Kapitel 12

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"Unser nächster Themenkomplex beschäftigt sich mit Gerechtigkeit", verkündete Señor Esposito, unser Ethiklehrer.

Es war Mittwoch Nachmittag und das Wetter war genauso trüb wie meine Laune. Es regnete schon den ganzen Tag, in Physik hatten wir eine unangekündigte Lk geschrieben und jetzt hatte ich auch noch bis halb vier Unterricht.

"Zuerst sollten wir also darüber reden, was Gerechtigkeit überhaupt ist. Was denkst du, Jim?"

Ich konnte dem Unterricht nicht wirklich folgen, da meine Gedanken schon den ganzen Tag immer wieder zu meinem gestrigen Gespräch mit Luna wanderten. "Die Menschen sind nicht immer so, wie sie zu sein scheinen, Ámbar."  Immer wieder gingen mir Lunas Worte durch den Kopf. 

Unauffällig schielte ich zu Matteo rüber, der direkt neben mir saß,  und im Vergleich zu mir sehr konzentriert zu Señor Esposito sah. Unwillkürlich strich ich mit meinen Fingern über die Stelle an meinem Handgelenk, wo die kleine Zeichnung der Krone noch immer zu sehen war.

Auf einmal lehnte Matteo sich auf seinem Stuhl nach hinten, beugte sich leicht in meine Richtung und flüsterte: "Das heimlich Beobachten solltest du dringend nochmal üben."

Entgeistert drehte ich mich zu ihm und starrte ihn an, außerstande irgendetwas zu erwidern. Doch er schmunzelte nur belustigt und wandte sich wieder Señor Esposito zu.

Ertappt und ein wenig peinlich berührt schnappte ich mir meinen Kugelschreiber, versuchte Señor Esposito nun zuzuhören und hielt mich krampfhaft davon ab, auch nur für eine Sekunde nach links zu Matteo zu schauen.

Nachdem bereits die Hälfte der Ethikdoppelstunde vergangen war und wir ausführlich über eine Definition für Gerechtigkeit und Grundrechte gesprochen hatten, verkündete Señor Esposito: "In diesem Themenkomplex werdet ihr auch verschiedene Gerechtigkeitstheorien kennenlernen. Diese sollt ihr euch nun in der zweiten Hälfte der Stunde in Partnerarbeit erschließen. Also sucht euch nun bitte einen Partner, danach komme ich zu euch und teile euch eine Theorie zu, über die ihr euch informieren sollt."

Bevor ich überhaupt die Chance gehabt hätte, mir einen anderen Partner zu suchen, rutschte Matteo mit seinem Stuhl ein Stück näher an meinen und hob seine Hand, um Señor Esposito zu zeigen, dass wir beide ein paar bildeten. 

Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute ich ihn fragend an. Wie kam er darauf, dass ich mit ihm ein Team bilden wollte? Ohne mich zu fragen! Andererseits gab es in diesem Kurs auch keine andere Person, die noch übrig war und mit der ich hätte zusammenarbeiten wollen. Also gab ich mich geschlagen und lehnte mich mit verschränkten Armen in meinem Stuhl zurück.

Matteo schüttelte nur schmunzelnd den Kopf, als er diese resignierende Geste meinerseits bemerkte. "Ist es so schlimm mit mir zu arbeiten?", fragte er gespielt schockiert und griff sich theatralisch an sein Herz.

Langsam wanderten meine Mundwinkel nach oben, ohne dass ich es verhindern konnte. Also legte ich mir meine Hand vor den Mund, um mein Lächeln zu verbergen und antwortete dann so ernst wie möglich. "Es gibt ganz eindeutig nichts schlimmeres."

Matteos Gesicht schlief ein. Entgeistert sah er mich an. Nun konnte ich mich nicht mehr beherrschen und lachte laut los. Sein Gesichtsausdruck war einfach zu lustig. 

Er versuchte beleidigt zu wirken, als er mir spielerisch gegen die Schulter schlug, was mich jedoch nur noch mehr zum Lachen brachte und auch Mateo konnte sich nun nicht mehr beherrschen und stimmte in mein Lachen mit ein.

Als wir uns langsam wieder beruhigten, trafen sich unsere Blicke. Meine Augen blieben an seinen hängen. Das Braun seiner Augen war so tief, dass ich mich fast darin verlor und zum ersten Mal fiel mir auf, dass seine Augen nach innen zur Iris hin dunkler wurden.

Solo Un Beso [Laufend]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt