Mit den Skiern in der Hand und den schweren, noch geöffneten, Skischuhen an den Füßen stakse ich hinter der ganzen Gruppe her. Das normale Laufen ist eigentlich in Ordnung, aber die Treppen hochzukommen stellt sich als etwas schwieriger heraus, als gedacht.
Der kalte Wind weht mir um die Nase und sticht mir trotz der extra Schicht Creme, die ich aufgetragen habe, im Gesicht.
„Willst du da wirklich mitfahren", fragt meine Mutter mich erneut, als ob ich die Leihgebühr für die Skiausrüstung und Schuhe noch nicht bezahlt hätte. „Du musst da nicht mitfahren. Bleib doch einfach hier bei mir."
„Mooom", stöhne ich auf und versuche umständlich über den viel zu hoch gerutschten Schal zu sehen, um ihr einen bösen Blick zuzuwerfen. „Mach dir einfach einen schönen Tag hier im Tal und dann sehen wir uns heute Nachmittag wieder."
„Ist ja schon gut." Tief atmet sie ein und steckt die Hände in die Jackentaschen ihres dunkelgrünen Wintermantels, der knapp über ihren Knien endet.
Mit einer Hand greife ich nach dem kalten Geländer der vereisten Treppe und verfluche mich selbst dafür, dass ich meine Handschuhe noch nicht angezogen habe.
„Geht das heute auch noch weiter oder müssen wir dich tragen Al?", ertönt Hovans Stimme hinter mir und ich drehe mich grinsend zu ihm um.
Genau wie ich trägt er die Skier und Skistöcke in der linken Hand und hält sich mit der behandschuhten rechten am Geländer fest.
„Schieben wäre besser", sage ich lachend und mache einen weiteren Schritt auf den rutschigen Stufen nach oben.
Oben angekommen bleibe ich stehen, um auf Hovan zu warten, der in seinen fast neongrünen Skisachen, geschickter als ich die Treppe hochspringt und dann direkt neben mir stehen bleibt. „Dürfte ich ihre Skier tragen, Mademoiselle?", fragt er und hält erwartungsvoll seine riesige Hand vor mich.
„Oh Monsieur", sage ich mit einem schlechten französischen Akzent und drücke ihm sofort meine Skier in die Hand, „da könnte ich doch niemals nein sagen."
Obwohl es erst sieben Uhr am Morgen ist, und wir extra früh aufgestanden waren, um zum Skilift zu gelangen, ist die Schlange vor dem noch nicht eingeschalteten Skilift ziemlich lang. Mitten in der Schlange sehe ich den Rest unserer Truppe stehen und von der Last meiner Ski befreit laufe ich zu ihnen.
Gerade als ich mich zu ihnen stellen will, werde ich unsanft von der Seite angerempelt. Auf der Suche nach dem Rempler drehe ich meinen Kopf zur Seite und blicke in das rote, böse dreinschauende Gesicht eines älteren Mannes, der trotz meiner nicht vorhandenen Größe, selbst nicht viel größer ist. Sein Bierbauch steckt in einem hellgelben Skieinteiler und der Ziegenbart, der sein Gesicht schmückt wippt bei den Worten die er spricht, auf und ab. „Hey. Auch du musst dich hinten anstellen. Wenn wir das alle so machen würden, dann wäre das hier ja ein heilloses Chaos."
„Verzeihung?!", sage ich und hebe meine Augenbraue. Skifahrer. Als ob wir nicht alle am Ende in den Lift landen würden.
Mein Vater wirft mir einen seiner Blicke zu, die mich dazu auffordern einfach den Mund zu halten.
Laut aufseufzend nicke ich und gehe dann an das Ende der Schlange, wo auch Hovan sich schon Ryker, Riley und Bayley angeschlossen haben, die sich anscheinend mit den Bräuchen und Sitten der Skigemeinschaft auskennen.
Auch wenn ich das letzte Mal vor ein paar Jahren Ski gefahren bin, bin ich mir ziemlich sicher, dass ich überhaupt keine Probleme haben werde wieder reinzukommen. Beim letzten und auch ersten Mal, dass ich Ski gefahren war, wurde mir nämlich gesagt, dass ich ein Naturtalent wäre, weshalb ich das Angebot meiner Mutter, den Tag mit ihr im Tal zu verbringen, auch abgelehnt hatte.
„Na, auch endlich hier?", werde ich von Ryker begrüßt, der, wie alle anderen auch, mit einer Schneehose und geöffneten Skischuhen da steht. Seine halbgeöffnete knallrote Jacke schmeichelt seinen grünen Augen und entblößt sein Hockeyjersey, welches er darunter trägt.
Ohne ihm eine Antwort zu geben, deute ich auf sein Oberteil, während ich mir mit der anderen Hand die dicken Handschuhe aus der Jackentasche ziehe und dann über die kalten Finger stülpe. „Trägst du eigentlich auch etwas anderes, oder ist das an dir festgewachsen?"
Mit einem Blick auf sein Jersey presst er seine Lippen zusammen, bevor er tief durch die Nase einatmet, wobei sich seine Nasenlöcher aufblähen. „Nee weißte. ich geh auch nie duschen oder so."
Bayley lacht kurz auf, beißt sich dann aber auf die Wangen, als er ihr einen bösen Blick zu wirft. „Ist ja nicht so, als könnte man das riechen oder so."
Laut lache ich los, woraufhin sich einige Leute aus der Schlange zu uns umdrehen und dann tuschelnd die Köpfe zusammenstecken. Manchmal hasse ich es ein Teil einer Gesellschaft zu sein, die so offensichtlich gerne über andere lästert und alles klein macht, dass nicht in die sogenannte Norm passt.
„Oooooooh", ruft Riley und klopft Ryker so feste auf die Schulter, dass er einen Schritt nach vorne machen muss, um ihn abzufangen, „jetzt haben sie es dir echt gegeben."
Just in dem Moment, als Ryker offensichtlich nach einer gut konternden Antwort sucht, hupt die Sirene des Lifts laut los und endlich setzen sich die Gondeln in Bewegung. Mit einmal Mal geht alles ziemlich schnell und obwohl wir von der Masse nach vorne gedrückt und dann ein wenig gequetscht werden, sitze ich schon kurz darauf in der Gondel.
Gerade stellt Hovan noch meine Skier in den dafür vorgesehenen Kasten an der Seite der Gondel, als die Türen sich auch schon fast schließen und er seine breite Statur nur mit Mühe und Not hindurchschieben kann.
Verwunderlicherweise hat sich niemand anderes noch in unser Abteil begeben, weshalb wir sechs nun eine Gondel ganz für uns alleine hatten.
Riley schmeißt seine Skistöcke hinter sich auf den Sitz, bevor er sich vorlehnt und damit beginnt die schnallen seiner silbernen Skischuhe zu schließen. Eigentlich würde das Silber ziemlich albern aussehen, doch die Tatsache, das er auch eine dicke silberne Winterjacke trägt, macht es irgendwie besser.
Kurz überlege ich auch meine Skischuhe zu schließen, entscheide mich dann aber dagegen. Wir haben noch fast zwanzig Minuten bis oben, da könnte ich mir meine Zeit auch mit etwas anderem vertreiben. Mit einem Stupser ziehe ich die Aufmerksamkeit meiner Schwester auf mich.
Rykers Blick verfolgt mich aufmerksam und eigentlich würde ich jetzt etwas dummes sagen, aber da ich heute noch nicht gefrühstückt hatte und quasi aus dem Bett ins Auto und dann zum Skilift geschleppt worden war, würde ich mich jetzt lieber meinem Käsetoast widmen, dass mir mein Vater heute Morgen noch in die Hand gedrückt hatte.
Mit einem lauten Knistern ziehe ich das Butterbrotpapier ab und nehme dann einen großen Bissen. Mein Blick ignoriert Ryker bewusst und ich versuche den Faden des Gesprächs von Hovan, Riley und Bud aufzunehmen, was ich aber nicht so ganz nachvollziehen kann. Von der Krümmung eines Ice Hockeyschlägers hatte ich noch nie so richtige Ahnung.
„Weißt du", unterbricht Ryker meinen Gedankenfluss und kneift seine Augen ein kleines wenig zusammen, „wenn du rechtzeitig aufgestanden wärst, dann hättest du mit uns richtig frühstücken können und hättest das nicht jetzt machen müssen."
„Ich bin mir selbst im Klaren darüber, Mister Brodyn", sage ich noch mit halb vollen Mund, „aber es stört mich nicht sonderlich, einfach hier zu essen."
„Und wenn es einen der Anwesenden stört, Poulin?"
Meine Mundwinkel heben sich kaum merklich. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass alle Anwesenden hier manchmal auch essen. Und wenn es dich stört, dann solltest du vielleicht einfach wegsehen."
Sein Blick gleitet an mir herunter, nimmt meine schwarze Skikleidung und den Bauernzopf genau in den Blick und bleibt an dem Käsetoast in meinen Händen fast schon ein wenig sehnsüchtig hängen.
„Lass Alory in Ruhe", gibt Bud seinem kleinen Bruder mit einem Ellenbogenschubser zu verstehen, „sie ist es nicht gewohnt so lange aufzubleiben und Pläne zu schmieden."
Obwohl er indirekt voll beleidigend war, lächele ich Bud an und nicke. „Ganz genau. Und wo wir gerade davon reden. Wann fängt das heimliche Ice Hockey Boot Camp eigentlich an ?"
Noch 13 Tage bis Weihnachten.
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Silent Sparkle - Adventskalender 2021
RomanceEndlich ist Dezember. Die entspannteste Zeit des Jahres, findet Alory - jedenfalls hätte es so sein können, wenn ihr Vater nicht seinen alten Schulfreund wieder getroffen hätte, und sie jetzt die restlichen Adventswochen mit diesem im familieneigene...