2. Dezember

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Mit der linken Hand fahre ich über meine Augen und atme tief durch die Nase ein und geräuschvoll durch den Mund wieder aus. Ratlos sehe ich auf die nächste Frage des Testbogens und lehne mich dann auf meine geballte Faust, um unauffällig zu Sabrina zu sehen und ihr meinen „Was-zur-Hölle"-Blick zuwerfen zu können.

„Ich habe absolut keine Ahnung", formen meine Lippen lautlos und auch sie sieht nicht gerade so aus, als wüsste sie eine der zwölf Antworten. Dabei hat sie im Gegensatz zu mir gelernt.

Um mir ein Lachen zu verkneifen, wende ich mich wieder von ihr ab und lasse meinen Blick durch den großen Raum schweifen, was mir mein Stammplatz in der hinteren linken Ecke sehr einfach macht. Da fühlt man sich nämlich nicht so beobachtet und kann in Ruhe essen.

Die meisten schreiben eifrig auf ihre Blätter, auch wenn ich nicht ganz genau weiß, was genau sie da schreiben, denn meines Erachtens nach, habe ich das ganze Thema noch nie behandelt. Was vielleicht auch daran liegen könnte, dass ich im Unterricht mich mehr mit meinen Mitschülern unterhalte, als dem Lehrer vorne zuzuhören.

So leise wie möglich öffne ich meine Brotdose und nehme die andere Hälfte meines Bananennutellabrotes heraus. Vielleicht regt das ja mein Unterbewusstsein an.

Gerade als ich genüsslich in mein Brot beißen will, begegnet mein Blick dem von Rylie, der Kaugummi kauend, grinsend und anscheinend genauso ratlos wie ich durch die Gegend starrt. Und natürlich, als könnte es keinen besseren Moment geben, entscheidet sich die untere Hälfte meines Brotes, nicht mehr zusammenzuhalten und fällt mit einem lauten Schmatzer in einer gelbbraunen Masse genau auf meinen halb beschriebenen Testbogen.

„Nein. Scheiße", sage ich traurig und presse meine Lippen zusammen, was sofort mit einem lauten „Shhhhhhh" von der Aufsichtsperson dokumentiert wird.

Ein Prusten kommt aus Rileys Richtung, was ich einfach gar nicht beachten werde, während ich mit einem Taschentuch versuche mein Testblatt von der Masse zu befreien. Das kann ich dann gleich wahrscheinlich auch gleich wegschmeißen, denn bis auf drei Fragen habe ich sowieso nichts beantwortet.

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Mit einem lauten Türenknallen verlässt Riley den Raum und kommt, komischerweise, direkt auf mich zu. Ich ziehe meine dicke Winterjacke enger um mich herum und stelle meinen Rucksack mit Absicht auf den Platz neben mir.

„Ernsthaft?", sagt Riley halb belustigt, halb ungläubig. Dann schüttelt er seine blonden Locken und fährt sich mit der rechten Hand über den Kopf, bevor er einfach meinen Rucksack nimmt und mir knapp vor die Füße wirft.

Ich verdrehe meine Augen. Was ich irgendwie sehr oft in der Nähe von ihm, Ryker und auch allen anderen Menschen mache, die sich für viel zu toll halten und einfach nur mental anstrengend sind.

Ich könnte jetzt eine Szene machen, aber ihn einfach zu ignorieren ist wahrscheinlich einfacher, entscheide ich und drehe meinen Kopf zur Seite, um aus dem Fenster zu starren und die dicken Schneeflocken dabei zu beobachten, wie sie langsam und friedlich auf den Boden segeln und auf der Straße zu einer dreckigen Matsche gefahren werden.

Vielleicht sollte ich heute ein paar Kekse backen, damit ich sie morgen mit zur Schule bringen könnte. Oder vielleicht sollte ich langsam mit dem Geschenke einkaufen beginnen, bevor ich wieder am 23 Dezember dort stehe und absolut keine Ahnung habe, was ich meinen ganzen Verwandten geben soll.

Ein Räuspern reißt mich aus meinen Gedanken und ich wende mich wieder in Richtung Rileys. „Was?", raunze ich und ziehe eine Augenbraue hoch, „hast du zu wenig Aufmerksamkeit?"

Grinsend hebt er beide Hände, als würde er sich ergeben. „Vielleicht will ich auch einfach nur Smalltalk halten?"

„Natürlich willst du das. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich mich nicht mit dir unterhalten möchte", stelle ich klar.

Silent Sparkle - Adventskalender 2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt