51 | Anfragen

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Also mache ich mich auf den Weg nach unten. Als ich das Zimmer verlasse, treffe ich erstmal auf Sjoeke. ,,Sie weiß zumindest was das grobe angeht Bescheid und wartet nun auf dich, damit du ihr alles erklären kannst“, meint sie. ,,Okay, danke, dass du sie informiert hast“, erwidere ich. Auf der Treppe kommen mir Mia und Ina entgegen. ,,Stimmt es?“, fragt Ina sofort, als sie mich erblickt. Ich antworte nicht, sondern laufe einfach weiter. Ich wusste es. Ich wusste, dass es kommen würde. Dass ich das gefragt werden würde. Dass es praktisch sofort alle wissen. Schon wieder steigen in mir die Tränen auf, aber ich darf jetzt nicht schon wieder weinen. Ich habe jetzt ein Gespräch mit meiner Trainerin und sollte da besser nicht komplett verheult ankommen. Wobei ich glaube, dass Ariane mich verstehen würde. Sie ist nicht eine gute Trainerin, sondern auch menschlich eine tolle Person. Sie hat mir schon so viel geholfen und ich weiß, dass ich im Gespräch mit ihr wirklich offen sein kann.

Ich klopfe an und sofort ertönt ein ,,Herein“. Etwas zögerlich trete ich ein. ,,Da bist du ja schon“, meint sie etwas überrascht. ,,Ja“, erwidere ich. ,,Magst du es mir von vorne erzählen? Ich dränge dich zu nichts. Du musst nichts erzählen, was du nicht erzählen willst“, sagt sie. Ich nicke und beginne dann alles zu erzählen. Ich beginne vorne bei dem Autounfall und ende bei dem Beitrag von Feli und unserem Streit gerade eben. Dazwischen lasse ich nichts aus. Ich habe das Gefühl mich wirklich Ariane öffnen zu können und ihr alles anzuvertrauen. Als ich fertig bin, atme ich erst einmal kurz durch. Das war gerade ziemlich viel auf einmal. ,,Das ist schon ein krasse Geschichte. Auch einfach, dass ihr euch so wiedergefunden habt. Aber ich verstehe deinen Ärger total“, meint Ariane. ,,Wirklich?“, frage ich. ,,Ja. Du bist noch so jung. Da verstehe ich, dass du das erstmal privat halten willst, denn du hast natürlich Recht. Die Medien stürzen sich sofort darauf. Ich habe tatsächlich schon eine Interviewanfrage bekommen“, antworte sie. Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen. Das darf doch nicht wahr sein. Warum muss das alles so schnell Wellen schlagen. ,,Kannst du die bitte ablehnen?“, bitte ich sie. ,,Habe ich schon gemacht. Nachdem was Sjoeke schon erzählt hat, war mir klar, dass du das auf keinen Fall willst“, erwidert Ariane. ,,Dankeschön. Was mache ich jetzt nur?“, seufze ich. ,,Das, was du für richtig hältst. Ich dränge dich zu nichts Lou. Wenn du möchtest, habe ich kein Problem damit, dass du abreist und das Turnier nicht zu Ende spielst. Es geht jetzt um dich und deine mentalen Gesundheit, die schon sehr angekratzt ist“, sagt Ariane. ,,Ich möchte hier bleiben. Wenn ich abreise, muss ich zu Feli und das kann ich jetzt nicht. Ich bleibe hier. Ich will das Team nicht im Stich lassen. Das kann ich nicht. Ich will helfen, diesen WM-Titel zu gewinnen, koste es was es wolle. Ich bin nicht die Person, die einfach die Leinen wirft nur weil es ihr nicht gut geht“, erwidere ich. ,,Ich mag deine Einstellung und natürlich stehe ich hinter deiner Entscheidung. Wenn die Medien anfragen, lehne ich ab. Du musst denen erstmal gar nichts erzählen. Hier bist du in Sicherheit“, meint Ariane. ,,Du schaffst das Lou. Du bist so stark und so tapfer.“

Beim Abendessen informiere die Mädels kurz und knapp darüber, was passiert ist. Ich habe keine Lust auf Fragen und obwohl Ariane angeboten hat es zu übernehmen, erledige ich es selbst. Es ist mein Problem und damit auch meine Aufgabe die anderen zu informieren. Zum Glück stellen sie keine Fragen. Am nächsten Morgen haben wir eine Regenerationseinheit und analysieren dann England, auf die wir im Halbfinale treffen werden. Dabei kommen Erinnerungen hoch. Gegen England hatte ich mein erstes Spiel im DFB-Dress gespielt und dabei gleich ein Tor erzielt. Das waren noch Zeiten. Da war noch alles gut. Ich wusste noch nichts über meine Vergangenheit und war einfach glücklich. Glücklich mein Debüt gemacht zu haben und vor allem auch glücklich, dass es mit gut ging. Wenn das jetzt auch noch so wäre. Ist es aber nicht. Das schlimmste, ich bekomme Nachrichten von den Medien auf Instagram, die ein Interview mit mir führen wollen oder was weiß ich. Eine riesige Aufmerksamkeit liegt jetzt auf mir als Person aber auch auf mir als Fußballerin. Eigentlich ist die U-20 WM kein großes Ding für die Öffentlichkeit, aber jetzt, wo ja die kleine Schwester einer bekannten Fußballerin dabei ist, ist das Interesse daran nochmal viel größer. Ist ja nicht so, dass ich von Anfang an dabei bin. Nur, dass da eben noch ka jemand wusste, wer ich wirklich bin. Jetzt richten sich die Augen aber auch noch auf unsere Leistung. Klar, wir sind im Halbfinale. Da war erwartet man schon etwas von uns.

,,Warum schon wieder?“, rufe ich aus. Es ist Donnerstag und wir hatten gerade erst Training. Es war eine entspannte, lockere Einheit, da wir morgen ja schon unser nächstes Spiel haben. Trotzdem hat es ziemlich viel Spaß gemacht und ich bin immer noch ganz gut gelaunt deswegen, was bei mir wieder zur Seltenheit geworden ist. Jetzt ist es mit der guten Laune aber schon wieder vorbei. Ich habe natürlich wie immer kurz auf mein Handy geschaut und was sieht man da auf Instagram? Richtig, eine neue Anfrage für einen Beitrag. Und das auch noch von der Sportschau. Von sich aus gesehen, meinen sie es bestimmt nur gut, aber ich sehe das ganz anders. Ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden. Warum verstehen das die Medien nicht? Ich will einfach nur, dieses Turnier fertig spielen und bestmöglich beenden, aber wie soll das gehen, wenn die Medien meine Aufmerksamkeit wollen und ich mich nicht auf mein eigenes Ding konzentrieren kann. Fast will ich sagen, dass ich mir gerade kaum eine solch bekannte Schwester wünsche. Oder ich immer noch nicht davon wüsste. Ich hätte mehr unterm Radar bleiben können und wenn dann für meine sportlichen Leistungen die Medienaufmerksamkeit bekommen können. Das gehört dazu und lässt sich nicht vermeiden, wenn man jetzt schon bei Wolfsburg spielt. Aber genau das will ich als Sportlerin. Ich will wegen meiner Leistung das Medieninteresse wecken und nicht wegen irgendwelchen familiären Konstellationen. Höflich lehne ich die Anfrage ab und lege dann mein Handy weg. Vielleicht sollte ich mich einfach aus Instagram ausloggen. Dann würde ich gar nichts mehr mitbekommen.

No rain - No flowersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt