23 | Arzttermin

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Am Montag ist es dann endlich soweit. Ich werde für die ersten zwei Stunden von der Schule beurlaubt, da der Termin beim Mannschaftsarzt morgens ist. Feli hat beschlossen mich zu begleiten, damit ich nicht alleine dorthin muss. Da kommt dann meine Schüchternheit wieder hoch, vor allem weil ich noch nie bei ihm war. Herr Kunz heißt er. Viel wird aber nicht gemacht. Ich werde über meinen gesundheitlichen Zustand ausgefragt und danach macht er noch ein paar kleine Untersuchungen. ,,Das sieht alles gut aus. Ich kann dir aus ärztlicher Sicht grünes Licht geben, aber trotzdem solltest du erstmal noch drei vier Tage individuell trainieren und vor allem keine Kopfbälle machen. Am Freitag solltest du dann wieder ins Mannschaftstraining einsteigen können", erklärt er. ,,Das klingt doch sehr gut", sage ich. Dankt ist der Termin auch schon beendet. Das ging echt schnell.

Zusammen laufen Feli und ich noch hoch in Tommy's Zimmer. Ihm müssen wir das ja auch noch mitteilen. ,,Super", meint Tommy, nachdem ich ihm berichtet habe, was Herr Kunz gesagt hat. ,,Aber ich würde sagen, dass du erst am nächsten Montag wieder voll ins Training einsteigst. Das passt mit dem Spiel gegen die Bayern besser." ,,Alles klar", erwidere ich. Auf die zwei Tage kommt es dann auch nicht mehr an. Für Feli geht es dann mit Tommy zum Treffpunkt der Mannschaft. Morgen steht schon das nächste Champions League Spiel an. Sie spielen in Manchester, so dass sie heute schon fliegen. Ich bleibe die Tage bei Tabsi, die auch noch nicht wieder ganz fit ist.

Davor muss ich aber doch noch in die Schule. Danach geht es dann aber direkt zu Tabsi. ,,Na, wie war's? Darfst du wieder auf den Platz?", begrüßt sie mich als ich bei ihr ankomme. ,,Ja, zum Glück. Wirklich viel länger hätte ich das nicht mehr ausgehalten", antworte ich. ,,Glaub ich dir. Komm rein, ich hab schon Vesper fürs Mittagessen vorbereitet", meint sie. ,,Endlich Mal jemand der auch Vesper sagt", rufe ich. Hier in Wolfsburg habe ich noch keinen Menschen getroffen, der wie ich Vesper zum klassischen Brot, Käse, Wurst sagt. ,,Letztendlich kommen wir ja doch aus einer ähnlichen Region", grinst Tabsi.

Nachdem Essen erledige ich noch schnell eine Hausaufgabe und dann radeln wir zum Trainingsgelände. Mittlerweile ist es ziemlich kalt, aber trotzdem nehmen wir das Fahrrad, ist einfach umweltfreundlicher. Ich bin ganz froh, dass ich nicht komplett alleine trainieren muss, sondern dass Tabsi auch mit dabei ist. Dann bin ich nicht so alleine. Da beide unsere Co-Trainerinnen mit nach England geflogen sind, haben wir bei Lina, unserer Physiotherapeutin, Training. Zusammen joggen wir erstmal locker um den Platz bevor wir mit einigen Stabilisationsübungen weiter machen. Gerade für mich, die zwei Wochen lang gar kein Sport gemacht hat, ist dies ziemlich wichtig. Heute arbeiten wir noch komplett ohne Ball, was ich aber nicht wirklich schlimm finde. Hauptsache ich darf überhaupt wieder irgendwie trainieren.

Zurück bei Tabsi setze ich mich wieder an meine Hausaufgaben. Ich muss ja noch Mathe von heute morgen nacharbeiten. Außerdem schreiben wir übermorgen einen Vokabeltest, so dass ich dafür auch noch lernen muss. Irgendwas kommt Tabsi zu mir. ,,Wie sieht's aus? Hast du noch Lust auf einen Spaziergang? Grace will nochmal raus", fragt sie. Grace ist ihr Hund. ,,Klar, dann muss ich keine Vokabeln mehr lernen", erwidere ich. Schnell ziehe ich mir meine Jeans an und dann verlassen wir das Haus in Richtung Allersee. Heute ist nochmal ein richtig schöner Herbsttag. Es ist zwar saukalt, aber trotzdem scheint die Sonne und taucht den Park rund um den See in ein besonderes schönes Licht. Wir laufen zur Hundewiese, wo wir Grace von der Leine lassen und sie immer wieder den Ball holen lassen. Währenddessen reden wir über Gott und die Welt.

,,Vermisst du Hoffenheim eigentlich manchmal?", frage ich. ,,Manchmal schon ja. Ich mein, ich bin da aufgewachsen, habe fast die gesamte Entwicklung des Vereins miterlebt und meine Familie wohnt ja auch ja. Und du?", meint Tabsi. ,,Klar, verständlich. Ich überhaupt nicht. Seit ich hier bin, habe ich Stuttgart oder meine Familie noch kein einziges Mal vermisst. Irgendwie komisch", antworte ich. ,,Ja schon irgendwie. Aber du sagtest ja eh, dass du nie das beste Verhältnis zu deinen Eltern hattest. Da liegt das ja schon nahe. Und vor allem hier hast du uns. Die Hoffenheimer Mannschaft ist schon mega familiär, aber hier ist das nochmal etwas anderes. So einen Zusammenhalt, habe ich nicht Mal in Hoffenheim erlebt", erzählt Tabsi. ,,Dazu kann ich jetzt wenig sagen. Ich mein, ich war mit den Jungs in einer Mannschaft. Das ist nicht wirklich wie eine Familie. Klar, ich bin mit ihnen ausgekommen, aber ich war halt trotzdem immer das Mädchen. Hier ist das ganz anders. Ich weiß echt, was du meinst. Diese Mannschaft ist quasi eine Familie", sage ich. ,,Und das finde ich, ist das schöne hier! Jeder ist für jeden da, jeder kommt mit jedem aus. Gerade mit der Champions League Belastung ist das echt wichtig", erwidert Tabsi. ,,Magst du mir vielleicht nochmal was über Jule erzählen?", erkundige ich mich vorsichtig. ,,Kann ich machen, aber lass uns das auf nachher verschieben", meint Tabsi und ruft Grace zu uns.

Wir essen zusammen zu Abend und machen es uns dann auf dem Sofa gemütlich. ,,So, Jule also. Was willst du denn über sie wissen?", fragt Tabsi. ,,Keine Ahnung. Ich kenne sie eigentlich so überhaupt nicht und das obwohl ich mir bei der U-20 Natio ein Zimmer mit ihr teile. Erzähl mir einfach irgendwas", sage ich. ,,Okay. Ich glaube, Jule ist schon ein sehr zurückhaltender Mensch. Hast du Mal ihre Augen Mal beobachtet?", beginnt sie. ,,Ja, die hat voll die Reh Augen", antworte ich. ,,Genau. Sie war schon immer sehr schüchtern und hat auch fast niemanden an sich ran gelassen. Es gibt nur wenige Personen, denen sie richtig vertraut", fährt Tabsi fort. ,,Aber weißt du, was der Grund dafür ist?", hake ich nach. ,,Nein. Das einzige, was ich weiß, ist dass sie mit zwei Jahren ihre Mutter verloren hat. Dadurch ist sie nur mit ihrem Vater aufgewachsen, der auch alles für sie tut, so wie ich das mitbekommen habe, aber sie hing bis zu dem Zeitpunkt wohl sehr an ihrer Mutter, so dass ihr da natürlich die gesamte Kindheit lang etwas gefehlt hat", erzählt Tabsi. ,,Das ist heftig. Vor allem mit zwei Jahren, versteht man das alles ja noch nicht und trotzdem muss man es erklären, da sie ja schon soweit ist zu wissen, dass die Mama nicht mehr da ist", sage ich. ,,Ja genau. Der Verlust ihrer Mutter hat ihr sehr zugesetzt und ist auch der Grund für ihre Verschlossenheit und ihrer Unsicherheit, da ihr eben immer etwas gefehlt hat. Sie will nicht verletzt werden, vermute ich Mal", meint sie. ,,Ja, ich denke auch", stimme ich ihr zu. Das erklärt viel von Jules Verhalten. ,,Aber warum willst das wissen? Hat da etwa jemand ein Auge auf Jule geworfen?", fragt Tabsi grinsend. ,,Um Gottes Willen, nein! Sie hasst mich, falls du das noch nicht mitbekommen hast. Aber ich will einfach ihr Verhalten verstehen, weil ich immer denke, dass ich irgendwas falsch gemacht habe, nur sie hat mir immer nichts erzählt. Jetzt macht das alles etwas mehr Sinn. Ich will mich einfach mit ihr verstehen, mit ihr auskommen, mit befreundet sein oder so", erkläre ich hastig. Nein, ein Auge auf Jule geworfen, habe ich definitiv nicht. ,,Wobei sie schon echt hübsch ist", rutscht es mir noch raus. ,,Aha", ruft Tabsi triumphierend. ,,Ach hör auf. Ich kann auch sagen, dass ich Feli hübsch finde und bin nicht sofort in sie verliebt", verteidige ich mich. ,,Stimmt auch wieder, aber so ganz überzeugt bin ich immer noch nicht", meint sie. ,,Das wär schön irgendwie süß." ,,Dann träum weiter davon, denn es KANN gar nicht passieren. Jule hasst mich, wenn ich nochmals daran erinnern muss", sage ich kopfschüttelnd.




So, was denkt ihr jetzt über Jule?

No rain - No flowersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt