Nachdenklich saß Rick in der großen Hollywoodschaukel in seinem Garten und beobachtete dabei seine Großmutter, welche gerade im Wohnzimmer Al's neue Verletzungen verarztete. Rick zerriss es wie immer das Herz, dass er Al nicht helfen, ihn nicht da raus holen konnte. Sie waren beide noch Kinder, viel zu jung, zu schwach, um sich zu wehren.
Wären Ricks Eltern noch da gewesen, hätten sie vielleicht eine Chance gehabt. Doch sie waren beide seit Jahren tot, und nur noch Ricks Großmutter war da, um auf ihn aufzupassen. Ihm Essen zu kochen und seine Kleider zu flicken, doch gegen einen zwei Meter großen Mann, welcher den besten Freund ihres Enkels misshandelte, aussagen, während dessen ehemalige Kollegen seine lächerlichen Lügen glaubten?
Nahezu unmöglich.
Er würde ihnen allen wehtun und dann war keinem geholfen.
Sie mussten eine andere Chance finden, um Al zu helfen.
Nur wie?Rick beobachtete, wie Grams Al an der Hand zu ihm führte. Obwohl Al schon fast vierzehn war, brauchte er diese Sicherheit, die von ihr ausging, als sie seine Hand in der ihren hielt und fest drückte. Rick lächelte ihn aufmunternd an. Al versuchte, es zu erwidern, doch es gelang ihm nicht wirklich.
„Ich mache euch etwas zu essen, meine Lieben", sagte Grams dann leise. Sie lächelte liebevoll, im Versuch, ihre Besorgnis zu verbergen.
„Danke", murmelte Al mit heiserer Stimme. Grams strich ihm liebevoll übers dunkle Haar. „Selbstverständlich doch, Schätzelein. Du bist hier immer willkommen."
Al lächelte ihr schwach zu. Grams machte sich auf den Weg zurück ins Haus und ließ die beiden Jungen allein im Garten zurück.
Unbehaglich trat Al von einem Bein aufs andere und starrte gebannt zu Boden.
Rick streckte eine leicht zitternde Hand nach ihm aus. „Al, komm zu mir", bat er leise.
Al blickte ihn zögerlich aus dem Augenwinkel an, doch dann nickte er und schlurfte auf ihn zu. Zaghaft ließ er sich neben ihm auf die Hollywoodschaukel nieder.
Rick betrachtete ihn eine Weile lang. Al trug ein Hemd von ihm, nachdem er mal wieder mit komplett zerrissenen Klamotten zu ihnen gelaufen war. Ricks Hemd war ihm noch ein kleines Stück zu groß, doch es war besser als nichts. Rick hatte ihm schon oft all seine zu klein gewordenen Klamotten geschenkt, doch unter solchen Umständen waren jene viel zu schnell hin.
Unter dem blütenweißen Stoff des Hemdes lagen Verbände und Pflaster, um Al's Blut zu verstecken und die Wunden vor Dreck und Entzündungen zu schützen. Al war mal wieder grün und blau, violett und rot gewesen, als er Rick und Grams seinen Oberkörper gezeigt hatte. Jason war wie immer so hinterlistig, ihm nichts zu brechen und sein Gesicht nicht allzu auffällig zu verletzen, damit niemand auf die Idee kam, sich Al richtig anzuschauen.
Und selbst wenn, hätte es ihnen nichts gebracht.Rick seufzte tief. Er streckte die Hände aus und legte sie um Al's dünnen, schmächtigen Körper. Al zuckte zusammen, doch dann suchte er sofort Schutz in den Armen seines besten Freundes. Er schlang die Arme um seinen Hals und vergrub das Gesicht an seiner Schulter. Beruhigend strich Rick ihm über den Rücken, drückte ihn fest an sich. Lauschte seinem eigenen Herzschlag, der sich immer beschleunigte, wenn er Al so nahe war, doch nun auch in der Angst um ihn, und streichelte sanft über dessen Haar. Die Hollywoodschaukel wiegte sich leicht im Wind. Rick ließ die Beine baumeln. Er betrachtete Al's Beine, welche angewinkelt an den seinen lehnten und in dreckigen braunen Hosen steckten. Er seufzte leise und drückte zaghaft die Lippen auf Al's Scheitel.
Al zuckte zusammen und hob mit fragendem Blick den Kopf.
Rick lächelte milde. Er strich durch Al's Haare, blickte ihm in die dunklen Augen. „Geht es dir etwas besser?"
„Bei dir immer", sagte Al schnell. Doch dann schrak er zusammen und lief puterrot an. Verlegen fuhr er sich mit der Hand durch die Haare.
Rick hingegen grinste. „Dann bin ich ja froh", wisperte er. Vorsichtig beugte er sich vor und drückte Al einen Kuss auf die Stirn.
Al blickte ihn neugierig an. „Rick, kann ich dich was fragen?", sagte er schüchtern.
Rick schmunzelte neckisch. „Das hast du schon, mein Lieber."
Al schnaubte und verdrehte gespielt beleidigt die Augen. Er zögerte, doch schließlich fragte er: „Warum küsst du mich immer?"
Dieses Mal spürte Rick, wie sich seine eigenen Wangen färbten. Verlegen zuckte er die Schultern und rieb sich den Nacken. „Es... fühlt sich einfach richtig an", murmelte er dann ehrlich. Unsicher blickte er Al an. „Magst du das nicht?"
„Nein, so war das nicht gemeint", sagte Al schnell. Er schien eine Weile lang zu überlegen, und dabei wurde sein Blick immer trüber, er wagte es nicht mehr, Rick direkt anzusehen. Nervös zupfte er an einer der kurzen Haarsträhnen, die ihm in die Stirn gefallen war.
Rick blickte ihn besorgt an. Er wusste, dass etwas nicht stimmte. Sanft umfasste er Al's Kinn und hob es an, sodass der Dunkelhaarige ihn ansehen musste. „Wie war es dann gemeint, Al?"
Al zögerte, rang mit sich selbst. Rick lächelte ihm aufmunternd zu. Schließlich seufzte Al. Er fasste nach Ricks Hand und löste sie von seinem Kinn. Langsam schwebten ihre Hände hinunter, bis sie auf Al's Knie zum stehen kamen. Al betrachtete nachdenklich ihre ineinander verschlungenen Finger.
„Hast du schon einmal drüber nachgedacht?", fragte er, „Wen du magst? Jungs oder Mädchen?"
Rick blinzelte ihn verwirrt an. „Was?"
„Na, ob du Mädchen oder Jungs lieber magst", sagte Al vage. Er zuckte die Schultern, blickte ihn flüchtig an.
„Meinst du... lieben?", fragte Rick schließlich zögerlich. Bei dem letzten Wort dachte er sofort an Al's hübsche dunkle Augen, die ihn nun wieder neugierig musterten.
Al nickte. „Also?"
„Ich... weiß nicht", stammelte Rick verdattert. Er mochte Al. Das wusste er. Sehr sogar. Vielleicht reichte es sogar für Liebe. Doch er war sich nicht ganz sicher, schließlich war Al sein bester Freund.
Oder mehr?
„Und du?", fragte Rick schließlich.
„I-ich glaube... ich glaub, ich mag Jungs lieber", murmelte Al ängstlich. „Aber Dad... er hat was dagegen. Er nennt mich 'Schwuchtel'. 'Lutscher'. Er sagt, wir sollen aufhören, so herumzuschwuchteln, erinnerst du dich?" Verzweifelt blickte Al zu ihm auf, in seinen Augen blitzten Tränen. Rick erinnerte sich daran, an diese Bezeichnungen, die ihn rasend machten, wenn er sie hörte, egal, ob er oder Al oder jemand anders gemeint war. Er hasste diese Worte.
Und es gab noch so viel mehr davon.
Er drückte Al's Hand fest. „Hör nicht darauf, Al", sagte er eindringlich und blickte ihm dabei in die Augen. „Er weiß gar nicht, was er mit diesen Worten anrichtet, und deshalb sind sie bloß unbedeutend."
„Aber..." Al holte tief Luft, sammelte sich. „Wenn ich schwul bin und er es herausfindet, was dann? Dann bringt er mich um, Rick, richtig? Dann prügelt er mich tot!"
„Das würde ich niemals zulassen!", entgegnete Rick ernst. Er legte die Hände an Al's kalte Wangen, beugte sich dichter zu ihm. „Niemand wird dir so etwas schlimmes antun, solange ich lebe. Das verspreche ich dir. Ich werde eine Lösung finden. Ich werde dich da rausholen und dann bleibst du bei mir, in Ordnung? So lange du willst. Am liebsten für immer."
Al lächelte traurig. „Das wäre schön", flüsterte er. „Aber ich glaube nicht, dass wir eine Lösung finden werden."
„Nein, glaub mir, die finden wir", beteuerte Rick. Zur Bestätigung drückte er Al wieder einen Kuss auf die Stirn, und dann noch einen auf die Wange. „Ich verspreche es dir, Allan. Hoch und heilig. Ich tue alles für dich, koste es, was es wolle."
Al schlang die Arme um ihn und schmiegte sich dicht an ihn. „Danke" murmelte er in Ricks Halsbeuge hinein. „Für alles."
Rick lächelte. „Immer doch, Al", erwiderte er und atmete tief durch. Selig schloss er die Augen, genoss Al's Nähe und dessen Umarmung. Er war glücklich. Glücklich, wenn Al bei ihm war, wenn er lächelte und redete.
Al machte ihn glücklich.
Nachdenklich streichelte Rick über Al's Haar. „Du, Al..."
„Ja?", kam es verschlafen von dem Jüngeren.
Rick lächelte. Behutsam legte er den Kopf auf Al's Scheitel. „Ich glaube, ich mag auch lieber Jungs."
Al lachte leise. „Dann sind wir ja schon zwei."
Rick schloss die Augen. „Ja", nuschelte er, „das sind wir..."
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Nur du zählst...
RomanceNachdem der Ex-Polizist Allan Dearing bei einem Einsatz schwer verletzt wird, verdammt ihn das Schicksal ins Büro. Und so wird er als Hilfssheriff in das kleine Dorf Josephina Hill versetzt. Doch dort wird ihm klar, dass sein Job ganz anders als ruh...