15. - Oberschüler

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16.03.2013
Aoba-Johsai-Oberschule
>POV: Hajime Iwaizumi<

„Das letzte Mal", wisperte ich. Mein Blick lag auf dem modernen Schulgebäude, wo unzählige türkise Banner hängen. Alles wies darauf hin, dass heute der letzte Tag ist. Jedes Jahr um diese Zeit sah ich diese Banner, welche für andere galt und ich dachte, nie werde ich schlecht gelaunt von diesen Abschieds-Sprüchen sein. Vor kurzem war ich noch ein Grundschüler und sah zu den Oberschülern hinauf. Nun bin ich selber einen, besser gesagt ein Absolvent. Es fühlt sich falsch an, weil ich mir den Tag ganz anders ausgemalt hab. Immer dachte ich, Tooru und ich würden zusammen ohne Angst den Tag genießen, doch nun stehe ich alleine da mit dem Wissen, bald wirklich alleine zu sein.

„Nicht gleich so melancholisch, Hajime", lachte Hanamaki und legte mir ein Arm um. Meine rechte Augenbraue hob sich. Von wo kam der jetzt? „Heute wird ein anstrengender Tag, aber es fühlt sich jetzt schon gut an, zu wissen, dass man einen Abschluss hat", hörte ich Mattsun sagen, der sich sofort auf meine rechte freie Seite stellte. Kein dummer Spruch, nicht mal wahre Freude, selten bei den Komikern. Heute gibt es aber kaum etwas zum Lachen, denn unsere Zeit an der Oberschule ist heute vorbei. Ich habe es geschafft, zwölf Jahre abzusitzen. Ich merke, wie deprimiert meine Freunde sind und ich teile ihren Kummer. Für sie ist es nur der Abschluss, aber für mich ist es das Ende eines ganzen Kapitels. Oikawa verlässt nicht nur die Schule, sondern auch Japan, mich. Ich bleibe alleine hier und gehe meinen Weg, hingegen er sein Traum lebt. Ich bin wütend, und wie. Wie viele Bälle ich auch gegen ihn geschmettert hätte, es würde nicht reichen. Er geht einfach so, als wäre ich nichts wert.

Er geht, ohne meine Gefühle für ihn zu kennen.

„Yaho, Leute! Seid ihr bereit?" Ein freudiger Braunhaariger kam winkend auf uns zu. Sein strahlendes Gesicht könnte man Kilometer weit erkennen. Es ist kein normaler Tag, jedoch lässt er ihn so wirken, denn seine Maske saß wieder perfekt. Ich hasse es. „Halt die Schnauze, Trashykawa!", fauchte ich ihn an. Wie kann er so gut gelaunt sein? Und nun brachen doch die Tratschtanten in Gelächter aus, woraufhin sie ein angenehmes Gespräch starteten. Er zieht alle in den Bann und ändert die Atmosphäre, das ist ein geborener Kapitän. Er sieht so glücklich aus, obgleich es in ihm anders zu geht.

Mein bester Freund ist so sorglos. Oikawa lacht, als würde er mich nicht im Stich lassen, als wäre nichts gefährdet. Für ihn scheint doch alles so leicht vonstatten zu gehen. Er schrieb perfekte Noten, ist beliebt bei jedem, erhält noch heute Liebesbriefe von Schülerinnen und ist talentiert im Volleyball. Er ist so ein perfekter Typ, dass selbst ein Profiteam im Ausland ihn annahm. Egal, wie sehr ich ihn liebe, ich bin gerade so neidisch darauf, nicht das Gleiche zu können. Ich bin wütend, nicht auf seinem Level zu sein.

„Wir müssen langsam in die Räume", murrte ich und die drei schenkten mir ihre Aufmerksamkeit. Makki und Mattsun sahen sich in die Augen und kicherten daraufhin. „Ach, Mattsun, ich muss noch was ganz Wichtiges erledigen!" „Ich auch, Makki, lasse schnell gehen." Die beiden schenkten mir noch einen wissenden Blick, ehe die abhauten. Ich finde es erstaunlich, dass die es schafften nichts über meine Gefühle auszuplappern. Sonst posaunen sie alles in die Welt. Na ja, es war nicht schwer über meine Gefühlslage etwas herauszufinden, aber es freut mich dennoch, dass jeder die Klappe hält. In den letzten drei Jahren wurden sie echt gute Freunde, wahrscheinlich die einzigen die mir bleiben werden. „Die waren jetzt aber schnell weg", meinte Tooru perplex. Er knackte einmal mit seinem Nacken und dann veränderte sich sein Ausdruck wieder. „Es tut mir leid. Ich habe bemerkt, wie du mich angeschaut hast. Mir fällt es selbst nicht leicht heute glücklich zu sein, aber was bringt es jetzt zu heulen. Ich will den letzten Tag hier genießen und dann den Rest dir widmen. Es ist so surreal zu gehen", murmelte mein Gegenüber. „Oikawa", sprach ihn an. Bevor er sein Mund öffnen konnte, kam eine Schar Mädchen auf uns zu. Nicht mal am letzten Tag können die wegbleiben! „Oikawa-sama, können sie meine Mappe bitte unterschreiben?", quietschte ein blondes Mädchen. Der beliebte Abschlussschüler wurde wieder mal umzingelt.

Ich wollte sagen, ich will nicht, dass du mich verlässt.

„Ich gehe schon mal", rief ich ihm zu, doch er hörte mich nicht. Dann sollte ich lieber los.

Das Schicksal will also nicht, dass ich ihm das sage oder gar meine Gefühle offenbare. Das sollte eigentlich klar sein, zumal er nur auf Mädchen steht. Und ich dachte, ich habe Hoffnung. Wütend kickte ich ein Stein weg. Ich bin sein bester Freund, seit der Kindheit. Wie könnte er mich bitte lieben? Nicht mal jetzt hatte er seine Fans weggeschickt. Er hat sich wieder für seine Karriere entschieden und mich dumm stehen lassen. Es regt mich so auf!

Zornentbrannt betrat ich das Schulgebäude und wechselte schnell meine Schuhe. Jetzt werde ich ihn erst bei der Zeremonie sehen, schließlich muss ich erstmals in den Unterricht. Der letzte Schultag ist scheiße!

Auch wenn ich wütend bin, nehme ich die Flure vollkommen wahr. Es fühlt sich so an, als wäre ich das erste Mal in diesem Gebäude unterwegs. Die Deckenlichter strahlen heller als sonst. Der blaue Linoleumboden reflektiert leicht das Licht und wäre es ruhig, könnte ich meine Schritte hallen hören. Aber jeder war wegen heute aufgeregt, darum dröhnten Stimmen aus vielen Räumen zu mir hervor. Erinnerungen werden ausgepackt, Déjà-vus passieren und man erlebt die letzten Augenblicke als Schüler der Seijoh. Ich verschränkte meine Arme hinter meinem Kopf und schloss beim Laufen die Augen. Ich kenne diese Schule in- und auswendig.

Täuschung.

Plötzlich prallte ich gegen irgendwas und hörte daraufhin, wie jemand zu Boden fiel. Erschrocken öffnete ich meine Augen und sah, wen es getroffen hatte.

Rote Haare in einem ordentlichen Zopf. Ihre Limetten grünen Augen fixierten meine. Das Mädchen wollte gerade aufstehen, als ich ihr schnell die Hand reichte und sie hochzog. „Tut mir leid, ich hätte aufpassen müssen", entschuldigte ich mich verlegen. Das ist so peinlich! Wäre es Oikawa oder einer aus dem Team gewesen, hätte ich gelacht, aber ich kenne diese Schülerin nicht mal. „Alles gut, Iwaizumi-san. Ich bin doch gegen dich gelaufen." Sie lächelte mich an. Wer war sie und woher kennt sie mich? „Oh, ich hätte mich vielleicht noch vorstellen sollen. Ich bin Kazuko Ito und ich gehe in deine Parallelklasse, aber wir haben paar Fächer zusammen", klärte sie mich auf. Stimmt, das ist ja unser Mathegenie. Wie könnte man bitte den Teufel nicht wieder erkennen? „Ach, sorry, dass ich dich vergessen hab. Ich war nur sehr in Gedanken", gab ich zu. „Nicht schlimm, wolltest du gerade in den Raum gehen? Und wo ist denn deine Klette?" Ito schaute verwirrt hinter mich, so als würde sie Oikawa suchen. Tz, Ito ist bestimmt auch nur so ein Fangirl von ihm. „Ja, wollte ich und der ist mit seinen Fans beschäftigt", sagte ich abwertend. Meine Mitschülerin schnaubte: „Ich verstehe nicht, was alle an dem haben! Das ist einfach nur nervtötend!"

Die erste Schülerin, die ich so erlebt hab. Sie war keine dieser Weiber. „Ich muss in Raum 202, das ist neben deinem. Lass zusammen gehen", bat sie mir an und ich stimmte zu. Sie scheint nett, glatt hätte ich vergessen, worüber ich mich aufgeregt hab.

„Oikawa, Tooru", rief der Rektor den Spitzenschüler auf die Bühne. Ich stand mit meinem Zeugnis am Rand der Halle und wartete auf meinen besten Freund. Winkend stieg er die Treppen hoch. Seine Verehrerinnen quietschten seinen Namen, Leute applaudierten und dann Schweigen. Er begann seine Rede. Jeder sieht in ihm die Perfektion. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten, aber ließ es sofort als ich an mein Dokument dachte. Es ist nun zu Ende, ich bin kein Schüler mehr. Ich habe es geschafft.

Wir haben es geschafft.

Die Sonne ging unter. Ein leichter Wind wehte und ich stand wie angewurzelt da. „Ich bin kein Vize-Kapitän und Ass mehr", murmelte ich. „Ich bin kein Kapitän und Oberschüler mehr", erwiderte mein Gegenüber. „Das wird unser letzter Heimweg sein", stellte ich fest. Oikawa klopfte mir auf den Rücken und lächelte mich an.

„Hör auf so niedergeschlagen zu sein! Ich möchte, dass du lachst und dich mit mir freust", lachte er. Mein Herz schlug noch schneller. „Iwa-chan", sagte er, „Wer als erstes Zuhause ist!" Und dann rannte er los, wie damals, als wir die Mittelstufe geschafft hatten.

„Na warte, Tooru, ich werde dich einholen!"

(Wörteranzahl: 1396)

AdiósWo Geschichten leben. Entdecke jetzt