32 | Weihnachtsfeiertage

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Den restlichen Vormittag verbringe ich alleine in meinem Zimmer. Allerdings mache ich quasi nichts produktives. Eigentlich will ich lesen, aber ich kann mich absolut nicht konzentrieren. Zu viele Gedanken schwirren durch meinen Kopf. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr tut mir mein Verhalten irgendwie Leid. Ich hätte Feli nie so anmotzen dürfen. Sie kann ja eigentlich nichts dafür. Wobei doch, sie hätte auch eigenständig handeln können. Jetzt ist die Wut wieder da. Ich bin wie zweigeteilt. Zudem kann ich auch immer noch nicht sagen, wie ich das alles finden soll. Dafür ist das noch zu frisch.

Die Stimmung am Mittagstisch ist angespannt. Feli und ich reden sowieso nicht miteinander, Mom und Dad scheinen auch nicht zu wissen wie sie mit uns reden sollen und Kathi versteht das alles wahrscheinlich noch gar nicht wirklich. Falls sie überhaupt davon weiß. Jetzt wo ich so darüber nachdenke, fällt mir auf, dass Mom und Dad seit gestern Abend nicht mehr mit mir geredet haben. Das ist wohl gerade so bezeichnend für diese Stimmung am Tisch. Aber trotzdem muss ich auch feststellen, dass es oft so war. Kathi hatte immer einen Vorzug erhalten und ich musste auf so viele Sachen verzichten. Sie waren nie die perfekten Eltern für mich. Nach dem Essen kümmere ich mich wie immer um die Spülmaschine.

Danach geht es zu Oma und Opa. Wobei das ja auch nicht meine leiblichen Großeltern sind, wie ich gestern Abend erfahren durfte. Bevor wir losfahren, nimmt Mom mich noch kurz beiseite. ,,Bitte sag einfach nichts und tu so, als wäre alles wie immer. Wir müssen das jetzt erstmal selber regeln“, meint sie. Ich nicke. Macht Sinn. Wir sollten das alles Mal klären und das vor allem bevor Feli und ich wieder zurück nach Wolfsburg fahren. ,,Wir verhalten uns einfach so als wären wir normale Freundinnen, so wie es die ganze Zeit immer war“, raune ich Feli auf der Fahrt zu. ,,Okay“, flüstert sie nur zurück.
Der Nachmittag verläuft ereignislos. Wir alle tun so, als wäre nie etwas vorgefallen und sogar Feli und ich schaffen es uns einigermaßen gut zu verstehen. Trotzdem tut es weh sich so gegenüber ihr zu verhalten. Wir sind wirklich mehr als nur Freundinnen. Verdammt, wir sind Schwestern. Das spüre ich einfach. Aber jetzt, wo wir wieder nur Freundinnen sein dürfen, will ich es nicht. Ich will mit ihr umgehen, wie mit meiner Schwester. Das ist sie ja auch. Ich will, dass alles wieder normal wird zwischen uns, aber das geht nicht. Da ist jetzt etwas, was das verhindert. Normal war bis vor zwei Tagen. Normal wird es nicht mehr geben. Wir müssen ein neues normal erst noch entwickeln, aber das wird nicht einfach werden. Wir müssen erstmal wieder ein Vertrauen aufbauen und das wird nicht einfach werden. Wir haben beide eine gewisse Sache, über die wir drüber springen müssen. Das wird für uns beide nicht leicht werden. 


,,Können wir reden?“, fragt Mom, als ich am nächsten Morgen zum Frühstück komme. Ich nicke. Mom und Dad haben immer noch nicht mit mir über die Sache geredet. So langsam wird es Zeit. Heute ist bereits der zweite Weihnachtsfeiertag und für Feli und mich geht es wahrscheinlich morgen schon zurück nach Wolfsburg. Wir haben es uns offen gehalten, wann genau wir fahren, aber durch die Umstände wird es wohl morgen werden. Demnach sollten wir das alles noch klären. Sowohl Mom als auch Dad setzten sich zu mir an den Tisch. Feli scheint noch zu schlafen. Es ist tatsächlich noch gar nicht so spät. ,,Du weißt ja, aber wir wollen es dir auch nochmal sagen. Wir haben dich adoptiert. Es tut uns Leid, dass wir dir nie etwas gesagt haben auch nicht als du Feli kennengelernt hast. Schließlich wussten wir ja zum einen schon immer Bescheid und waren auch sofort eingeweiht, als du nach Wolfsburg gewechselt bist“, beginnt Mom. ,,Darf ich ganz kurz ehrlich sein und euch etwas mitteilen?“, frage ich. Mom und Dad nicken. ,,Ich möchte euch ganz kurz mit auf den Weg geben, wie ich mich in den letzten Jahren gefühlt habe. Ich hatte nie das Gefühl, dass ihr mich wie eure richtige Tochter behandelt habt. Ich habe mir darüber Gedanken, ob ich adoptiert worden bin, aber trotzdem habe ich mich immer gefragt, warum ihr das so macht. Kathi wurde immer bevorzugt und ich war eben einfach da. Ich bin froh, dass ich jetzt von allem Bescheid weiß, denn ehrlich gesagt, fühle ich mich in Wolfsburg mehr zu Hause wie hier. Das soll kein Vorwurf gegenüber euch sein. Ich will euch nur mitteilen, wie das für mich war, da ihr ja meintet, ich sollte das nicht erfahren“, erzähle ich. Mom und Dad schauen tatsächlich nicht wirklich überrascht. ,,Das tut uns Leid. Wir haben uns immer bemüht dich wie unsere richtige Tochter zu behandeln, aber als dann Kathi kam, ist es uns immer schwerer gefallen“, gesteht Dad. ,,Ihr braucht euch nicht zu entschuldigen. Es ist okay und es ist Vergangenheit. Ich habe ein neues Zuhause und das ist in Wolfsburg bei meiner richtigen Schwester. Feli und ich werden wieder zueinander finden“, erwidere ich. ,,Das verstehe ich. Als Feli das erste Mal hierher kam, haben wir sofort gemerkt, dass ihr wirklich Schwestern seid. Ich mein, wir wussten es ja, aber man sieht es euch auch wirklich an. Mal abgesehen davon, dass ihr euch ziemlich ähnlich seht“, meint Mom. ,,Das wurde uns auch wirklich oft gesagt“, sage ich lächelnd. ,,Nur habe ich es immer nicht verstanden und außerdem hat Feli immer ziemlich empfindlich darauf reagiert“, füge ich noch hinzu. Wenn ich so darüber rede, verstehe ich ihre Position immer mehr. Ich würde es auch nicht wollen mit jemandem, der einem nahe steht verglichen zu werden, ohne das derjenige etwas nicht weiß, was man selbst ihm aber gerne mitteilen würde. Ich hätte wirklich nicht so hart zu ihr sein sollen.

,,Wie geht es jetzt weiter?“, fragt Mom. ,,Das müsst, glaube ich, ihr entscheiden“, antworte ich. ,,Aber auch du sollst ein Mitspracherecht haben“, wirft Dad ein. ,,Okay, eine Adoption kann man ja nicht rückgängig machen, aber das ist auch völlig okay so. Ich bin euch dankbar für alles, auch wenn es nicht immer einfach war. Dennoch wäre es mir ganz recht, wenn es so weiter geht, wie im letzten halben Jahr. Durch den Verein lebe ich sowieso in Wolfsburg und das will ich auch. Ich will bei meiner richtigen Familie, bei Feli wohnen. Aber trotzdem will ich weiterhin Kontakt zu mir haben, denn irgendwo seid ihr ja auch meine Familie, wenn auch etwas anders“, sage ich. ,,Das sehen wir genauso. Es bleibt so wie es jetzt in den letzten Monaten war und damit können wir alle gut leben“, stimmt Mom mir zu und auch Dad nickt. ,,Wann fahrt ihr dann eigentlich zurück?“, fragt er. ,,Ich vermute Mal schon morgen, aber ich muss erstmal noch mit Feli reden“, antworte ich. ,,Mach das. Sie schläft vermutlich noch“, meint Mom.

Ich beende mein Frühstück und mache mich dann fertig. Währenddessen höre ich Feli nach unten gehen. Als ich fertig bin, mache auch ich mich auf den Weg nach unten. ,,Guten Morgen. Wann fahren wir dann eigentlich wieder zurück?“, erkundige ich mich. ,,Ich würde morgen schon fahren, wenn das okay ist. Dann können wir die Dinge, die auf uns zukommen am einfachsten regeln, vor allem wenn du bei der U-20 WM dabei bist“, antwortet sie kühl. Ich nicke. Shit, die U-20 WM gibt es ja auch noch. Ohne ein weiteres Wort gehe ich rüber ins Wohnzimmer. ,,Darf ich auf den Bolzi gehen?“, frage ich Mom. ,,Klar, mach das. Schön, dass du auch in den Ferien trainieren willst“, meint sie. Immerhin ist es zwischen uns nicht mehr komisch. Zum Glück liegt der Bolzi nicht mitten im Wohngebiet. So kann ich mich jetzt ganz in Ruhe auspowern und mir Gedanken über die ganzen Dinge machen.

No rain - No flowersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt