Kapitel 5 ~der tiefpunkt~

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~ schweißgebadet öffnete ich die Augen. Diese Flashbacks hatten es in sich. Ich wusch mein tränenüberströmtes Gesicht und beschloss Duschen zu gehen. Wechselduschen versteht sich. „Du hast die Kontrolle verloren, du hast die Kontrolle verloren...." ich weiß nicht wer das jetzt genau sagt, ana oder mein gesunder Menschenverstand. Aber es stimmt in beiden Ansichten. Ich hatte die Kontrolle verloren. Über mich, über meinen Körper, über mein Leben. Wie konnte es so weit kommen ohne das ich es merkte? Ich schnappte mir Handtuch und Klamotten und eilte ins Bad. Das warme Wasser tat gut. Es hatte etwas beruhigendes an sich. Etwas tröstliches. Wenige Sekunden des Tages an denen ich mal nicht fror. „Hör auf es zu genießen! Das hast du nicht verdient! Warum gehst du duschen? Richtig, um Kalorien zu verbrennen. Jetzt mach schon du Fettsack!!" schreit Ana mich an und lässt mich zusammen Zucken. Richtig, ich hatte das nicht verdient. Ich hatte nichts positives verdient. Ich stellte das Wasser kalt und dann wieder heiß. „Kälter!" keift sie mich an. Ich stellte es komplett kalt. Die Wassertropfen stachen wie Eiszapfen auf meiner Haut. Ich riss die Augen auf, gab einen stummen Schrei von mir und wollte das Wasser wieder warm drehen aber war unfähig mich zu bewegen. Als ich aus meiner Kältestarre erwachte die sich anfühlte wie Stunden obwohl es nur einige Sekunden waren drehte ich das Wasser wieder heiß. Plötzlich begann sich alles zu drehen und mir wurde schwarz vor Augen....

Ich änderte mein Leben von vorne bis hinten. Ich eignete mir neue Gewohnheiten an, feste Gewohnheiten. Ich streichte fast alle Lebensmittel von meiner Liste und ging täglich joggen und zu jeder freien Sekunde spazieren. Ich bekam Magen-Darm, perfektes timing. Das war wie ein Startschuss. Ich verlor ein paar Kilo und kam danach nicht mehr richtig ans Essen. Dann begann ich ein Praktikum in einer Reitanlage in der ich mittlerweile arbeite. Montag bis Freitag, von halb sechs bis zwei, manchmal auch halb drei. Dazwischen nur 4 Stunden Schlaf. Ich musste um 4 aufstehen und frühstückte nichts. Fuhr dann 20 Minuten mit dem Rad hin, arbeitete hardcore bis 8:30 dann gab es Frühstück. Mein Frühstück bestand aus ein paar trockenen eisbergsalat Blättern. Das viel recht schnell auf und Chef verpasste mir den Spitznamen Häschen.( ich werde bis heute so genannt :) ) ich das nächste mal aß ich erst um drei wieder, einen kleinen Joghurt. Abends dann eine Portion in Größe meiner Faust von dem was Mama gekocht hatte und dann ging ich nochmal spazieren. Die Arbeit dort ist körperlich richtig hart. Ich als 15 jähriges Magersüchtiges Mädchen arbeitete genauso viel in der gleichen Zeit wie die großen Jungs. Aber ich bekam viel Lob und Anerkennung. Eigentlich brauchte ich die ES da nicht mehr aber ich war zu tief drin. Ich war völlig übermüdet und überarbeitet und begann wieder Ecstasy zu schlucken um mich kurzzeitig besser zu fühlen. Es hat alles noch schlimmer gemacht. Ich habe die drei Wochen nur mit ach und Krach geschafft und in dieser Zeit 4 Kilo abgenommen die man mir auch ansah. Ich konnte es nicht sehen. Ich hatte einen Ehrgeiz entwickelt den man schon fast Wahnsinn nennen kann. Ich klammerte mich verbissen an meine Essstörung denn nach dem Rauswurf im Heim war sie alles was ich noch hatte und was mir keiner nehmen konnte und was immer für mich da war. Nach dem Praktikum arbeitete ich noch weiter dort aber nur noch drei mal die Woche weil ich körperlich abgebaut hatte. Es waren Ferien, ich hatte also viel Zeit zum joggen und muskeltraining und arbeiten. Im stall wurde ich richtig gut aufgenommen und zu Chef und Chefin sowie zu meinen Arbeitskollegen habe ich ein tolles freundschaftliches Verhältnis. Sie mochten mich und ich mochte sie und war gerne da. Ich aß wie gesagt kaum noch was und lernte mich bei FAs zu beherrschen bzw sie vorzubeugen. Ich nahm rasend schnell ab und körperlich ging es mir immer schlechter. Ich sag in den Spiegel und konnte nur fett sehen und nicht die Knochen die deutlich heraus stachen. Ich hörte nur Ana in meinem Kopf. Sah nur voller Zufriedenheit die nach unten kletternden zahlen auf der Waage. Ich aß manchmal kaum mehr als 100kcal am Tag. Ich trank wenig. Das war dann der Moment wo es meiner mum auffiel. Sie verbat mir das häufige in den Stall gehen und beschränkte es auf 2x die Woche. Wie habe ich getobt! Allerdings machte mir die Hitze zu schaffen und mein Kreislauf kippte einige Male. Chef und Chefin wussten längst was Sache ist und ich begann auch offen darüber zu reden. Sie unterstützen mich so gut es ging. Dann kam das Hochwasser. Es gab irre viel arbeit und ich durfte deswegen wieder öfter hin. 12 Stunden Arbeit, 4 Stunden Schlaf, 8 Stunden Arbeit, 4 Stunden Schlaf, usw. bei der 12 Stunden Schicht allerdings war ich übermotiviert. Ich hatte kaum etwas gegessen und schuftete ohne groß Pause. Natürlich bin ich zusammen gebrochen. Seitdem habe ich mit Chef eine Abmachung: ich muss mir zum Frühstück mit in ein Brötchen teilen, halbe halbe, sonst darf ich nicht arbeiten. Das hat auch lange gut geklappt ich hab es ja sofort danach wieder verbrannt. Zum Schluss hat es aber nicht mehr geklappt allerdings durfte ich auch nur noch 1x die Woche kommen. Ich rauchte recht viel in der Zeit was ja auch nochmal beim abnehmen half. Zum täglichen joggen war ich bereits zu schwach. Meine Haare sind in Massen ausgefallen und meine konzentration war komplett hinüber. Ich stand in einer Klinik auf der Warteliste aber es wurde kein Platz frei. Als plötzlich nur noch 45 auf der Waage stand musste ich einsehen das es so nicht weiter geht. Ich begann Stück für Stück krankheitseinsichtig zu werden. Mir war klar: ich brauche hilfe! Ich habe aber keine bekommen. Also weiter hungern. Ich konnte kaum noch laufen und hatte höllische Schmerzen im Magen. Sie waren permanent da und manchmal so schlimm das ich zusammen gekrümmt weinend auf dem Boden lag und nicht mehr konnte. Ich bin nachts weinend vor schmerzen wach geworden. Dann hörte ich komplett auf zu essen und zu trinken. 3 Tage aß ich komplett nichts und trank zweieinhalb Tage nichts mehr. Das nichts essen war nicht das Problem egal wie schwach mein Körper war. Das nicht trinken hatte mich fast umgebracht. Meine Ärztin schickte mich aufgrund der Schmerzen und des Gewichts ins Krankenhaus. Die machten viele Tests und verlegten mich noch am selben Tag in die lvr welche mich aber nicht aufnahm weil ich nicht wenig genug wog... ich wog 44,8. Ich fuhr also nach Hause und schlief dort eine Nacht und sollte mich einen Tag später nochmal melden. Sie wollten mich immer noch nicht aufnehmen. Mir ging es zunehmen schlechter und ich bekam Angst die Nacht nicht zu überleben ich hatte da so ein Gefühl... ich bat meine mum mit mir ins Krankenhaus zu fahren was sie natürlich umgehend tat. Grade mal 20 Minuten da brach ich zusammen, kreidebleich, und völlig dehydriert. Laufen ging gar nicht mehr ich hatte keine Kraft mehr. Ich bin umgehend auf die überwachungsstation gekommen, die Station die vor intensiv kommt. Due haben mich wegen Platzmangel in die nachbarstation gelegt und mir eine Sonde verpasst als ich immer noch nicht essen und trinken wollte obwohl nicht mal mehr wirklich laufen konnte. (Am Ende habe ich erfahren, dass wenn ich nur zwei Tage länger zu Hause geblieben wäre und nichts getrunken hätte ich tot gewesen wäre oder eben einen Tag später. Ich hatte durch das verdursten eine aceton Vergiftung... mein Gefühl hatte mich nicht im Stich gelassen und bin dem tot nur knapp davon gekommen) ich blieb eine Woche im Krankenhaus und wurde 24 Stunden lang sondiert also dauerhaft. Meine Werte stabilisierten sich langsam und es ging mir etwas besser. Ich schaue immer noch oft Bilder aus der Zeit an um mich zu erinnern das ich das nicht will und fast gestorben wäre. Ich sah aus wie eine Leiche! Erst am letzten Tag konnte ich wieder einige Schritte laufen aber war bereits danach fix und alle. Nach der Woche wurde ich in die lvr verlegt auf die geschlossene. Ich hatte im Krankenhaus von 44,4 wieder auf 45 zugenommen und lag somit auf der 1. Perzentile. Auf der lvr behielt ich noch einige Tage die Sonde aber ich hatte selbst wieder angefangen zu essen. Ich bekam einen Essensplan mit bestimmten Kalorien und es ging mir körperlich immer besser. Nach eineinhalb Wochen kam ich dann auf eine offene Station wo ich bis jetzt bin.

~ich riss die Augen auf. War ich allen Ernstes in der Dusche umgekippt? Scheint so. Das darf nicht mehr passieren... und diese Flashbacks müssen aufhören... sie machen mich fertig, essen mich auf...~

Ana~??Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt