23. Dezember

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Mit einem Klicken drücke ich unsere Zimmertür hinter mir zu und sehe mich, unnötigerweise noch einmal im Zimmer um, um auch sicher zu gehen, dass meine Schwestern sich nicht doch hier drin verstecken. Niemand will sein Versteck teilen.

Wer auch immer heute Nachmittag nach dem Mittagessen auf die grandiose Idee gekommen war, Verstecken zu spielen, ist mir nicht mehr im Gedächtnis. Trotzdessen spielen wir schon seit geschlagenen zwei Stunden, was vielleicht auch an dem leichten Lagerkoller liegt, der heute irgendwie herrscht.

Schon die ganze Zeit sind alle Elternteile irgendwie geladen und reagieren total gereizt auf alles Mögliche, weshalb wir Kinder uns entschieden hatten, einfach gar nichts mehr von uns zu geben und bei einer guten alten Runde Verstecken, uns von ihnen abzuschotten.

„Vielleicht solltet ihr mal spazieren gehen?", hatte ich meiner Mutter vorsichtig vorgeschlagen und mit der Hand auf das Fenster gezeigt, durch welches man aufgrund des Nebels kaum einen Meter weit sehen konnte.

Mit weit aufgerissenen Augen hatte sie mich böse angestarrt und ihre Arme so vor der Brust verschränkt, dass ich mir gewünscht hatte, einfach nichts gesagt zu haben. „Ist das dein Ernst Alory? Morgen ist Weihnachtsabend, hier sind alle im Stress und du kannst nichts besseres beisteuern, als 'vielleicht solltet ihr mal spazieren gehen?'? Vielleicht solltest du einfach weniger an deinem Handy hängen und hier mal mit Helfen."

„Okay", hatte ich gesagt und meine Arme auffordernd ausgebreitet, „was soll ich machen?"

„Alory! Jetzt sei doch einfach mal still." Die Art wie sie mich anranzte und dabei durch die Nase so heftig einatmete, dass sich ihre Nasenlöcher fast komplett schlossen, ließen mich verstummen. Jetzt wäre ein perfekter Zeitpunkt, um einfach gar nichts mehr zu sagen. Mund zu lassen und weg gehen.

Kurz wollte ich Luft holen, um ihre nicht vorhandene Logik anzusprechen, als ich mich kurzerhand wieder umentschloss und einfach meine Lippen zusammenpresste und lächelte.

Nach einem Keks vom Keksblech Helens langend, hatte ich mich über den Tresen gelehnt und mir gerade einen nehmen wollen, als meine Mutter die Hände neben mir auf die Anrichte klatschte und ihren Kopf mit zusammengekniffenen Augen schief legte.

„Alory?" Ihre Stimme klang leicht drohend, und um weitere Eskalationen zu verhindern, schob ich mir einfach den Keks in den Mund und versucht weiter zu lächeln, ohne auch nur etwas zu sagen. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu.

„Es reicht. Du bist heute richtig unverschämt." Ihre Stimme klang richtig drohend und ich spürte wie ein Lachen in mir heraufstieg, dass ich nicht lange zurückhalten hätte können, wenn mein Vater nicht zufällig hinter meiner Mutter aufgetaucht, ihr eine Hand auf die Schulter gelegt, und meinte, dass Matty, Helen und er jetzt spazieren gehen würden.

Erleichtert hatte ich aufgeatmet. Irgendwas hatte der 23 Dezember an sich, dass meine Familie jedes Jahr total eskalierte. Und ich habe keine Ahnung warum.

Auf leisen Sohlen gehe ich langsam zu Kaylies Bett, welches in der hintersten Ecke des Raumes steht und will mich gerade darunter legen, als mir einfällt, dass ich dieses Versteck schon vor fünf Runden gewählt hatte. Vielleicht sollte ich mir etwas Originelleres ausdenken und mich nicht wie Rya und Isa unter einem der Betten verstecken.

Suchend fällt mein Blick aus dem Fenster, zu dem Balkon, welcher zum Zimmer Hovans und Buds gehört und technisch gesehen ja immer noch ein Teil des Hauses ist. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass dort noch niemand war.

Kurz öffne ich die Tür einen Spalt breit und horche nach Riley, welcher mit zählen dran ist und sich unten vor die Haustür gestellt hat, gegen welche er mit dem Kopf lehnt und mit seiner lauten Eishockeybrüllstimme von fünfzig herunterzählt. Für irgendwas muss es ja auch gut sein, so laut sein zu können.

Mittlerweile ist er bei 25 angekommen, weshalb ich mich kurzerhand entschließe, es zu wagen, und bis zu Hovans und Buds Zimmer zu laufschleichen.

Freundlicherweise machen mir die Holzdielen keinen einzigen Strich durch die Rechnung, weshalb ich es in locker zehn Minuten schaffe, ohne einen Mucks bei deren Tür anzukommen, die ich ohne vorher noch einmal einen Blick hinter mich zu werfen, aufreiße.

Wieder sehe ich mich um und stelle fest, dass ich erneut alleine bin. Komisch, wo sind denn alle?

Dass das Zimmer vollkommen veruntstaltet aussieht, überall Kleidungstücke auf dem Boden liegen und absolut kein bisschen Ordnung in diesem Chaos hier herrscht, lasse ich einfach vollkommen ungeachtet. Die müssen ja hier schlafen, nicht ich.

Schwungvoll ziehe ich die Glastür zum Balkon auf und werfe gerade noch einen Blick zurück ins Zimmer, bevor ich mit einem großen Satzer hinaus in die Kälte springe. Zwar trage ich nur meine Hausschuhe, die hoffentlich ein paar Minuten den Schnee abhalten können, und auch keine Jacke, aber wer gewinnen will, muss halt leiden.

Mit vollem Karacho und ohne irgendwie damit geahnt zu haben, ramme ich eine Person voll nieder und lande dann auf einem festen, aber warmen Körper einer Person, die so erschreckt aufquiekt, dass ich erst lachen und dann wieder aufstehen kann.

„Al", stöhnt Ryker auf, als er sich im Schnee aufsetzt und eine Hand auf seinen Bauch legt, wo mein Kopf voll reingefallen ist. „Was soll das denn?"

Sein Gesicht ist leicht schmerzlich verzogen, als er mich anblickt.

Lachend, aber leicht schockiert halte ich mir die Hand vor den Mund und halte ihm die andere hin, um ihm dabei zu helfen, wieder aufzustehen.

Als er sie ergreift, ziehe ich ihn mit einem festen Ruck nach oben, woraufhin er mit einem Mal ganz nah vor mir steht. Nicht nur, dass meine Hand total kribbelt, weil er sie noch nicht losgelassen hat, sondern auch die plötzliche Nähe, welche zwischen und herrscht, gibt mir das Gefühl, dass ich mich einfach nach vorne lehnen und den Kopf gegen seine Brust drücken will.

„Sorry", flüstere ich leise und heiser, während ich beobachte, wie seine Augen, eine Millisekunde auf meine Lippen sehen und dann sofort wieder zurück in meine Augen blicken.

„Erwischt", schreit Riley auf einmal so laut, dass ich ihn sogar durch die geschlossene Glastür hören kann und reißt diese dann mit so einem Ruck auf, dass Ryker und ich, als wären wir bei irgendwas auf frischer Tat ertappt worden, auseinandergehen.

„Ah ja", er zeigt zwischen uns hin und her und grinst verschmitzt, „wer von euch beiden in der nächsten Runde zählen kann, könnt ihr selbst entscheiden.


-

„Was zur Hölle macht ihr da?", stößt es schockiert aus meinem Mund und ich muss mich mit der Hand am Treppengeländer festhalten, um die letzten Treppenstufen nicht einen Tag vor Weihnachten noch herunterzufallen. Das wäre ein Disaster.

Grinsend sitzen die Ryker und Riley auf den Barhockern vor Hovan und Bud, welche jeweils mit einem Rasierer in der Hand hinter ihnen stehen und ihnen die Haare von den Köpfen schneiden. Sie selbst haben schon kahlgeschorene Köpfe.

Jubelnd sitzen Rya und Isa mit jeweils einer Tasse Kakao auf der Couch und sehen ihnen dabei zu.

Bayley taucht hinter mir auf und schlägt sich lachend die Hand vor den Mund, genau wie Kaylie, die noch von dem Geschenkpapier, mit welchem wir gerade Moms Geschenk eingepackt hatten, ein paar Stückchen an ihrem Pulli hängen hat.

„Wir schneiden uns die Haare? Machen wir immer vor einem super wichtigen Spiel. Oder habt ihr das morgen schon vergessen?"

„Wie könnte ich das?", flüstere ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Es sieht schrecklich aus, kein Zweifel.

Mit einem Mal geht die Haustür auf und meine Mutter steckt den Kopf herein. Als sie sieht, was hier drinnen abgeht, schreit sie kurz auf und murmelt dann tatsächlich nur „Ich glaube wir kommen später wieder", bevor sie die Türe wieder zuzieht und wir alle in lautes Gelächter ausbrechen.



Noch 1 Tag bis Weihnachten.

Silent Sparkle - Adventskalender 2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt