschen und schon setzt sich das Auto in Bewegung.

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* „Ein Bier bitte."
** „Wieviel kostet das?"
*** „Deine Telefonnummer."
**** „Ich habe seine Nummer schon."

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