Kapitel 13

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Abends liege ich wie so oft noch lange wach. Der heutige Tag war schön gewesen, keine Frage. Wir hatten die Filme gesehen und uns über die Charakterfehler und sonstiges unterhalten. Loki selbst ist mir aber immer noch ein Rätsel. Er ist so widersprüchlich. Er ist ein Mann, der sich für so viele Dinge interessiert, frei seine Meinung sagt. Er hat so vieles erlebt, er weiß so vieles und doch habe ich manchmal das Gefühl, als hätte er sich selbst noch nicht gefunden. Er scheint keinen festen Halt zu haben.

Schlagartig, als ob jemand einen Schalter umgelegt hat, kommen die Fragen zurück. Die Fragen über Loki, die Fragen über die Welt. Sie bombardieren mich, füllen meinen Kopf aus. Ich versuche sie zu verbannen – erfolglos. So sehr habe ich die Ruhe der letzten beiden Tage genossen, dass sie mich jetzt heftiger als je zuvor überrennen. Ich schließe die Augen, zwinge mich dazu ruhig zu atmen – die aufkommende Panik zu unterdrücken.

Ich beiße mir auf die Unterlippe um nicht laut aufzuschreien. Die Unwissenheit, die unbeantworteten Fragen scheinen mich von innen heraus zu zerstören.

Mir wird schwarz vor Augen.

Ich finde mich in der weißen Unendlichkeit wieder. Angst habe ich keine mehr, sie scheint verraucht zu sein. Ich stehe auf und schaue mich um. "Hallo Jocy", sagt die Stimme wieder aus dem Nichts. Ich drehe mich um, weiß aber, dass ich niemanden sehen werde. "Ich habe dich erwartet!" Die Stimme kommt mir bekannt vor, ich habe sie schon einmal gehört. "Ja Jocy, du kennst mich." Ein Mann tritt aus dem Weiß und bleibt vor mir stehen. Er scheint hier so fehl am Platz zu sein, als ob die Unendlichkeit durchbrochen wird. Er ist komplett in weiß gekleidet und unterscheidet sich kaum von seiner Umgebung, wäre da nicht etwas, was diese Einheit stört. Die mir wohlbekannten, stahlblauen Augen schauen mich freundlich an. Mehr nicht. Sie bohren sich nicht durch mich hindurch, nein, sie schauen mich einfach nur an. Ihr Glanz ist kein bisschen geschwächt, aber ihre Wirkung ist nicht mehr dieselbe.

"Ich hätte dich nicht hier erwartet!", sage ich. Er wirkt nicht mehr einschüchternd, hier sind wir gleich, wo auch immer wir sind.

"Ich dich auch nicht Jocy, noch nicht jetzt!", antwortet er mir.

"Wie noch nicht jetzt?", ich bin verwirrt, auch wenn es eine andere Art von Verwirrung zu sein scheint, als ich bis jetzt kenne.

"Das wirst du noch früh genug erfahren Jocy! Nur wenige vermögen es ihr Schicksal selbst zu bestimmen!", er dreht sich auf dem Absatz um und geht langsam fort, bis er in der Unendlichkeit verschwindet und mich mit einem Haufen Fragen zurück lässt. Ja, die Fragen sind da wie zuvor, aber sie tun nicht weh und zum ersten Mal habe ich das Gefühl ein normaler Mensch zu sein. Ein Mensch, der eine Frage unbeantwortet lassen kann, ohne dass sie einen quält. Ich habe zum ersten Mal das Gefühl wie ein normaler Mensch zu denken, einfach und simpel. Es ist ein schönes Gefühl. Hier zu bleiben wäre wundervoll. Hier kann ich ein normaler Mensch sein. "Wähle Jocy. Du kannst hier bleiben, ein Leben führen wie jeder andere!", sagt die Stimme aus dem Nichts.

Ich mache schon den Mund auf, will sagen, dass ich gewählt habe, dass ich hier bleiben möchte, da durchzuckt mich ein Gedanke. "Auf diesem Glauben, dem Glauben an die Freiheit, stützen sie ihr komplettes Leben. Sie stützen ihr komplettes, kurzes Leben auf eine Lüge!" Ich sehe Lokis Gesicht vor mir, wie er mich anschaut.

Ich sehe mich in einem schönen Einfamilienhaus, ich stehe in der Küche und mache für meine Familie etwas zu essen. Ich lache.

Ich sehe mich im Wohnzimmer meiner Wohnung, ich sehe mich, wie ich begreife, dass Loki Recht hat mit der Lüge, dass wir ein Leben in der Lüge führen, denken sie wäre die Wahrheit.

Auch ich könnte ein glückliches Leben führen – ein Leben mit der Lüge. Ich könnte alles hinter mir lassen, ich habe die Wahl!, Schießt es mir durch den Kopf.

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