꧁Marinette꧂

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Ich legte meinen Kopf in den Nacken und begann zu überlegen. Ich schloss meine Augen, um mich besser in die Situation hineinversetzen zu können. Vor meinem inneren Auge hatte ich Gabriel besiegt, Paris befreit und Adrien wieder zu dem gemacht, der er einst war. In meinen Händen halte ich eine Schusswaffe, mit der ich das Leben von Hawk Moth ohne große Mühe beenden könnte. Kniend sitzt er vor mir, die Waffe halte ich an seinen Kopf. Unsere Blicke treffen sich. Seine Augen sehen mich voller Trauer und Leid an. Meine Finger gleiten langsam zum Abzug. Plötzlich beginnen meine Hände an zu Zittern. Als wäre es ein Reflex schmeiße ich die Waffe weg und reiche Gabriel meine Hand.
,,Ich vertraue dir zwar nicht, Gabriel", sage ich ernst zu ihm, ,,aber ich glaube an das Gute in den Menschen. So auch in dir."

Ich öffnete meine Augen. Zwar hasste ich Gabriel über alles, aber nur die Vorstellung ihn zu töten würde mich veranlassen, ihm am Leben zu lassen. Überrascht setzte ich mich wieder gerade hin und senkte den Kopf. Was war ich für eine Ladybug, wenn ich zu unfähig war, die Verantwortlichen für diese Situation zu töten? Was war ich denn nun? Eine gute Heldin, oder eine schwache und unfähige Heldin?

,,Ich könnte ihn auch nicht töten, Luka. Ich kann es mir nicht einmal vorstellen, sein Leben zu beenden. Ich könnte nicht damit leben, jemanden ermordet zu haben. Ich bin einfach zu schwach."

Luka hob mit seiner Hand langsam meinen Kopf hoch und sah mich an. Sein Blick war freundlich wie immer, aber da war mehr. Ein vertrautes Glänzen, was kaum zu sehen war, wenn man ihn nicht kannte. Er war glücklich und verurteilte mich nicht. Er hatte Verständnis.

,,Mit der Entscheidung, ihn nicht zu töten, bist du wohl die stärkste Ladybug, die es bisher jemals gab. Gabriel war in deinem Leben für so viel Leid verantwortlich. Du beschließt ihn aber nicht zu töten, was zeigt, dass du fähig bist, Rache auszuschlagen und den richtigen Weg zu gehen. Du bist stark, auf jede erdenkliche Art!"

,,Ist der richtige Weg denn auch wirklich der Beste? Gabriel ist ein Monster! Er wird so lange morden, bis er sein Ziel erreicht hat. Wenn er den Ultimativen Wunsch bekommt, ist alles verloren, und das weißt auch du!"
Luka räusperte sich und stand auf. Zielsicher ging er zu seinem Bett und holte darunter einen kleinen Schuhkarton hervor. Er strich sachte drüber, nahm sie und setzte sich mit der Box neben mich. Noch einmal kurz sah er abwesend auf die Box, bis er sich schließlich wieder an mich wandte.

,,Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als Adrien Paris erobert hat. Ich hatte ein bisschen Gitarre gespielt und auf Juleka gewartet, als es plötzlich lautstark an unserer Tür geklopft hatte. Ich hatte mir schon Gedanken gemacht, als es aber plötzlich aufhörte, dachte ich mir nichts dabei. Als ich aber dann den ersten Schuss hörte, sprang ich auf, verließ mein Zimmer, ging zu Juleka und suchte meine Mutter. Ich fand sie, tot auf dem Boden. Oben auf dem Schiff konnte ich laute Schritte und Schreie hören. Sie schrien unsere Namen! Ich wusste sofort was zu tun war: ich floh mit Juleka in die Innenstadt und versteckte uns vor der neuen Regierung. Mir war klar, dass sich mein Leben für immer verändert hatte.

Ein paar Monate lebten wir auf der Straße. Wir sahen, wie sofort die Hälfte aller Bewohner verschwand und die andere Hälfte langsam in sich zusammenbrach. Die Regierung log die Bewohner an, um ihre Kinder zu kriegen. Sie versprachen ihnen ein schönes Leben in der Oberschicht. Die, die es glaubten und ihre Kinder weggaben, hörten nie wieder was von ihnen. Die Eltern, die sich weigerten, wurden getötet und verloren zeitgleich ihre Kinder an das System."

,,Wie konnte Juleka dann in die Hände von Gabriel gelangen, wenn ihr beide euch so gut versteckt habt?"

,,Wir hatten den falschen Menschen vertraut. Ich weiß nicht wer, aber jemand hatte uns verraten. Wir wurden aus dem Schlaf gerissen, als plötzlich die Soldaten in unser Loch stürmten, Juleka ein Serum gaben und mit ihr verschwanden. Sie schlief während ihrer gesamten Entführung. Mich ließen sie zurück. Adrien hatte wohl befohlen, nur sie zu holen, denn mich ignorierten sie nur und als ich mich wehrte, wurde ich bis in die Ohnmacht zusammengeschlagen. Mit einem Verbündeten schmiedete ich einen Plan, wie ich sie am besten zurückholen könnte. Eines Morgens aber spürte ich plötzlich eine Leere in mir, als würde etwas fehlen. Als würde ein Teil langsam verschwinden. Da wusste ich, dass sie tot war."

Eine Träne rollte über das gefasste Gesicht von Luka. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er sich gerade fühlte. Er hatte seine Schwester verloren, den wohl wichtigsten Menschen in seinem Leben. Tröstend legte ich meine Hand auf seine Schulter. Ich wünschte, ich könnte ihm Juleka und seine Mutter wiedergeben. Er hatte so ein Leben nicht verdient. Luka hätte seine Musik bekannt machen sollen, feiern gehen und sein Leben leben. Stattdessen sitzt er hier und schmiedet Pläne zur Rettung Paris. Innerhalb wurde er von einem Teenager zum Erwachsenen.

,,Als sie starb, ging ich zu meinem alten Haus zurück, nahm mir ein paar Sachen von ihr und verschwand. Dabei fand ich das", er öffnete die Box und legte behutsam ein paar Sachen neben sich. Ich nahm mir ein Bild, wo wir alle zusammen drauf waren: Rosé und Juleka auf der linken Seite, in der Mitte ich und Alya, und neben Alya Nino, Luka und Adrien. Er lächelt schüchtern in die Kamera. Ich seufzte leise in mich hinein und legte es wieder hin.

Luka gab mir ein anderes Bild. Es war auch ein Gruppenfoto, diesmal nur ohne Luka, Nino und Adrien. Es war von uns vier, alle Arm in Arm. Lachend. Glücklich. Unbekümmert.

,,Es ist ein nur ein Bild, es zeigt meine Schwester aber so glücklich wie noch nie. Es zeigt mir, dass sie großartige Freunde hatte. Es soll dir gehören."

,,Luka, ich kann das nicht annehmen! Das ist einer deiner letzten Erinnerungen an Juleka", meinte ich leise. Er aber packte die anderen Sachen schon ein und stand auf, um die Kiste wieder unter sein Bett zu verstauen.

,,Es ist zwar einer meiner Einzigen, aber nicht die Letzte. Auch du hast das Recht, etwas von ihr zu haben. Du hast genauso viel verloren wie ich, wenn nicht sogar mehr. Du brauchst sowas, um dein Licht nicht zu verlieren, Marinette. Denn dein Licht ist die Hoffnung eines anderen."

Er lächelte mich an, als er den Raum verließ und mich allein ließ, mit dem Bild in der Hand.

Die Geschichte von Marinette Dupain-Cheng und Adrien Agreste IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt