"Komm jetzt endlich, wir haben nicht ewig Zeit und ich werde auch nicht gerade jünger!", ruft meine Freundin und zerrt mich weiter durch die Bahnhofshalle.
"Ja, ja", antworte ich ihr gespielt genervt und verdrehe die Augen. "Jetzt mach mal langsam, wir haben doch noch sieben Minuten!" Sie ignoriert mich und zieht mich weiter. Aber ich kann ihre Aufregung verstehen. Diese sieben Minuten trennen uns nämlich von einem Zug, der uns der Freiheit ein Stück näher bringen wird. Für andere ist Freiheit New York oder London, für uns ist es Stuttgart. Wir haben lange gebraucht, bis wir unsere Eltern davon überzeugt hatten, dass wir eine Woche alleine nach Stuttgart fahren dürfen.
Die Koffer poltern hinter uns her, als wir gemeinsam um eine Kurve sprinten und ich frage mich, wie die Rollen das überhaupt aushalten können.
Ich kann es mir nicht verkneifen und muss grinsen, als sich Sophie so beeilt die Treppen zum Bahnsteig nach unten zu kommen, dass sie stolpert und sich gerade noch fangen kann, bevor sie der Länge nach die Treppenstufen hinunter fallen konnte. Sie funkelt mich wütend an, als sie mein Gesicht sieht.
Als wir es dann endlich, unfallfrei, in die Bahn geschafft haben, lege ich mich erschöpft und schwer atmend an die Lehne. Wir hatten Glück und ein leeres sechser Abteil gefunden.
"Puh", schnauft Sophie. "Das war verdammt knapp, Jocy, hätte ich mich nicht so beeilt, wäre der Zug ohne uns losgefahren!"
Ich schüttele den Kopf und sehe sie verwirrt an: "Hätte ich dich nicht gebremst, dann lägest du jetzt am Ende der Treppe und später im Krankenhaus! Dann hätte ich alleine fahren können."
Sie schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an: "Wärst du nicht, du könntest nicht alleine fahren!" Sie grinst siegesgewiss, und leider hat sie Recht, ich wäre nie ohne sie gefahren, nie!
"Eins zu null!", gebe ich geschlagen zurück und schaue aus dem Fenster. Ich kann mich an keinen Ausflug mit ihr erinnern, wo nicht irgendwie irgendwas fast schiefgegangen ist. Wirklich passiert ist aber zum Glück noch nichts, von dem einem Mal abgesehen, wo ich nach einer Klettertour Kopf über im Baum hing, weil sich mein Fuß in einer Astgabel verfangen hat.
Langsam rollt der Zug an und bringt uns mit jeder Sekunde ein Stück näher zur Freiheit. Wiesen und Felder ziehen an uns vorbei. Am Anfang zählen wir noch Rehe aber nach gut zwei Stunden geben wir es auf, da wir keine Bäume oder Ähnliches mehr sehen können, ohne dass uns schlecht wird.
Ich lehne mich wieder zurück und es dauert nicht lange, da hat mich das ständige Tuckern eingelullt.
Ich träume von einem verschlafenen Städtchen, keine zweihundert Einwohner. An dieses Städtchen grenzt ein ebenso kleiner Wald an. Er scheint auf den ersten Blick hell und freundlich, aber sobald ich ihn betrete wird er dunkel. Er wirkt riesig, aber ich gehe trotzdem weiter, setze immer einen Fuß vor den anderen. Ich folge einem nicht existierenden Pfad, er führt mich. Jegliches Zeitgefühl ist verschwunden, es ist still, vollkommen still. Auf einmal tun sich die Bäume vor mir auf und ich stehe auf einer winzigen Lichtung. Sie ist aber nicht mit Gras bewachsen, sondern von einem dunklen Stein überzogen, der an vielen Stellen Risse aufweist. Plötzlich schlängelt sich aus diesen Rissen etwas Blaues, Leuchtendes heraus und kriecht langsam über die Steine und dann die Bäume hoch. Es legt sich um die gewaltigen Äste und erleuchtet so die komplette Lichtung. Ich will gerade einen Schritt auf den Stein setzten, als ich einen Mann in der Mitte stehen sehe. Ich zucke zusammen und verstecke mich schnell im Gestrüpp und luge durch die Blätter. Niemand hindert mich daran wegzulaufen, aber doch bleibe ich. Mein Verstand dreht durch, und mein Herz rutscht mir in die Hose. Alles schreit danach wegzulaufen, aber doch kann ich den Blick nicht von dem Mann lassen. Er fasziniert mich, wie er dort steht, mit dem Rücken zu mir. Die Arme hängen locker an seinen Seiten. Er steht einfach nur da, regungslos. Es scheint, als wär er eine Statue, wär da nicht diese Ausstrahlung.
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You are always safe in my heart
Paranormal》Eine Andere hätte auf ihn gehört, eine Andere hätte ihn wieder vergessen, eine Andere wäre ihm nicht gefolgt! Aber ich bin keine Andere!《 Stuttgart bei Nacht, da erblickt Jocy ihn. Ein Blick, der ihr Leben verändern wird! Nur ein Augenblick, mehr...