Kapitel 17 - Stabiler als ich dachte

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I


In diesem Augenblick handelte Sydney nicht einmal mehr bewusst. Sie riss völlig automatisch den Arm mit der Pistole hoch, zog den Abzug durch und hörte jeden Knall durch ihren gesamten Körper hallen wie einen Presslufthammer.

Sie schrie, sah rote Blutwolken hochstäuben und auf sie hinabregnen, doch Jareds Reaktion darauf, von sieben weiteren Kugeln durchsiebt zu werden, war etwa diejenige, die Sydney hatte, wenn sie sich den Zeh am Tischbein schlug: Kurzes Zusammenkneifen der Augen, Zähneknirschen und ein gepresstes „Ugh" aus dem Mundwinkel. Er blieb genau dort, wo er war. Er wich nicht zurück, er ließ nicht los, er hob nur den Kopf ein wenig an und schüttelte ihn einmal kurz.

Dann kam aus der Waffe in Sydneys Hand nur noch ein müdes Klick.

„Ups", machte Jared und tat erschrocken. „Was war denn das? Keine Kugeln mehr? Was machen wir denn jetzt?"

Sydneys Ohren pfiffen. Ihr Rücken schmerzte. Ihre Arme waren voller Blut, aber sie wusste nicht, ob es ihr eigenes war oder ob es Jared gehörte. Und nach all der Panik von zuvor, den Schmerzen, den Emotionen, hatte ihr Körper wahrscheinlich keine Energie mehr für irgendwelche Anfälle. Sie fühlte eine seltsame Ruhe über sich hereinbrechen, eine Art distanzierte Resignation. Sie hatte es probiert. Was wollte die Welt denn mehr von jemandem wie ihr?

„Spar dir die blöden Kommentare", hörte sie sich hohl durch das Pfeifen seufzen. „Tu's einfach, du Arschloch."

„Mit Vergnü..."

Plötzlich war das Gewicht von ihrem Körper verschwunden. Ebenso wie Jared. Es knackte und platschte laut, gefolgt von ein paar angsterfüllten Schreien.

„Sydney!", schrie jemand laut und schrill. „Syd! Sydney!"

Sydney blieb einfach liegen und starrte in das nasse Blätterdach über sich hinauf, dankbar für jeden Wassertropfen, der von dort auf ihr Gesicht fiel. Spielte überhaupt noch etwas eine Rolle?

„Sydneeey!"

Jetzt war es näher. Irgendetwas fiel schwer neben ihr auf den Boden und jemand packte sie an den Schultern – und das riss sie nun doch wieder zurück in die Realität. Sydney schnappte nach Luft und setzte dazu an, wild zu schreien und um sich zu schlagen, gerade als sie erkannte, wer sich da neben ihr in den Dreck geworfen hatte und aus ihrem schrillen Schrei wurde ein weinerliches Seufzen.

Ash!

Sie sah entsetzlich aus. Ihre rechte Körperhälfte war bedeckt von Blutkrusten und schwarz verbrannten Stoffresten. Haare hatte sie auf der rechten Seite auch keine mehr und das einzige, was noch unberührt aus der Kraterlandschaft ihres Gesichts leuchtete, waren ihre grünen Augen. Aber trotzdem war sie gerade das Schönste, was Sydney sich vorstellen konnte und sie heulte laut und erleichtert auf, als Ash ihr um den Hals fiel und an sich drückte.

„Oh Gott, ich dachte schon", krächzte Ash in ihr Ohr. „Ich dachte schon ich wäre zu spät gekommen. Ich hab ihn nur gesehen ... und dann ... und dann hab ich dich gesehen, und dann plötzlich nicht mehr und dann hab ich die Schüsse gehört und ich hab sofort ..."

„Ist okay", sagte Sydney ganz automatisch und vergrub ihr Gesicht in Ashs Genick – zumindest auf der Seite, die nicht aus Blutkrusten und Brandspuren bestand. „Es geht mir gut ... au."

Sie roch verbrannt. Und nach Blut. Aber irgendwo darunter war noch die schwache Note ihres Shampoos von heute früh erkennbar. Noch wenige Stunden zuvor hätte Sydney sich das nie getraut, aber jetzt konnte sie nicht anders. Sie wickelte ihre Arme um das Mädchen und zog es noch fester an sich, sog Ashs Geruch in sich auf und tat so, als wäre nie etwas passiert. Sie war zuhause. Keine Monster in der Nähe, niemand war gestorben.

Sydney, Ash & MonsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt