꧁Marinette꧂

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Ich wusste nicht, wie lange sich ihre Augen in mich bohrten. Ihre grünen Augen durchdrangen mich, und ich fühlte plötzlich mich in die alte Zeit zurückversetzt, als sie noch ihr Nest aus Lügen gezielt spann und versucht hat, auch mich zu betrügen. Sie wollte meine Freundin sein und verstand nicht, weshalb ich damals so gegen sie zielte.
Jetzt, wenn ich genauer darüber nachdenke, konnte ich es selbst auch nicht verstehen. Wenn ich damals ihre Freundin gewesen wäre, hätte ich ihr zeigen können, dass sie nicht lügen braucht, um Freunde zu finden. Ich hätte für sie eine Freundin sein können, wie ich für Alya oder Luka war. Die Eifersucht die ich empfand ließ mich sie hassen. Ich blickte Lila in die Augen und musterte sie. Lila sah aus, als hätte sie schon viel in ihrem Leben gesehen. Zu viel schlimmes, um über meinen Anblick schockiert sein zu können. Die Wunde an ihrem Bauch schien sie auch nicht zu beeindrucken, obwohl ich fand, dass ziemlich viel Blut herausquoll. Auch wirkte sie, wenn man genauer hinsah, schwach und wackelig auf den Beinen.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, bis sie plötzlich zu mir stolperte und die Tür des Fahrstuhls mit all ihrer Kraft aufstemmte. Sie stöhnte vor Schmerzen auf, und als ich den spürte, die der schmerzhafte Druck verschwand, zog ich mein Bein sofort weg. Ich seufzte vor Freude auf, keuchte aber dann leise auf. Lilas kompletter Bauch war rot, ihre Hand schwarz. Selbst auf dem Metall konnte ich Blutabdrücke ausmachen. Sie sackte in sich zusammen und sah mich mit erschöpfen Augen an.

,,Lila, wir müssen hier raus", panisch nahm ich mir mein Jo-Jo und hielt Ausschau nach einem Fenster. Ich könnte über die Dächer dann in das Versteck gehen und Lila bei ihren Wunden helfen. Vor mir war ein Raum, unter dem Spalt konnte ich Licht erkennen. Da der Strom schon Anfang des Angriffes ausgefallen war, konnte es sich nur um Sonnenlicht halten. Triumphierend lächelte ich. ich spürte seit langem Mal wieder Hoffnung.

Ich wollte Lila gerade hoch nehmen, als sie unerwartet ihren Arm wegzog. Fragend sah ich sie an.
,,Ich kann deine Wunden versorgen. Du kommst hier lebend raus", versuchte ich ihr zu versichern, doch von ihr ertönte nur ein verächtliches Schnauben. Fassungslos sah ich sie an, dann aber fiel mein Blick wieder auf ihren Bauch.

,,Alle sind tot, Marinette", sie sah mich nicht an, ich konnte hören, wie ihre Stimme zitterte.
,,Der Angriff ist schiefgegangen. Wir sind die wahrscheinlich letzten beiden, die noch leben."
Sie hob ihren Kopf, durchdrang mich wieder mit ihren olivfarbenen Augen. Sie hatten inzwischen an Glanz verloren und waren matt. Langsam beugte ich mich zu ihr runter, packte sie sachte am Arm und erwiderte ihren Blick. Ich wusste, dass sie recht hatte. Calines Plan war alles andere als ein Erfolg gewesen. Sie hatte mit diesem Tag die kompletten Befreiten getötet. Wir beide waren die einzigen Befreiten, die noch atmeten. Wehmütig dachte ich an Luka und Kathleen. Auch die beide waren gestorben, nur weil Caline dieses Attentat für eine gute Idee hielt.

,,Du musst gehen, sofort", Tränen stiegen ihr in die Augen und kullerten ihre dreckigen herunter.
,,Du kannst alles rückgängig machen, Marinette. Mach, dass sich dieser Wahnsinn nie wieder wiederholen kann."
Sprachlos sah ich zu, wie sie langsam die Augen schloss, ihr Puls sich beruhigte und schließlich ganz aussetzte. Nie war ich dem Tod so Nahe gewesen wie jetzt. Ich hatte zwar Leute sterben gesehen, aber nie war mit jemand so vertraut gewesen. Ich hatte zwar nie das beste Verhältnis zu ihr gehabt, aber dennoch war sie seit meiner Jugend in meinem Leben. Sie hatte mir mein Bein operiert, obwohl sie wusste, dass sie dafür hätte getötet werden können. Sie musste es zwar tun, aber es bedeutete mir trotzdem was. Ich seufzte, stand auf und sah sie traurig an.

Ich nahm mir mein Jo-Jo, entfachte die lange Schnur und trat in den gegenüberliegende Raum. Mit all meiner Kraft trat ich gegen die Tür und sah mich um. Tatsächlich war auf der anderen Seite ein Fenster, welches sperrangelweit offen stand. Ich seufzte nochmal und sah auf die Tür.
,,Keine Sorge, es wird sich nicht wiederholen, dass verspreche ich", schwor ich und sprang aus dem Fenster.

Ich landete auf meinen Beinen und sah mich um. Ich hörte die panischen Rufe der Menschen, sah leblose Körper auf den Boden liegen. Weiter hinten sah ich eine Straße, die direkt hinein in die Stadt führte. Bei all dem Trubel hier könnte ich unauffällig fliehen und meinen nächsten Schritt planen. Ich wollte gerade anfangen, mein Jo-Jo zu werfen, als ich jemanden erblickte. Er sah mich mit seinen Augen an, die dem Tod näher waren als dem Leben. Die eisblauen Augen durchdrangen mich und ließen mich erschaudern, dennoch ging ich auf ihn zu. 
Gabriels Kleidung war verbrannt. Da, wo einst der Stoff die Haut berührte, waren blutige verbrannte Wunden. Er hatte nicht mehr viel Zeit, dies spürte ich. 

,,Ladybug", hauchte er, tat sonst aber nichts. Wie hypnotisiert beugte ich mich zu ihm runter und musterte ihn. Er war längst nicht mehr der mächtige Mann, der er vor zehn Jahren gewesen war. Er wurde zu einem Sklave seines Sohnes, so viel konnte ich mir denken. Außerdem war er alt geworden. Falten umrandeten sein Gesicht, Augenringe betonten seinen inneren Schmerz. 
,,Du kannst meinen Sohn retten. Du kannst Paris retten." 

,,Du hast Paris in diese Lage gebracht!", zischte ich, aber blieb. Ich wollte hören, was er zu sagen hatte, auch wenn es wahrscheinlich besser wäre, zu verschwinden, bevor eine von Adriens Lakaien kommt. 
,,Ich wollte doch nur Emily retten. Nach ihrem Selbstmord ... sie konnte doch nichts dafür. Ich hatte nicht genug Zeit, zu retten", immer wieder wiederholte er dies drei Sätze. Dass war also mit der Mutter von Adrien geschehen. Sie hatte sich selbst das Leben genommen. Ich überlegte schnell, konnte mich aber nicht daran erinnern mal in den Medien gehört zu haben, dass sie psychische Probleme hatte. Gabriel hatte alles gut verschleiert, dies musste man ihn lassen. Niemand hatte geahnt, dass sie Tod sein könnte. Viele haben mehr vermutet, dass sie eine Pause brauchte von all dem Stress. 

,,Der Ultimative Wunsch sollte sie retten, sie gesund machen, doch das wollte ich nicht. Ich wollte Adrien dafür nicht opfern."
,,Ich muss das alles ungeschehen machen", sagte ich eindringlich. Schwach nickte er. Langsam erhob ich mich, doch plötzlich hielt er meine Hand. 
,,Auf deiner alten Schule ... in der Bibliothek ... du musst das Lesen, um zu verstehen, was er ist."

Ich löste mich von seinem Griff und sah mir den alten Mann nochmal an. Er wirkte auf einmal so schwach und gebrechlich. Es lag nicht daran, weil er gerade im Sterben lag, es war etwas anderes. Er wusste, dass es vorbei war. Sein Wunsch, seine Frau zu sehen hatte ihn umgebracht. Nun würde er auf anderen Wege mit ihr vereint sein. 
Ich rannte los, Richtung Schule. Zwar konnte es eine Falle sein, aber seine Wortwahl. Er hatte seinen Sohn so beschrieben, als wäre es nicht mehr Adrien, sondern wer anderes. 
Eines war mir auf jeden Fall klar: Ich konnte nicht länger zögern. Ich musste endlich was gegen Adrien tun, wenn er überhaupt noch lebte. 

,,Sei nicht albern", sagte ich zu mir selbst. Nichts und niemand konnte ihn töten. 

Nur ich konnte es. 

Die Geschichte von Marinette Dupain-Cheng und Adrien Agreste IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt