Von Gitarrenanhängern, Tautropfen und Eulen

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Leya Point of View

Wenn man in eine Welt geriet, die einem völlig fremd war und die man nicht verstand, war das die eine Sache. Wenn man in diese Welt geriet, mit einem Jungen den man noch viel weniger verstand, war das noch einmal eine völlig andere Sache. Eins stand fest, wenn nochmal jemand sagte, Mädchen wären kompliziert, würde ich schreien. Denn dann hatten sie definitiv noch keinen einzigen Tag mit Elijah verbracht. Der hatte schlimmere Stimmungsschwankungen, als Reena, Claire und ich zusammen, wenn wir unsere Tage hatten. Frustriert saugte ich die Luft zwischen meinen Zähnen ein und ließ meinen Kopf in meine Hände fallen. Wie sollte ich es länger als ein paar Tage mit ihm auf engstem Raum aushalten ohne ihm wahlweise an die Gurgel zu gehen oder - noch schlimmer - ihn ausversehen zu küssen. Alleine schon bei dem Gedanken wurde mir heiß - vor
Abscheu natürlich. Wie hatte ich auf die dämliche Idee kommen können, das mit ihm und mir würde schon irgendwie funktionieren? Verdammt, nur weil er keinen extremen Trigger für mein Trauma darstellte, war es noch lange keine gute
Idee, das vollkommen auszureizen. Vor allem, weil Elijah es schaffte alle Schutzmechanismen außer Kraft zu setzen, indem er mich einfach so lange reizte, bis jeder Wall den ich um mich herum aufgebaut hatte in Flammen aufging. Alles an ihm war widersprüchlich und es machte mich
wahnsinnig, dass er mich dazu brachte die Kontrolle über mich und die Situation zu verlieren. „Hier". Mit einem mürrischen Seufzen ließ Elijah das Kästchen in meinen Schoß fallen und sofort begann es Richtung Boden zu kullern. „Hey, pass doch auf!",ermahnte ich ihn und fing es gerade noch rechtzeitig auf. Neugierig betrachte ich das
Kästchen. Irgendwie waren meine Augen nicht in der Lage es richtig zu erfassen. Wenn ich eine Sekunde lang dachte, dass ich es geschafft hätte, schien es mit einem Mal größer zu sein oder seine Form geringfügig zu verändern obwohl ich genau
spürte, dass das nicht so sein konnte, weil es sich in meinen Händen die ganze Zeit gleich anfühlte. Elias, der mir meine Verwirrung wohl aus dem
Gesicht abgelesen haben musste, setzte ein wissendes Lächeln auf und erklärte: „Das
liegt an seiner Funktion. Dadurch, dass er die Größe und Gestalt von Gegenständen
verändern kann, ist auch seine Gestalt etwas, das sich nicht unbedingt an feste Formen hält. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit, also hört mir zu, damit ich euch erklären kann, wie genau ihr ihn benutzt, damit du eine Gitarre bekommst und den
Code knacken kannst".

Das Ganze lief relativ unspektakulär ab - wie es schien, war eine Gitarre für mich zu beschaffen, eine der unproblematischsten Dinge an unserer Mission. Ein Mann der aus dem Nichts auf unserem Lagerplatz auftauchte und sich als John - der Portalmeister von dem Team - vorstellte, überreichte mir eine Gitarre und zeigte mir anschließend, wie ich Mini-/Maximator - kurz MiMax - benutzen konnte um die Gitarre zu einem handlichen Accessoire zu schrumpfen, dass ich an einer Kette festclippen konnte. Vorsichtig strich ich über die Gitarre, als würde ich erwarten, dass sie sich jeden Moment in Luft auflöste. Das vertraute Gefühl von dem hohlen Holzkörper und den Saiten trieb mir fast die Tränen in die Augen. Doch dieses Gefühl verschwand, sobald ich die Saiten anklingen ließ, denn diese waren einfach grauenhaft verstimmt. Ich verzog das Gesicht. „Wer hat dich denn so misshandelt?", fragte ich leise und begann die Gitarre zu stimmen. Dann schloss ich die Augen und begann ein paar vertraute Melodien zu spielen um ein Gefühl für die Gitarre zu bekommen. Ihr Klang war ein wenig heller, als ich es von meiner bevorzugten Gitarre gewohnt war, aber darauf konnte ich mich einstellen. Als ich das Gefühl hatte, mich jetzt genug vertraut gemacht zu haben mit der Gitarre, wappnete ich mich für den Schmerz, der mich zweifellos überkommen würde, wenn ich die Entschlüsselungsmelodie spielen würde. Sie war kompliziert, aber ich wusste, dass ich sie nicht vergessen hatte, dazu war sie zu sehr ein Teil von mir. Diese Melodie hätte ich mit geschlossenen Augen und Ohrstöpseln spielen können. Ich hatte es vermieden sie zu spielen, seit mein Vater von einem Tag auf den anderen einfach verschwunden war. Denn egal wie viele schöne Erinnerungen ich auch mit ihr verband, seit mein Vater verschwunden war, fühlten sie sich alle an wie mit Säure übergossen. Ich schloss die Augen und ließ mich fallen, in den vertrauten Rhythmus, den meine Finger vorgaben. Alles um mich herum rückte in den Hintergrund. Ich vergaß, dass Elijah neben mir stand, ich vergaß, dass wir eigentlich aufbrechen wollten und ich vergaß, dass auf meinen Schultern das Gewicht einer ganzen Welt lastete. Das war alles unwichtig in dieser Blase der Vergangenheit. Ich merkte erst, dass ich angefangen hatte zu weinen, als eine sanfte Berührung an der Wange mich aus meinen Gedanken riss. Unbemerkt von mir hatte Elijah sich neben mich gesetzt und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Diese mitfühlende Geste brachte mich völlig aus dem Konzept. Seit wann hatte Elijah eigentlich angefangen nett zu mir zu sein - von stichelnden Bemerkungen einmal abgesehen? Wie sollte ich ihn denn hassen, wenn er sich offensichtlich genauso hinter seinen schroffen Bemerkungen versteckte, wie ich mich hinter meiner abweisenden Kälte? Ich wollte seine Hand beiseiteschieben, doch meine Finger gehorchten mir nicht blieben auf seiner liegen. Ich wandte meinen Kopf in seine Richtung blieb an seinen Augen hängen. Das Grün leuchtete so intensiv, dass die blauen Sprengsel wie kleine schimmernde Tautropfen aussahen, die in einem Moosbett lagen. Mir stockte der Atem. Wie konnten Augen bloß so schön aussehen. Elijah sah gerade so verletzlich aus, dass ich den Blick abwenden musste, weil sich dieser Moment so intim anfühlte - als hätte ich etwas gesehen, das ich nie hätte sehen sollen. Ich spürte wie Elijah sich versteifte und ruckartig seine Hand wegzog. Ohne ein Wort zu sagen oder mich auch nur anzugucken stand er auf und entfernte sich mit hastigen Schritten. Wieder allein mit meinen Gedanken starrte ich die Gitarre an, als könnte sie mir die Lösung des Rätsels verraten - so wie sie es immer getan hatte.

In einer anderen Zeit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt