21. Dezember

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Leise dudelt die Weihnachtsmusik im Hintergrund. Vor mir liegen ungefähr dreißig Weihnachtskarten, die darauf warten beschrieben zu werden, obwohl sie vor Weihnachten sowieso nicht mehr an ihrem Ziel ankommen werden. Vor allem nicht in Deutschland.

Ich stemme mich leicht auf den Unterarmen auf und drücke meine Füße in den Boden, um dann halb über dem Tisch hängend nach dem goldenen Stift zu tasten, der direkt vor Riley liegt. Seit gefühlt fünf Minuten zieht er ihn immer weiter von mir weg, sodass ich langsam mit dem Gedanken spiele einfach Silber zu nehmen, oder komplett über den Tisch zu springen, um ihm den Stift zu entreißen.

Wenn ich Silber nehmen würde, würde das aber absolut nicht cool mit der Karte in meiner Vorstellung aussehen würde.

„Rileeeey", stöhne ich genervt auf und greife nach dem silbernen Stift. Wenn ich ihm an der richtigen Stelle treffe, so wie David Goliath, dann kann ich ihn vielleicht ausknocken und dann einfach den Stift nehmen.

Mit dem mir möglichen Schwung, den ich nehmen kann, werfe ich den silbernen Stift in seine Richtung und hätte auch getroffen, wenn nicht wie aus dem Nichts Rykers Hand direkt vor Rileys Gesicht aufgetaucht wäre, und den Stift, ohne mit der Wimper zu zucken, aufhalten würde.

„Gib ihr doch endlich den Stift Mann", fährt Ryker ihn mit einem Seitenhieb seines Ellenbogens an, wirft mir dann einen super kurzen Blick aus seinen grünen Augen zu und wendet sich dann wieder seiner Karte zu.

Riley zieht mit einem Grinsen seine Unterlippe ein und sieht mit einem vollkommen unangebrachten Augenbrauenwackeln zwischen Ryker und mir hin und her.

Meine Augen verdrehen sich fast wie von selbst so weit, dass ich schon ein unangenehmes Ziehen im Auge feststelle und ich halte meine Handfläche weiter nach oben gedreht in seine Richtung.

„Stift? Bitte?"

Wortlos, aber noch immer mit dem komischen Grinsen auf seinem Babyface legt er den kühlen Stift in meine Hand, die ich sofort darum schließe. Vorsichtig, um nicht die ganzen Karten wieder herunterzuziehen, richte ich mich wieder auf und lasse mich auf die Sitzfläche sinken.

Bayley wirft mir einen grinsenden Blick zu, den ich, trotz unserer Verbundenheit als Schwestern, absolut nicht deuten kann. Da sie auch keine Anstalten macht, irgendetwas dazu zu sagen, zucke ich mit den Schultern und male mit dem goldenen Stift ein ziemlich perfektes, goldenes „Merry Christmas" unter das Gruppenbild, dass meine Mutter gestern noch extra ausgedruckt hat.

Tatsächlich konnte sie ein Bild finden, auf dem wir alle lächelnd in die Kamera gesehen hatten, und dass, obwohl wir fast durchgängig gestritten hatten.

„Glaubt ihr das ist Photoshop?", frage ich in die Runde und halte das Bild hoch, sodass alle es betrachten können.

„Zeig mal", kommt es von Ryker, der sich, so wie ich vorhin, quer über den Tisch lehnt, um mir das Bild abzunehmen. Leicht kneift er die Augen zusammen, als er es näher betrachtet und prustet dann los. „Zu einhundert Prozent ist das Photoshop."

Riley und Hovan sehen jeweils über die Schulter Rykers und betrachten die Stelle, auf welche Ryker zeigt.

„Oh Gott", lacht Hovan los und zeigt das Bild dann Bud, der nach zwei Sekunden suchen auch in Gelächter ausbricht, „Ryker hat drei Arme."

Bud pfeift durch die Zähne und reicht das Bild dann weiter an Bayley, die sich leicht in meine Richtung lehnt, damit ich es auch sehen kann. Er wirft einen Blick zu Ryker und dann zu mir und bevor ich mich fragen kann, was jetzt schon wieder ist, kichert er kurz. „Sein zweiter Arm ist ein wenig weit unten, findet ihr nicht?"

Halb schockiert, halb belustigt reiße ich meinen Mund auf und strecke mein Gesicht ein wenig näher an die Stelle, wo Ryker und ich während des Bildes standen.

Ryker sieht auf dem Bild aus wie ein Superathlet, der routinemäßig sein Lächeln in die Kamera hält und obwohl er größer als ich ist, sieht man es auf dem Bild nicht so krass. Was man stattdessen sehr gut erkennen kann, ist, dass er den ersten Arm etwas weiter unten liegen hat, als benötigt, aber sein zweiter Arm, dann wieder weiter oben ist.

„Oh Mom", flüstere ich schlage mir die Hand vor die Stirn.

„Hoffen wir mal, dass niemand diesen Photoshopfehler unserer Mutter erkennt, und sie somit als perfekte Familienlügnerin darstellt. Das wäre ja nicht auszudenken."

Ich nicke und nehme das Bild wieder an mich, um es in die Weihnachtskarte, die Kaylie mit ihrer schönen Handschrift geschrieben hat, zu stecken.

Wenn ich mit meiner grausigen Handschrift auch nur einen Satz geschrieben hätte, hätten wir wieder Anrufe bekommen, weil sich manche Verwandten von meiner, von meiner bezeichneten, Sauklaue, beleidigt gefühlt hatte, weil sie es nicht lesen konnten.

Meinen Kopf zu dem Umschlag gerichtet, hebe ich kurz meinen Blick und will eigentlich schon wieder wegsehen, als Ryker seinen Blick hebt und meinen trifft.

„Was?", formt er lautlos mit dem Mund und hebt seine Augenbrauen leicht an.

„Nichts?", gebe ich genauso lautlos zurück und strecke ihm die Zunge raus, was er mit einem Lacher kommentiert.

Tief ein- und ausatmend lehne ich mich zurück und greife dann nach einem der Kekse, die wir selbst gebacken haben, und von welchen kaum noch welche übrig sind, weil gewisse Personen in diesem Haus schneller Essen, als man überhaupt blinzeln kann und dies mit einem „Ich muss meine Masse halten", kommentieren.

Der feine Zimtgeschmack des Zimtsterns zerfließt auf meiner Zunge und schreit förmlich nach einer Tasse Kakao, die ich jetzt unbedingt machen sollte.

Mit einem Quietschen schiebe ich meinen Stuhl zurück und werfe einen Blick in die Runde. „Noch jemand Kakao mit Marshmallows?", frage ich und gehe dann, unter lautem „Ja"-Geschreie, in Richtung der Küche.



Noch 3 Tage bis Weihnachten.

Silent Sparkle - Adventskalender 2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt