Sixtyfour

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Eine halbe Stunde später saß Cedric festgeschnallt im Rettungswagen und starrte regungslos auf seine Hände. Seine Kopfplatzwunde war versorgt und verbunden, doch trotzdem brummte ihm noch immer der Schädel.
Auf dem Weg zum Krankenhaus ließ er die letzten Ereignisse dieser Nacht Revue passieren.
Nachdem Spencer gefallen war, tauchten ganze zehn Einsatzkräfte auf, die etwas überfordert von der Situation schienen, aber wohl einen ziemlich guten Überblick der Situation hatten. Nachdem Cedric herausgezogen wurde, bekam er nur noch mit, wie Nolan und der benommene Polizeichef Green festgenommen wurden, während Sanitäter an ihnen vorbeirannten, um Kommissar Sperling aufzusammeln.
Am Treppenabsatz hatte Wheatley gesessen, der ihn gepackt und in eine heftige Umarmung gezogen hatte.
Wheatley war es gewesen, der die Verstärkung gerufen, den Fall erklärt und schließlich auf eigene Faust hinuntergekommen war, um Cedric im letzten Moment zu retten. Dafür war der Mann auf dem Hosenboden Stufe für Stufe in den Keller gestiegen und hatte allein durch die Ortung mit seinem absolutem Gehör Spencer im Dunkeln treffen können.

Cedric saß mit Sperling, der noch immer nicht bei Bewusstsein war, im Krankenwagen. Wheatley befand sich im Krankentransport, und die zwei lebendigen Täter wurden getrennt abgeführt.
Erst, als sie das Krankenhaus erreichten, wurde Cedric aus seiner Starre geschüttelt. „Ich möchte zu meinem Freund", murmelte er, als der Sanitäter ihn abschnallte. Dieser schaute zwar überrascht, aber nickte und sagte, das könnten sie sicherlich einrichten.
Doch das war nicht nötig, denn Dr. Leicester lief auf dem Parkplatz bereits auf den Wagen zu und empfing ihn. Sein besorgter Blick beunruhigte Cedric im ersten Moment, doch es schien nicht um Allan zu gehen.
„Cedric, du verdammter Tausendsassa! Kannst du nicht einen Tag mal etwas ruhiges machen? Kaffeekränzchen zum Beispiel?"
Unwillkürlich entschlüpfte Cedric ein Lachen, und er ließ sich von ihm in das Hospital führen. Mittlerweile war es schon hell geworden, und den geregelten Tagesablauf schien dieser Einsatz ziemlich zu stören, denn überall reckten Angestellte und Patienten die Köpfe, um etwas mitzubekommen. Doch die drei Polizisten, die sie begleiteten, sorgten mit tödlichen Blicken dafür, dass niemand zu nahe kam.
„Wie geht es Allan?", fragte Cedric gedämpft. Leicester lächelte. „Dem geht's prächtig. Also, den Umständen entsprechend. Keine Sorge, die richtige Medikation wird ihm nun endlich richtig helfen."
Erleichtert trat Cedric in das Krankenzimmer, wo Allan noch immer lag. Dieser war nun wach und hatte wieder etwas mehr Farbe im Gesicht, als er verschreckt aufschaute, bevor sich ein strahlendes Lächeln über seine Lippen streckte.
„Cedric! Oh Gott, was ist mit deinem Kopf?"
Rasch lief Cedric an Allans Bett und fiel in dessen ausgestreckte Arme. „Ach, nichts schlimmes. Nur eine kleine Platzwunde. Wie geht es dir, Al?"
„Viel besser", murmelte Allan und vergrub das Gesicht in Cedrics Halsbeuge. Sanft fuhr dieser durch sein dunkles Haar und gab ihm einen Kuss.
Plötzlich flog die Tür auf, und die zwei drehten sich um. Tony stand in der Tür, mit je zwei Sandwiches in den Händen, und erstarrte, als er Cedric erblickte. „Scheiße, du lebst noch?"
Cedric lachte auf. „Kannst du eigentlich nur ans Essen denken, Dickerchen?"
Auch Leicester schmunzelte. „Ich lasse euch dann mal alleine, damit ihr alles klären könnt. Nur vor der Tür bleiben die Beamten stehen."
„Die haben gerade nach meinem Ausweis gefragt, aber glücklicherweise bin ich ein ganzes Stückchen größer als die." Tony brummte.
Wyatt rollte die Augen. „Tolle Wachposten. Ich kümmere mich darum." Und damit war er aus der Tür.
Sofort fasste Allan nach Cedrics Händen und erweckte damit wieder seine Aufmerksamkeit. In seinen Augen spiegelte sich Trauer, Besorgnis, aber auch Erleichterung. „Was zum Teufel ist passiert?"
Cedric seufzte tief und strich ihm beruhigend über den Handrücken. Er wartete, bis auch Tony sich zu ihnen setzte, dann begann er, von den letzten Geschehnissen zu erzählen.

Es dauerte, bis Cedric vollständig geendet und jedes kleinste Detail der Geschichte wiedergegeben hatte. Dabei erzählte er auch vom Tod seiner Eltern, den er immer als tragischen Unfall in Erinnerung hatte. Als die alten, dunklen Erinnerungen in Verbindung mit den neuen zusammen aufkamen, konnte Cedric nicht anders, als ein paar Tränen zu vergießen. Er hatte seine Eltern nie wirklich gekannt, doch der Schmerz war dennoch da, und so groß gewesen. Nun war da nicht nunmehr Schmerz, doch auch Zorn.
Allan und Tony trösteten ihn sehr, und er war dankbar, dass sie einander hatten. Diese Zeit war für sie alle unglaublich schwer gewesen, und auch, wenn sie noch immer viele Fragen hatten, war es nun hoffentlich vorüber.

„Und Spencer ist nun wirklich tot?", murmelte Tony irgendwann zwischen zwei Bissen von seinem Sandwich. Derweil hatte Allan eine Hälfte mit seinem Freund geteilt. Das Essen tat gut, nachdem Cedric so lange am körperlichen Limit gewesen war.
Grimmig nickte er. „Das war ein einfacher Ausweg. Aber es ist besser so, als wenn er noch einmal Schaden hätte anrichten können."
„Ich frage mich nur, was Greens Motivation war", mischte sich auch Allan ein. Cedric blickte zu ihm hinunter. „Ich habe keine Ahnung. Er schien so... unter Druck gesetzt, als er und Spencer zusammen waren, anders als sonst. Als wäre er nur ein weiterer Mitläufer gewesen."
„Vielleicht hatte Spencer irgendwelche Mittel, um Green zu erpressen oder auf seine Seite zu ziehen", meinte Allan nachdenklich.
Dann klopfte es. Kaum dass Cedric „Herein" gerufen hatte, ging auch schon die Tür auf, und niemand anders als Grams erschien im Raum.
„Grams!", rief Cedric und sprang auf, um sie stürmisch zu umarmen.
„Langsam, Junge, ich bin doch schon alt", lachte Rosa und tätschelte sanft seine Wange. Dann packte sie sein Kinn und beäugte misstrauisch seinen Kopf. „Cedric Lahey, kann man dich nicht einen Abend lang alleine lassen?"
Cedric lachte leise. „Ach, deine Armbrust hätte ich echt gut gebrauchen können."
„Cedric!", schimpfte Rosa halbherzig. Dann seufzte sie. „Immerhin geht es dir gut, Schätzchen." Sie sah an ihm vorbei zu Allan und Tony, „und den anderen zwei Herren wohl auch einigermaßen."
Cedric konnte ein breites Lächeln nicht unterdrücken und nahm Grams' Hand, um sie zum Krankenbett zu führen.
„Allan, das ist meine Grams, Rosa. Grams, das ist mein Freund. Allan."
Bei dem Stolz, der in Cedrics Stimme mitschwang, lief Allan puterrot an und lächelte schüchtern. „Ich weiß", nuschelte er.
Auch Rosa lächelte herzlich und tätschelte Allans Wange. „Ach, wie groß du geworden bist, Allan. Und hübsch. Ist ja kein Wunder, wenn Cedric dir so verfallen ist."
Sie lachten, und Allan grinste.
„Hey, was ist mit mir? Kriege ich auch etwas Liebe ab?", schmollte Tony, weil er schon wieder zu kurz kam. Cedric rollte die Augen.
„Liebchen, einer nach dem anderen", sagte Grams und tätschelte auch ihn.
Mittlerweile hatte sie sich Rosa gesetzt, und Cedric legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Danke, dass du gekommen bist."
Rosa schaute zu ihm auf, in ihren Augen die stumme Frage, die sie noch nicht geklärt hatten. Doch Cedric musste nichts sagen, sie verstand auch so.
Sie hatte ihr Leben lang recht gehabt.
Rosa nahm seine Hand und küsste sie leicht. „Gut, dass es nun vorbei ist. Ich danke dir, Cedric. Du warst so tapfer und hast Allan beschützt. Ihr zwei seid so ein schönes Paar, ich wusste schon immer, dass ihr zusammen gehört." Leise schniefte sie und wischte eine Träne aus dem Augenwinkel. „Und du hast diesem Spencer in den Hintern getreten, der meine Babies auf dem Gewissen hatte."
Cedric drückte ihre Hand fest. „Spencer ist nun tot", erklärte er, „Sie haben ihn im letzten Moment erwischt. Er war ein wirklich unbarmherziger Mensch, bis zu seinem letzten Atemzug."
Rosa nickte und schaute die drei mit einem milden Lächeln an. „Doch siehst du, herzensgute Menschen kommen viel weiter als die, welche nur ihren eigenen Hass verbreiten wollen. Ich bin so stolz auf euch."

Nur du zählst...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt