Kapitel 9 - Eine Warnung vielleicht

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I


„Es ist schon Viertel nach Acht", erinnerte Mama und wies auf die Wanduhr. „Solltet ihr nicht schon mit dem Unterricht beginnen?"


Sydney war so schnell von Ash zurückgewichen, dass sie fast vom Sofa gefallen wäre. Sie rang nach Luft und versuchte, ihre Gesichtsfarbe unter Kontrolle zu bringen – auch wenn sie nicht einmal wusste, ob sie gerade knallrot oder totenblass war.

„Ich hab nichts getan, ich schwör!", japste Sydney. „Ich hab nur Ash geholfen, ihren Zopf zu flechten."

Mama runzelte die Stirn. „Ja, das sehe ich. Das war aber nicht meine Frage."

„Was?"

Unterricht, Schatz. Ist Professor Carlson schon da?"

Es dauerte mehrere Atemzüge, bis Sydney sich überhaupt daran erinnerte, wer das war. Sie warf einen hastigen Seitenblick auf Ash, die jetzt starr am anderen Ende des Sofas saß und mit weit aufgerissenen Augen die Tapete fixierte. Dann blickte sie wieder zu Mama.

„Ähm, nein", sagte sie dann. „Ich hab ein wenig die Zeit vergessen. Er ist noch nicht da."

„Vielleicht verspätet er sich heute. Ich rufe ihn mal an." Mama holte ihr Telefon hervor, wischte darauf herum und hielt es sich dann ans Ohr.

Zehn Sekunden wirklich unbehaglicher Stille.

„Er hebt nicht ab", meinte sie dann und blickte ihr Handy vorwurfsvoll an. „Das ist noch nie passiert."

„Vielleicht ist der Empfang gerade schlecht."

„Nein, wir haben volles Netz, daran liegt's nicht." Mama steckte ihr Handy wieder weg, ging dann zum Wohnzimmerfenster und linste misstrauisch hinaus. „Vielleicht hat sein Auto eine Panne oder so. Ich muss jedenfalls arbeiten. Wenn er in zwanzig Minuten immer noch nicht da ist, sagst du mir Bescheid?"

„J-ja klar."


Der Moment war kaputt. Sydney blieb wie paralysiert am Sofa sitzen und wagte nicht, ein zweites Mal in Ashs Richtung zu sehen, selbst nachdem Mama wieder in ihr Büro gegangen war.

Oh Gott, ich hätte sie fast geküsst.

Dass Ash keinerlei Anstalten gezeigt hatte, sich dagegen zu wehren oder auszuweichen, machte die Sache kaum leichter verdaulich. Im Gegenteil. Erst jetzt fiel Sydney auf, wie sehr ihr Herz hämmerte und dass sie seit einer halben Minute nicht mehr ausgeatmet hatte.

Sie holte das mit einem langen Seufzen nach und ließ die Schultern hängen. Besser, so zu tun, als wäre nichts gewesen. „Ach ja, Unterricht", sagte sie und rutschte unbehaglich herum. „Ich sollte vielleicht meine Sachen von oben holen."

„Oh ja, sicher, ähm, dann sollte ich wohl gehen."

„Nein, du kannst ruhig ..."

„Ich soll beim Unterricht ja nicht stören, hat Luka gesagt."

Sie drucksten beide herum, aber dann erhob Sydney sich und murmelte eine Entschuldigung, bevor sie das Wohnzimmer verließ und die Treppe nach oben in ihr Zimmer hastete.


Ashs Sachen legen immer noch neben ihrem Bett und Sydney rollte sie zusammen, bevor sie endlich ihre Schulsachen hervorkramte.

Was hatte sie sich eigentlich eingebildet? Dass sie jetzt eine Sommerromanze anfangen konnte? Mit einem Mädchen, das eine Woche hier war, um sich zu verstecken, während sie selbst schon Angst davor hatte, ihre Ärmel zu weit nach oben zu krempeln? Das war doch lächerlich. Absurd sogar. Eigentlich war es ein Geschenk des Himmels, dass Mama sie so plötzlich unterbrochen hatte. Sydney sollte erleichtert sein.

Sydney, Ash & MonsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt