Fifty

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Unruhig tigerte Cedric in seinem Büro auf und ab. Das stetige, eintönige Tuten des Telefons trieb ihn in den Wahnsinn, und dennoch hatte er nun schon zum dritten Mal die Anrufen-Taste betätigt.
Am Schreibtisch angelehnt, mit den Armen verschränkt und grimmigen Gesichtsausdruck beobachtete ihn Tony. „Mann, gib es auf", brummte jener schließlich genervt. „Der Kerl geht nicht ran, das können wir vergessen."
Cedric schnaubte, nickte dann aber und legte frustriert auf. Dann warf er das Telefon auf seinen Schreibtisch, wobei es beinahe heruntergefallen wäre.
Gestresst wischte er sich übers Gesicht und unterdrückte den seltsamen Drang, einmal seinen gesamten Frust und all die Verzweiflung herauszuschreien.
Er hatte sich mit Tony im Büro zusammengesetzt, um seinen halbwegs durchdachten Plan zu besprechen. Folgender sollte ungefähr so aussehen:
Wheatley kontaktieren.
Wheatley im Police Departement nach Akten suchen und diese aus Versehen mitgehen lassen.
Herausfinden, wo sich Spencer das letzte mal aufgehalten hatte.
Tonys Kinder bei Grams abliefern und sich mit ihm und Wheatley auf die Suche nach Allan machen.
Er hatte keine Ahnung, wie sehr er Wheatley vertrauen konnte, doch er hatte sehr auf dessen Angebot gebaut und gehofft, dass er sich sofort melden würde, wenn er anriefe.
Haare raufend stöhnte Cedric auf und ließ sich auf Allans Schreibtischstuhl fallen. Für seinen Plan war Wheatleys Mithilfe essentiell, und nun musste er sich schleunigst irgendwas neues einfallen lassen, bevor ihm die Zeit wegrannte.
„Lass uns doch einfach selbst ins Präsidium einbrechen", schlug Tony just in diesem Moment vor.
Cedric verzog das Gesicht. „Es war niemals die Rede vom einbrechen", widersprach er. „Wheatley hat mit Sicherheit einen Schlüssel. Er würde unbemerkt hereinkommen."
„Unbemerkt?", lachte Tony. „Schätzchen, hast du vergessen dass es dort wahrscheinlich Kameras gibt? Oder sind die nicht in deinem Plan mit inbegriffen?"
Cedric zögerte. Das hatte er tatsächlich vergessen, doch das würde er nicht zugeben, obgleich ihm klar war, dass Tony es so oder so wusste. „Das wäre der nächste Schritt gewesen", behauptete er.
Tony konnte sich wohl ein Grinsen nicht verkneifen. „Und der wäre?"
„Nun...", sagte Cedric lang gedehnt und rieb sich stirnrunzelnd den Nacken. Ihm fiel nichts ein, warum fiel ihm nichts ein? Normalerweise konnte er gute Pläne schmieden, wenn es um Vorgehensweisen für schwierige Fälle ging, doch heute war sein Verstand wohl vollends für die Tonne.
Vielleicht lag es daran, dass es um Allan ging— den Typen, der ihm sowieso schon jeglichen klaren Verstand raubte.
Abermals raufte er sich die Haare. Wie konnte er nur bloß immer so kurzsichtig sein?
Plötzlich wurden die beiden von einem lauten hämmern an der Tür aufgeschreckt. Tony wollte laut auffluchen, doch Cedric machte prompt einen Satz nach vorne und presste ihm eine Hand auf den Mund. Sei still formte er eindringlich mit den Lippen. Auf Tonys Nicken hin nahm er die Hand weg und legte sie stattdessen an seine Waffe. Dann schlich er rasch an die Tür heran.
„Mr. Lahey", ertönte eine bekannte Stimme da laut von draußen, „machen Sie sich keinen Kopf. Ich bin es nur, Wheatley."
Staunen zog über Cedrics Gesicht, und er richtete sich wieder zu voller Größe auf. „Wheatley?", wiederholte er, während er nach der Klinke griff und durch einen kleinen Spalt nach draußen schielte. Draußen in der Kälte stand tatsächlich der junge Officer, welcher sich nervös über die Unterlippe leckte und dann Cedric schief angrinste. „Ich habe Sie bereits gehört, Sheriff. Anschleichen bringt bei mir wenig."
Cedric übertünchte seine Verwirrung mit einem Naserümpfend und trat einen Schritt zur Seite, um den jungen Mann einzuladen. Wie selbstverständlich trat er ins Haus und setzte einen kleinen Rucksack von seinen Schultern mitten im Raum auf dem Boden ab. Cedric schloss die Tür und wechselte einen schnellen Blick mit Tony, welcher allerdings nur ratlos die Schultern zuckte.
„Haben Sie meine Anrufe nicht gehört, Wheatley?", wollte Cedric wissen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er den Polizisten siezen musste, obgleich er das in einer anderen Situation eher nicht getan hätte. In Josephina Hill gingen die Kollegen recht locker miteinander um; ging es nicht um Green, versteht sich.
„Natürlich habe ich sie gehört", erwiderte Wheatley in einer Mischung aus Verachtung und Belustigung. Dann führte er einen Stapel Papierkram aus seinem Rucksack zu Tage und reichte ihn unmissverständlich an Cedric weiter. „Allerdings wäre eine weitere Absprache mit mir nichtig gewesen, da ich mir Ihre weiteren Schritte bereits denken konnte. Zumindest hatte ich einen Verdacht, welchen Sie mir nun bestätigen können, schauen Sie da einmal drüber?"
„Was?", war das einzige, was Cedric von sich geben konnte, während er einen flüchtigen Blick auf die Unterlagen warf.
Ken Spencer.
Cedrics Herz setzte einen kurzen Schlag aus, als er den Namen oben links auf dem Papier las. Es war eine Kopie aus Spencers polizeilicher Akte. Als er hastig weiterblätterte, folgten nach dessen Lebenslauf und Personenbeschreibung sämtliche rechtliche Verstöße, die er in den vergangen Jahren begangen hatte. Wobei, gesammelt passte da wohl eher, denn die Kleindilikte hätten ihn bei der Häufigkeit eigentlich schon längst hinter schwedische Gardinen versetzen müssen.
Hinter Spencers Kopien folgten Greens Unterlagen, welche schon eher seine Neugier packten, doch er riss sich zusammen und legte seinen Blick prüfend auf Wheatley.
Der junge Polizist hatte abwartend die Hände hinter dem Rücken gefaltet, knabberte an seinen Lippen und wippte auf den Fersen herum. Er hatte Cedric die ganze Zeit unschuldig angeschaut und deutete nun ein leises Lächeln an.
Cedric verkniff sich ein Seufzen und reichte die Unterlagen an Tony weiter, welcher bis jetzt nur misstrauisch dreingeschaut und geschwiegen hatte.
„Wheatley", begann Cedric leise.
„Wie gesagt, ich hatte Ihr Gespräch mit Green mitbekommen", sagte Wheatley, als hätte er geahnt, was Cedric sagen wollte, und warf den Sheriff dabei abermals komplett aus der Bahn.
„Ich kann Ihre Auseinandersetzung mit meinem Vorgesetzten verstehen, ich finde ihn auch nicht ganz koscher", brabbelte er einfach weiter, „und da ich auch noch einen Blick auf Ihre Unterlagen, welche sie dabei hatten, erhaschte, wusste ich in etwa, wobei Sie Hilfe brauchten. Und da ich von dem Fall mit Spencer und dessen Familie, in welchen Sie verwickelt waren, gehört hatte, dachte ich mir, dass der Mann möglicherweise in das Verschwinden Ihres Fr–" er unterbrach sich mit einem Räuspern – „Ihres Kollegen verwickelt sein könnte." Sein Blick wandte sich Tony zu. „Übrigens, das mit Ihrer Frau tut mir leid, Mr. Hanks."
Tony knirschte mit den Zähnen und war kurz davor, ihn anzuknurren, doch Cedric legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.
„Wie kommen Sie zu diesen Schlüssen?", fragte er an Wheatley gewandt. Seine Erzählungen müssten ihn normalerweise misstrauisch machen, doch eher weckten sie sein Interesse.
„Ich war mit einem Kollegen für den Nachtdienst in dem Zellentrakt, in welchem Spencer saß, eingeteilt, als jener ausbrach", begann der Polizist, und Cedric konnte sich denken, worauf er hinaus wollte. „Ich hörte Geräusche am anderen Ende und ging nachschauen. Mein Kollege lag niedergeschlagen am Boden, eine Zellentüre ganz in der Nähe stand einen Spalt breit offen. Ich lief hin, rief per Funk Verstärkung, und vergewisserte mich, dass die Vitalfunktionen meines Kollegen in Ordnung waren, dann lief ich sofort in die Richtung, in der ich den Ausbrecher vermutete. Es war eine eigentlich verschlossene Tür, welche aber sperrangelweit offen stand. Sie führt zu Wartungsräumen, zu denen kaum Personal Zugang hat. Aber ich weiß, dass in einem der Putzräume ein relativ großes Fenster immer halb geöffnet steht, und wenn man ein wenig an dem Gitter herum ruckelt, kann man hinaus klettern. Das Gitter lag auf dem Weg, das Fenster war offen. Der fehlende Insasse war Ken Spencer. Und er hatte einen Brief hinterlassen, das teilten mir meine Kollegen mit, als ich wiederkam. Sie riefen Sie anschließend deswegen an, wenn Sie sich erinnern können."
Cedric nickte verstehend. „Und die Wartungsräume, wer hat Zugang zu ihnen?"
Wheatley lächelte milde. „Das können Sie sich doch bestimmt denken, Sir."
„Green?", schaltete sich Tony ein, nachdem er die ganze Zeit über mit halbem Ohr zugehört und währenddessen die Unterlagen durchgelesen hatte.
Gleichzeitig nickten die beiden Beamten.
„Aber kannst du dir das vorstellen, dass die beiden irgendwie zusammen unter einer Decke stecken?", halte Tony verwirrt nach.
Cedric ließ ein missmutiges Schnauben hören und rieb sich das Kinn. Unruhig tigerte er im Raum auf und ab. „Er hat es definitiv auf mich abgesehen, das war mir auch schon viel früher klar", sagte er bloß dunkel. Er musste an das denken, was Green über seinen alten Hilfssheriff, Lucas, und vor allem Allan gesagt hatte. „Wir waren schon immer Rivalen, und das ist auch ein offenes Geheimnis. Aber ich hätte nicht gedacht, dass er so weit gehen würde, um mir eins auszuwischen..."
„Ich kann es mir sehr gut vorstellen", mischte sich Wheatley mit ernstem Blick ein, und auch seine hohe Stimme hatte eine tiefere Tonlage eingenommen. „Ich sehe Green jeden Tag dabei, wie er sich das Recht herausnimmt, gegen irgendwelche Regeln zu verstoßen, allein seiner Position wegen. Und auch er ist nicht ganz sauber, aber das erzählt man sich nur hinter vorgehaltener Hand unter den weniger korrupten Kollegen, die schon älter sind."
Cedric nickte langsam und schmunzelte innerlich. Eine vorgehaltene Hand würde den jungen Polizisten mit Sicherheit nicht davon abhalten, irgendwelche Lästereien über den Chef des Polizeipräsidiums mitzubekommen.
„Wie schätzen Sie die Situation ein, Wheatley? Müssen wir vom schlimmsten ausgehen?"
Wheatley antwortete nicht direkt. Dann schaute er bedeutungsschwer auf die Unterlagen in Tonys Hand. „Ich würde sowohl Spencer, als auch Green alles zutrauen. Und ich hege keinen Zweifel daran, dass Sie mit Ihrer Vermutung bezüglich Dearings Verschwinden richtig liegen." Ihre Blicke trafen sich, und Wheatleys Augen waren dunkler als zuvor. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Spencer unser Mann ist. Und nach Dearings gesundheitlichem Hintergrund, gehe ich davon aus, dass er in Lebensgefahr schweben könnte."

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