16. - Tagebuch

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21.03.2013
Haus der Familie Oikawa
>POV: Tooru Oikawa<

Es geht also wirklich los. Ich hätte nie gedacht, mit achtzehn schon auszuziehen, zumal das sehr selten in der japanischen Gesellschaft ist. Nao ging auch erst mit sechsundzwanzig und auch das als verheiratete Frau. Ich ziehe nicht, wie sie, eine Straße weiter, sondern in ein fremdes Land. In ein Land, das ich nicht kenne, aber in dem ich willkommen bin. Irgendwann muss ich eh aus mir herauswachsen und ein neues Lebenskapitel starten. Ich lasse den alten Tooru hier und werde dort so sein, wie ich es immer wollte. Dort kennt mich niemand und ich kann endlich besser werden. Ich habe keine Angst vor der Zukunft, denn meine ganze Furcht konzentriert sich auf das Versagen. Wenn ich gehe, muss ich als ein neuer Mensch zurückkommen. Tausendmal besser als jetzt. Und wenn ich das geschafft hab, wird Iwa mich lieben.
Das wirst du, oder?

Ich schaute das alte Bild von uns an. Es war ein Bild aus der Grundschulzeit, aber wirklich verändert haben wir uns nicht. Dieses Bild bedeutet mir so viel und es ist eines von denen, die ich mitnehme. Zwar verlasse ich das Land, aber komplett von den Menschen kann ich mich nicht lösen. In jedem Foto steckt eine Geschichte dahinter und dieses ist mein Liebling.
„Hajime, wir sollten zurückgehen", jammerte ich mit den Tränen in den Augen. Ich hatte furchtbare Angst vor dem Wald hinter unserer Grundschule. Es gab Legenden und Horrormythen von ihm, welche mich abschrägten. Aber Iwaizumi hatte denen nie Glauben geschenkt. Damals und heute scheint er furchtlos. „Heul nicht, Tooru. Ich passe auf dich auf", sagte er mir und lief stur weiter in den Wald. Zwar wollte ich nicht darein, jedoch folgte ich ihm, da seine Worte mich aufmunterten. Iwaizumi hätte mich beschützt.
Ein Rascheln, danach ein seltsames Knacken vom Busch aus. Meine Knie zitterten und Tränen strömten mein Gesicht runter. Wieder dieses Geräusch und danach schrie ich, der Vogel flog aus dem Busch raus. „He, Tooru, hab keine Angst" Hajime eilte zu mir hinüber und nahm meine Hände in seine. Ich schaute mit glasigen Augen ihn an. „Ich werde immer an deiner Seite sein und auf dich aufpassen. Nie musst du an fremde Orte gehen, die grusligen aussehen, weil ich vor dir laufen werde. Ich werde dich beschützen!" Das machte mich damals so glücklich. „Wirklich?", das bejahte er. „Na komm, ich nehme dich Huckepack und wir gehen Heim", bat er mir an. Strahlend nahm ich das an und wir kehrten zurück in unser Viertel, wo unsere Familien auf uns warteten.
Dieser Moment als wir ankamen, wurde das Bild geschossen. Man sah wie dreckig die Uniform war und dass wir beide Blätter in den Haaren hatten.


Nun gehe ich nach Argentinien ohne ihn. Ich beträte den dunklen Wald allein und muss nicht beschützt werden. Ich bin erwachsen.
Seufzend verstaute ich dieses Bild in einem Koffer, versteckt hinter vielen T-Shirts. Ich hatte eine schöne Zeit hier und nun baue ich mir doch eine schöne Zukunft auf. Hoffentlich reichen vier Koffer für den Umzug. Möbel habe ich in meinem Zimmer vom Wohnheim eh, darum brauche ich nur mein Hab und Gut. Ich hätte nie gedacht, dass es einen schwerfallen kann zwischen Dingen zu entscheiden. Vieles kann ich auch dort besorgen, aber auf Klamotten shoppen habe ich keine Lust, das ist Verschwendung von Trainingszeit.

„Tooru, bist du fertig?", meine Mutter spähte in mein Zimmer und ich hob mein Kopf. Sie sieht müde aus. „Ja, alles ist gepackt", lachte ich. Die braunhaarige Frau kam zu mir und ich stand auf. Meine Mutter war viel kleiner als ich, weshalb sie zu mir aufsah. Sie nahm meine Hände in ihre. Das machte Hajime auch oft, nein, er machte das früher oft. Bei dieser Geste fühlte ich mich immer wohl. „Du wirst so schnell erwachsen. Ich erinnere mich noch so gut, als wäre es gestern gewesen, wie du als kleiner Junge mit Hajime hier getobt bist. Und nun stehst du mit Koffern vor mir. Du verlässt das Land und ich werde meinen kleinen Jungen nicht sehen können." Mit jedem Wort weinte meine Mutter noch mehr, das zerbrach mir das Herz, weshalb ich sie sofort in meine Arme schloss. Es ist unklar, ob ich an Feiertagen herkommen kann, aber ich glaube eher weniger. Das wird schwer, doch ich darf nicht an Heimweh zerbrechen, schließlich ist das meine letzte Chance. Ich muss gehen und alle verlassen.
Ja, ich verlasse auch meine Mutter, meine Familie, mein Zuhause und die Heimat, welche ich liebe.

„Kommt Hajime heute?", wollte sie nach mehreren Minuten später schniefend wissen. Leider schüttelte ich den Kopf. „Er sagte, er käme morgen zum Flughafen", gestand ich. Er war wütend, bestimmt und ich verüble es ihm nicht. Es tut mir abnormal im Herzen weh, doch ich muss ihm seinen Freiraum lassen. Ich habe meine Entscheidung verarbeitet, er jedoch nicht. Iwa geht ganz anders mit Dingen um als ich. „Sei nicht traurig, Tooru! Der wird morgen kommen. Lass die Koffer hier stehen, die bringen wir später runter und Ruh dich jetzt erstmal aus. Morgen hast du deinen Flug um acht Uhr", erinnerte sie mich und ging dann aus dem Zimmer. Das Abschiedsfest war gestern, darum ging meine Mutter nun lockerer mit der Sache um. Es freute mich, dass sie mich unterstützt. Sie lächelte mich noch einmal an, ehe sie aus dem Raum ging.

Ich hätte gedacht, dass man am letzten Tag viel weint und bedauert, so ist es nicht. Ich fühle mich nach so langer Zeit endlich frei und gelassen. Die japanischen Werte ziehen mich nicht mehr runter und meine Rivalen haben jetzt keinen Wert. Alles scheint jetzt so viel einfacher.
Gähnend streckte ich mich einmal ordentlich, bevor ich mich an meinen Schreibtisch setzte. Ich habe mich entschieden, meinen letzten Eintrag zu schreiben und es hier zu lassen. Meine Gefühle, Belastungen, Niederlagen sollten hier in meinem Schreibtisch vergammeln. Ich will das alles hinter mir lassen. „Das Ende vom ersten Teil wird hiermit geschrieben, ehe mein Leben in Argentinien beginnt Ich habe so viel zu sagen." Ich öffnete meine Schreibtischschublade und holte das blaue Buch mit dem Stift hervor. Ich schlug es auf, setzte aber noch nicht den Stift an, weil mein Blick aus dem Fenster glitt. Die Sonne scheint.

Liebes Tagebuch,
das wird unser Abschied und meine Schlussworte sein. Auch dich lasse ich zurück, obgleich du mich begleitet hast. So viele Gefühle stehen hier drin, die ich vor allen versteckte, aber das ist nicht mehr nötig. Alles, was in Japan geschah, soll hier zurückbleiben. Und in der Zeit, in der ich weg bin, möchte ich meine Liebe zurücklassen. Es wäre nicht vorteilhaft mich ablenken zulassen, nur weil ich mich verliebt hab. Dazu weiß ich nicht, wie meine neuen Kameraden darauf reagieren würden. Ich würde es ihm liebend gerne sagen, alles.
Ich würde ihm gerne sagen, dass ich Kazumi nie liebte. Sie war schön, ja, aber das, was ich spürte, entstand nur durch ihn. Ich habe das alles auf die falsche Person projiziert. Ich will ihm sagen, dass ich nur seinetwegen Volleyball spiele und er mein Antrieb ist. Für ihn gehe ich nach Argentinien. Wenn ich dort besser werden, kann ich eine perfekte Vorlage schaffen. Ich machte ein starkes Duo mit ihm werden, aber das geht nicht, wenn ich schwach bleibe. Er weiß, wie sehr ich den Sport liebe, aber er weiß nicht, wie sehr ich ihn liebe. Er ist mit genauso, vielleicht sogar mehr wert als dieser Sport.
Aber ich lasse den Ball nicht los, denn das verbindet uns beide. Ich versprach mit ihm in einem starken Team irgendwann zu sein, jedoch nimmt mich keins in Japan an, darum muss ich besser werden, damit sie mich sehen. Ich muss der beste Volleyballer werden, damit die Leute mich sehen. Jeder wird mich, wenn ich wieder komme, lieben. Iwalein wird mich lieben.
Er hatte mir versprochen zu warten und ich hoffe, er hält sein Versprechen.
Aber ich habe noch eine Sorge, dass wir den Kontakt verlieren. Wir sind auf zwei verschiedenen Kontinenten und dazu liegt Japan zwölf Stunden mit der Zeit vor Argentinien. Wir würden uns immer verpassen mit Telefonaten. Vielleicht brauchen wir Ewigkeiten um auf Nachrichten zu antworten.
Es wäre so, als würden wir in unterschiedlichen Welten leben.
Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen werde. Das verunsichert mich. Aber es gibt kein Zurück, ich ziehe das durch. Ich bin kein Schwächling mehr und das zeige ich jedem. Ich werde der beste und dann komme ich zurück. Das japanische Nationalteam wird mich aufnehmen und Iwa wird der Trainer sein. Wir sind dann vereint. In paar Jahren bin ich da.
In paar Jahren sieht die Welt wieder anders aus.
Ich freue mich. Bietet hüte meine Liebe hier, bis ich wiederkomme. Bitte bewahre alle Versprechen und Träume.

Lebewohl, mein Tagebuch
Tooru Oikawa (21.03.2013)


Ein Seufzen entfuhr mir. „Ich brauche frische Luft", murmelte ich müde. Mein Tagebuch verstaute ich das letzte Mal nun in die Schublade. Mit wackeligen Beinen stand ich auf und ging auf den Balkon. Ein kalter Wind traf auf meine warme Haut. Mit meinem Handy in der Hand lehnte ich mich an das Geländer. Ich schaute auf die Uhr: 23:48 Uhr.

Die Sterne zeichneten sich am Nachthimmel ab. Die Aliens sind bestimmt wach und beobachten uns. „Hajime, versprich mir, dass wir uns einander nie verlieren." 

(Wörteranzahl: 1538)

AdiósWo Geschichten leben. Entdecke jetzt