„Ich glaube sie schläft", vernehme ich eine tiefe Stimme aus der Ferne und drücke meinen Kopf noch etwas tiefer in das weiche Kissen unter ihm.
Durch meine halb geschlossenen Augen blicke ich in die Dunkelheit um mich herum und gähne, weil mir tatsächlich warm und überhaupt nicht kalt ist, so wie sonst.
Ein warmer Finger piekst mir in die Wange, was mich vollends aus dem Tiefschlaf aufwachen lässt.
„Alory?", kommt es von Kaylie, die mit ihrem Kopf direkt über mir auftaucht, „warum liegst du hier unten?"
Wieder piekst mich der Finger in die Wange und ich schlage die Hand weg, die ich am liebsten direkt abhacken und aus dem Fenster werfen würde. Meine müden Augen erfassen Ryker, der mit einem Grinsen seine Hand wegzieht und blicken dann weiter zu Bayley, Bud, Hovan und Riley, die in einem Halbkreis um mich herumstehen. Bayley natürlich mit ihrem Handy in der Hand, weswegen ich jetzt schon weiß, dass in der nächsten Zeit irgendwelche unlustigen Bilder von mir in unserer Familygruppe auftauchen werden.
„Was?", kommt es viel zu rau und verschlafen aus mir heraus, obwohl ich es eigentlich ziemlich böse sagen will.
Kaylie, welcher noch immer über mir hängt, drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Wir wollten doch in die Stadt fahren, schon vergessen? Und du bist vor einer Stunde rein gegangen, weil du noch zehn Minuten schlafen wolltest, weil du, warum auch immer, in der letzten Nacht nicht genug Schlaf bekommen hast.
Kurz lecke ich mir über die trockenen Lippen und stütze mich dann auf die Ellenbogen auf, während sich meine Mundwinkel nach oben ziehen. Nach den gestrigen Pokerpartien haben Bayley und ich es tatsächlich geschafft so gegen vier Uhr morgens wieder in unser Zimmer zu schleichen, in welchem Kaylie anscheinend schon seit Stunden friedlich vor sich hinschnarchte.
Die vor mir versammelte Mannschaft steht schon in Winterschuhen und Winterjacken vor mir, weshalb ich schweren Herzens die sahneweiche Decke von mir ziehe und von der Couch, auf der ich anscheinend unabsichtlich eingeschlafen bin, aufstehe.
„Wo sind die anderen?", frage ich verwirrt, da meine Mutter oder mein Vater mich mit Sicherheit sofort geweckt hätten, wenn sie gesehen hätten, dass ich mitten am Tag auf der Couch schlafe. Außerdem hatte ich von dem sonstigen Trubel, der sonst vor einer Abfahrt in unserer Familie herrschte, absolut gar nicht mitbekommen. Anscheinend war ich ziemlich ausgenockt gewesen.
Bayley steckt ihr Handy in die kurze beigefarbene Winterjacke und drückt mir meinen Mantel in die noch leicht taube Hand. „Wir haben sie vorgeschickt, weil wir sowieso mit zwei Autos fahren müssen. Und du kennst Mom und Helen. Die beiden wollen mit Sicherheit sowieso lieber in irgendeinem Café sitzen und sich unterhalten, als mit deiner kleinen Schwester durch die Geschäfte zu ziehen und irgendein Weihnachtsoutfit zu kaufen, von dem keiner weiß, was sie damit eigentlich weiß.
Ein Seitenblick auf Kaylie genügt, dass sie mit den Schultern zuckt und ihr „Ich-bin-das-jüngste-Kind-der-Familie"-Lächeln aufsetzt, dem meine Eltern wirklich kein einziges Mal widerstehen können. „Ich habe nichts für Weihnachten eingepackt. Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass du so lange herumnörgelst, bis wir wieder nach Hause fahren."
„Oha", falle ich in das ausbrechende Auflachen aller mit ein und lege mir eine Hand auf die Herzgegend, „daran wäre ich mit Sicherheit nicht alleine Schuld gewesen."
Kurzer Blick zu Ryker, der sich ein sofort mit dem Finger auf sich zeigt und lautlos ein „Ich?" mit seinen Lippen formt.
Nickend drehe ich mich noch einmal zu der Couch um und setze die heruntergefallene Weihnachtsmütze auf, die ich schon den ganzen Tag trage, bevor ich meinen Wintermantel schwungvoll über die Schultern nach hinten schwinge und über den weißen Skiunterwäschenpullover ziehe, der mich tatsächlich wärmer hält, als all die gestrickten Kleidungsstücke die ich eingepackt habe.
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„Übrigens ist die Rückfahrkamera kaputt", sagt Hovan mit einem schelmischen Grinsen, was ich absolut nicht lustig finde. Natürlich habe ich gelernt, wie man mit den Außenspiegeln rückwärts einparkt, aber doch finde ich es angenehmer, wenn man einen Schaltwagen mit Rückfahrkamera hat. Vor allem, wenn es so ein riesiges Modell ist. Tief atme ich ein und aus.
Warum genau musste ich nochmal genau vorschlagen zu fahren? Hätte ich vielleicht besser gelassen. In Gedanken höre ich jetzt schon die höhnischen Kommentare von den Brodynjungs, die es absolut witzig finden und dann wieder darauf verweisen, dass keine einzige weibliche Person richtig Auto fahren kann.
Leicht schüttele ich meinen Kopf und visiere den Rückspiegel an, den ich mit der rechten Hand noch einmal gerade rücke, sodass ich auch alles im Blick habe.
„Soll ich dich einweisen?", sagt Bayley von der Beifahrerseite aus und macht Anstalten die Türe zu öffnen, als ich sie mit einem bösen Blick zurechtweise. Wenn sie mich jetzt einweisen würde, würde ich sie zwischen die Autos stellen und als menschlichen Airbag zu benutzen.
„Du musst das Auto erst in einen 45° Winkel bringen und dann langsam zurü-", versucht Bud sein Glück mir etwas Unterstützung geben zu wollen.
Feste beiße ich auf meine Wangeninnenseite, bevor ich einfach Gas gebe und unter lautem, wirklich lautem, Aufschreien und Protest, mit Vollspeed rückwärts in die seitliche Parklücke rase, welche gefühlt die einzige im ganzen Umkreis von 50 Kilometern ist.
Ich hasse seitliches Einparken.
Plötzlich ist es sehr still im Auto und unbeeindruckt von der unerwarteten Stille schnalle ich mich ab, öffne die Fahrertür und hüpfe hinaus.
Zwei Sekunden später steigt Hovan vom Platz hinter mir aus, sieht mich mit zusammengepressten Lippen an und schüttelt den Kopf, was mir ein Lachen entlockt. „Mach das nie wieder. Ich hatte fast einen Herzinfarkt."
Ich kreise den Schlüsselring mit dem Autoschlüssel um meinen Zeigefinger, bevor ich eine ausladende Bewegung in Richtung des Autos mache. „Komm schon. Das ist perfekt eingeparkt. Ich darf doch bestimmt auch wieder nach Hause fahren, oder?"
Ryker, welcher neben Hovan auftaucht, pfeift kurz durch die Zähne. „Beeindruckend. Anscheinend sind da die deutschen Gene mit dir durchgegangen."
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Der Vorhang hinter welchem ich in der Umkleide stehe, raschelt leicht, als Kaylie ihren Kopf an der Seite hereinsteckt und sich dann vollends in die Kabine schiebt. In ihren Händen sind bestimmt zwanzig verschiedene Bügel, mit Kleidungsstücken, die sie allem Anschein nach alle anprobieren will.
„Ich komme rein", sagt sie und hängt alles über die drei Teile an der Wand, die ich mir nur mitgenommen habe, um vor den Menschenmassen im Geschäft einfach in die Umkleidekabine fliehen zu können.
„Ach echt?", sage ich sarkastisch und beobachte sie dabei, wie sie ihre Jacke achtlos auf den Boden fallen lässt und ihren Pullover hinterherwirft.
„Willst du nichts anprobieren?", fragt sie und deutet auf die Hose, welche noch unangetastet über dem Bügel hängt. „Zieh die doch mal an."
Leicht murrend schäle ich mich aus meiner viel zu bequemen weiten Jeans, die tatsächlich die perfekte Länge hat und nicht einmal auf dem Boden hängt.
Der weiche Stoff der Hose fließt über meine Beine und der Reißverschluss, der an der Seite ist, schließt sich, ohne viel Aufwand.
Leicht nickend sehe ich in den Spiegel und dann zu Kaylie, die mittlerweile in einem blauen Pullover steckt, der absolut wundervoll an ihr aussieht.
Ich drehe mich vor dem Spiegel und werfe einen Blick zu Kaylie, die mich grinsend ansieht. „Was sagst du?"
„Alory, wooooow", schreit Kaylie viel zu laut auf und holt dann voll aus, bevor sie mir auf den Po haut.
Noch 4 Tage bis Weihnachten.
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Silent Sparkle - Adventskalender 2021
RomanceEndlich ist Dezember. Die entspannteste Zeit des Jahres, findet Alory - jedenfalls hätte es so sein können, wenn ihr Vater nicht seinen alten Schulfreund wieder getroffen hätte, und sie jetzt die restlichen Adventswochen mit diesem im familieneigene...