45 | drittes Gruppenspiel

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Ich lasse mich einfach auf mein Bett sinken. Das ist doch nicht ihr Ernst? So wie es klingt, kann sie nichts dafür, aber sie hat versprochen zu kommen und jetzt kann sie vielleicht gar nicht kommen. Wer weiß, ob sie es wirklich zum Viertelfinale kommen kann. Der Abend zieht einfach nur an mir vorbei. Ich beteilige mich kaum an den Gesprächen beim Essen und bin froh, dass wir danach einfach auf unsere Zimmer dürfen, um uns auf unser Spiel morgen vorzubereiten. So kann ich mich weiter abschotten und im Selbstmitleid versinken. Irgendwie bin ich sauer auf Feli, aber eigentlich darf ich das ja gar nicht sein. Es ist nicht ihre Schuld. Aber trotzdem tut es weh. Ich hatte so gehofft, dass ich morgen neues Selbstvertrauen bekommen würde. Es hätte so gut getan sie zu sehen, mit ihr zu reden und sie einfach in den Arm zu nehmen. Ich hätte das gebraucht und zwar genau jetzt. Die letzten zwei Spiele waren so katastrophale, aber ich hatte das kleine Fünkchen Hoffnung, dass es mit Feli auf den Rängen wieder besser werden würde. Das kann ich jetzt auch vergessen. Irgendwie fühle ich mich allein gelassen. ,,Magst du auch nochmal mit zu Paulina und Gia kommen?", fragt Jule. ,,Nein", erwidere ich. ,,Okay, alles gut. Darf ich eine Vermutung äußern?", erwidert sie. ,,Klar." ,,Feli kommt morgen nicht zum Spiel, oder?", vermutet sie. ,,Jap, woher weißt du das?", frage ich. ,,Ich habe keinen anderen Grund gefunden, um dein Verhalten seit du vom Trainingsplatz zurückgekommen ist zu erklären", meint Jule. ,,Tut mir Leid, dass man mir sowas immer anmerkt", sage ich. ,,Das muss dir nicht Leid tun. Das ist normal. Alles wird gut Lou", erwidert sie und verlässt dann das Zimmer. Ich greife nach meinem Handy und antworte Feli. Das habe ich bisher noch nicht getan, aber ich muss ihr schreiben. So fair muss ich sein.

Ich: Schade....ich hatte so gehofft dich zu sehen. Hoffentlich schaffst du es dann zum Viertelfinale


Feli: Tut echt mega Leid. Nach aktuellem Stand kann ich dir sagen, dass es fürs Viertelfinale ganz gut aussieht. Hoffe, bei dir ist alles okay


Ich: Geht so


Feli: Ich weiß, du kannst die Frage nicht mehr hören, aber was ist los?


Ich: Alles ist los. Ich kann einfach nicht mehr. Ich spiele so einen Sch*** zusammen und das macht mich so fertig. Mit Jule wird es nur so langsam besser und jetzt kann ich noch nicht Mal dich morgen sehen


Feli: Du weißt, dass ich morgen so gerne bei deinem Spiel sein würde. Aber du schaffst das Lou. Du bist stark genug, um das durchzustehen


Ich: Danke dir, erstmal darf ich morgen aber nicht wieder verkacken


Feli: Das wirst du morgen nicht, glaub mir. Think positive

Das versuche ich am nächsten Morgen umzusetzen. Ich versuche mir einzureden, dass ich gut genug bin, dass es zurecht hier bin und dass, das Spiel gut wird. Während sich Jule fertig mache, meditiere ich sogar. Ich versuche mir ein positives Mindset zu gestalten, in der Hoffnung, dass mir die mentalen Vorbereitungen helfen nachher meine Leistung so wie immer abrufen zu können. Ich versuche mich normal zu verhalten, meine Sorgen zu verdrängen und mit den Mädels mitzulachen. Es scheitert am Essen. Beim Frühstück war noch alles normal. Bei der Aktivierung auch. Jetzt liege ich mit meinem Handy auf dem Bett und scrolle etwas durch die Sportschau App, um in der Sportwelt auch Mal wieder auf den neuesten Stand zu kommen. Doch dann poppt eine Schlagzeile auf, die ich besser nicht hätte sehen sollen. Durch ein Eigentor nur Unentschieden steht da. Dazu ein Bild von unserem Spiel. Jetzt kommt alles wieder hoch. Alle Zweifel, alle Sorgen, alle Ängste. Mein positives Mindset ist dahin.

Da wir um 15 Uhr spielen, essen wir ganz normal Mittag. Aber ich bin wie gelähmt. Ich bin froh, dass ich wenigstens eine kleine Portion essen kann. Ich muss etwas essen, aber mir fehlt jeder Appetit. Zu groß ist die Angst des erneuten Scheiterns. Ich darf es nur nicht zeigen. Ich will nicht, dass man mir das ansieht. Ich will nicht schon wieder Aufmerksamkeit damit erregen, dass es mir schlecht geht.


Ich stehe wieder in der Startelf, wieder als linke Außenverteidigerin und wieder mit Jule vor mir. Ich bin wieder auf der defensiven Position. In der Kabine kurz bevor es losgeht, kann ich kaum stillsitzen. Ich bin viel zu nervös.

Dann geht es los und sobald der Ball rollt, ist meine Nervosität einigermaßen weg. Immerhin das funktioniert noch. Aber von Anfang an merke ich, dass jeder Schritt Kraft kostet. Österreich agiert, wie wir es erwartet haben, sehr defensiv. Wir können unser Spiel aufziehen, in dem ich dann doch eine tragende Rolle habe. Zusammen mit Jule soll ich eben für die Torgefahr über die linke Seite sorgen. Wir können wirklich wieder besser zusammen spielen und das merkt man auch irgendwie in der ganzen Mannschaft. Es dauert nicht lange bis das erste Tor fällt. Nach Jules Vorlage trifft Paulina zur Führung. Und schnell können wir nachlegen. Mit einem schönen Schlenzer trifft Jule dann selbst. Doch mein Spiel ist das nicht. Ich fühle mich müde, meine Beine sind schwer und alles ist viel anstrengender wie sonst. Es kostet viel Kraft die ganze Laufwege zu gehen und immer wieder auf der linken Seite auf und ab zu rennen. Wir können noch ein drittes Tor nachlegen und diesmal kann ich die Vorlage beisteuern, aber das ändert nichts daran, dass ich mich schon jetzt nach nicht Mal einer Halbzeit ziemlich ausgelaugt fühle. Endlich ist Pause. In der Kabine bin ich einfach nur froh mich hinsetzen zu können. Ariane wirft mir einen besorgten Blick zu, aber ich reagiere nicht darauf. Das muss jetzt in der zweiten Halbzeit besser werden. Es ist eindeutig, dass wir die bessere Mannschaft sind und da noch ein paar Tore in der Luft liegen. Es wäre schon schön da auch noch ein Tor zu erzielen. Aber reicht meine Kraft überhaupt dafür? Wir gehen zurück auf den Rasen und noch darf ich weiter spielen. Lange wird das nicht mehr gehen. Das kann nicht funktionieren. Ich kann ja jetzt noch kaum zum Sprint antreten. Dennoch versuche ich es und kann so ziemlich zu Beginn der zweiten Hälfte wieder eine Flanke in den Strafraum schicken. Ich weiß kaum, wie ich die Kraft dafür aufbringen kann. Gia kann allerdings für unseren nächsten Treffer sorgen. Ich will zu ihr rüber rennen und mit ihr jubeln, aber mein Körper verweigert den Dienst. So trabe ich ganz langsam in Richtung Gia und ernte dafür einige besorgte Blicke.

Wenig später werde ich völlig entkräftet ausgewechselt. Ich bin komplett fertig und sitze nun ausgelaugt auf der Bank. Was war das heute nur? Warum fühle ich mich so kraftlos? Auch Jule spielt nicht durch, aber nur, um sie für die nächsten Spiele zu schonen. ,,Wenn wir im Hotel sind, müssen wir reden", meint sie, als sie sich neben mich setzt. Ich nicke nur. Mir fehlt die Kraft, um dagegen zu protestieren.


No rain - No flowersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt