25 | Reaktionen

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,,Lou!“, höre erneut jemanden rufen. ,,Bleib stehen!“ Doch ich reagiere immer noch nicht. Ich fühle mich wie betäubt. Tränen strömen über meine Wangen und ich will einfach nur weg. Ich weiß nicht wohin ich will, aber weg. Weg von hier. Das war’s dann wohl. Ich hatte es mir so sehr gewünscht sofort wieder bei der Natio dabei zu sein, aber jetzt? Mittlerweile bin ich draußen und renne in Richtung Fahrradständer.

,,Louisa!“ Ich bleibe stehen und drehe mich um. Meinen ganzen Namen aus ihrem Mund zu hören, lässt mich erstarren. Sie hat mich bisher fast noch nie mit Louisa angesprochen. Feli ist mir hinterher gerannt und kommt auf mich zu. Als sie mich erreicht, zieht sie mich sofort in eine feste Umarmung. Jetzt fließen meine Tränen nur noch mehr, falls das überhaupt möglich ist. ,,Alles ist gut“, flüstert sie. ,,Nein, nichts ist gut“, schluchze ich. Feli erwidert nichts. Stattdessen beginnt sie über meinen Rücken zu streicheln. Langsam beruhige ich mich etwas. ,,Warte kurz“, sagt Feli irgendwann und löst sich wieder von mir. Sie holt ihr Handy aus ihrer Jackentasche und tippt irgendwas darauf herum. ,,Komm mit“, meint sie dann und packt ihr Handy wieder weg.

Wir laufen zum Allersee und schlagen den Weg um den See rum ein. Was soll das? Was hat Feli vor? Irgendwann zieht Feli mich weg vom Weg ins Gebüsch. Nachdem wir uns durch die Äste gekämpft haben, stehen wir auf einem kleinen Sandfleck direkt am Seeufer. ,,Hier sind wir ungestört“, sagt Feli und setzt sich. Ich tue es ihr gleich.

,,Was ist passiert? Oder anders gefragt, was stand in der E-Mail?“, fragt sie. ,,Ich glaube, ich muss da gar nicht viel zu sagen. Meine Reaktion hat ja schon alles gezeigt“, antworte ich. ,,Ja stimmt. Oh Lou, das tut mir so Leid für dich! Du hättest die Nominierung so verdient gehabt“, meint Feli. ,,Danke dir, aber das nützt jetzt auch nichts mehr. Ich wär so gerne dabei gewesen“, sage ich und merke, wie sich wieder Tränen in meinen Augen sammeln. Feli legt sofort einen Arm um meine Schulter. ,,Aber komm, du bist bestimmt trotzdem bei der U-20 WM dabei. Ariane darf doch ein Top-Talent wie dich nicht zu Hause lassen. Darf ich die Mail Mal lesen?“, erkundigt sie sich. Ich nicht und hole mein Handy aus meiner Tasche. ,,Das klingt doch gar nicht so schlimm“, meint sie schließlich. ,,Doch!“, rufe ich. ,,Wenn sie nochmal andere Möglichkeiten probieren will, dann heißt dass, das meine Karten gerade ziemlich schlecht stehen.“ ,,Das würde ich so nicht sehen. Ich glaube, sie will dich schonen, damit du dann wirklich fit bist für die WM“, sagt Feli. ,,Aber dann hätte sie das auch so formuliert“, werfe ich ein. ,,Nein, das glaube ich nicht. Ich kenne Ariane mittlerweile seit einiger Zeit. Sie gibt Botschaften meistens etwas undurchsichtig durch“, erklärt sie. ,,Wirklich?“, frage ich. ,,Ich bin mir nicht sicher, ob sie das immer so macht, aber ich kenne einen sehr ähnlichen Fall, der sich vorletztes Jahr bei uns in Wolfsburg ereignet hat. Ich denke, sie macht das immer noch so“, meint Feli. ,,Ich hoffe es. Aber trotzdem, meine Hoffnung ist weg. Ich werde garantiert nicht mit fahren. Ich bin bestimmt auch noch viel zu jung. Ich könnte ja sogar noch U-17 spielen“, sage ich. ,,Ja, du bist noch jung, aber das heißt vor allem, dass du noch deine ganze Karriere vor dir hast. Du spielst U-20, weil sie dich brauchen. Würden sie noch andere gute Spielerinnen haben, die älter sind wie du, dann würdest du U-17 oder so spielen. Aber das ist so. Stay positive. Das wird schon“, erwidert. ,,Danke dir, aber ich glaube trotzdem nicht mehr daran“, sage ich.

Als wir wieder in der WG ankommen, essen wir schnell zu Mittag und danach geht es für mich nochmals in die Schule. Vier Stunden Mittagsschule stehen noch an. Immerhin haben wir relativ entspannte Fächer. In Englisch schauen wir aktuell einen Film, der fast vier Stunden geht und wir sind noch nicht Mal bei der Hälfte, und danach habe ich noch Reli. Das ist eigentlich immer ziemlich chillig. ,,Lou, das tut mir so Leid für dich“, meint Chantal, als ich bei unserem Raum ankomme. Ich hatte ihr einen Screenshot von der Mail geschickt, damit ich es nicht nochmal erzählen muss. Ich zucke bloß mit den Schultern. ,,Ich weiß noch nicht ganz wie ich das alles einordnen soll“, sage ich. ,,Das wird schon“, erwidert Chantal. ,,Komischerweise sagen mir das alle“, stelle ich trocken fest. ,,Sorry, aber ich weiß einfach nicht, was ich sonst sagen soll“, meint Chantal. ,,Alles gut. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, sage ich. In dem Moment kommt Frau Mayer, unsere Englisch Lehrerin. Obwohl der Film eigentlich echt spannend ist, kann ich mich heute nicht wirklich darauf konzentrieren. Ständig wandern meine Gedanken zu der Mail und zu Jule. Jetzt ist sie mir wieder voraus. Sie ist bestimmt bei der Natio dabei und kann sich zeigen. Ich nicht.

Zu Hause schaue ich erst wieder auf mein Handy. Normal habe ich es immer in der Schule dabei, aber für die Mittagsschule, habe ich es zu Hause gelassen, damit ich nicht noch mehr an diese schreckliche Mail erinnert werden. Sjoeke und Stina haben mir geschrieben und auch Mädels von Wolfsburg, die wissen wollten, was passiert ist. Es kommt wohl nicht jeden Tag vor, dass jemand heulend aus der Kabine rennt. Aber eine Nachricht lässt mich innehalten. Jule hat mir geschrieben.


Jule: Hey Lou, Du wunderst dich sicher, warum ich dir schreibe. Auch wenn wir nie gut miteinander klar gekommen sind, wollte ich dir nur kurz sagen, dass ich es schade finde, dass du aufgrund deiner Verletzung nicht bei den nächsten Länderspielen dabei sein kannst.

Ich: Hey. Danke dir. Irgendwie freut es mich gerade das von dir zu hören. Allerdings liegt es nicht an meiner Verletzung, dass ich nicht dabei bin. Ich bin bereits zurück im Mannschaftstraining und Ariane weiß auch darüber Bescheid.

Jule: Echt? Naja, erinnerst du dich an das eine Gespräch, das wir Mal hatten. Du hattest auf meiner Position gespielt und ich hatte dir danach gesagt, dass es auch ganz schnell wieder andersrum sein kann. Dieser Moment ist jetzt wohl gekommen.

Da ist sie wieder, die fiese Jule. Bei der ersten Nachricht dachte ich noch, sie meint das ernst und will sich mich etwas annähern, aber lange hat das ja nicht angehalten. Sie hat sich eine liebe Nachricht ausgedacht, um danach nochmal richtig Salz in meine Wunde zu streuen.

Ich: Auch schon gemerkt. Aber wer weiß, der Kader für die WM ist noch nicht fertig. Da kann sich alles nochmal drehen und wenden.

Keine Ahnung, woher dieses Selbstbewusstsein kommt, aber wenn ich jetzt nichts erwidere, dann hat Jule gewonnen. Und das weiß sie dann auch. Diesen Triumph kann ich ihr nicht auch noch gönnen. Dafür ist unser Konkurrenzkampf mittlerweile zu groß geworden.

No rain - No flowersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt