Der User 'Pragoma' hat ein geniales Buch veröffentlicht: Das Wattpad Café. Das ist ein Ort, wo kleine Autorinnen und Autoren ihren Raum finden, sich neben den grossen zu behaupten. Und aus den vielen Kleinen entsteht etwas ganz Grosses. Der Raum mit den vielen kreativen Schreiberinnen und Schreibern steckt voller Überraschungen. Ich finde die Idee aristokratisch. Ein charmantes Café an einem romantischen Platz in einer idyllischen Stadt. Im Sommer stehen einzelne kleine Tischchen draussen, man sitzt, man schwatzt, man sieht sich, lernt sich kennen. Im Winter überwiegt die Geborgenheit, die Gemütlichkeit. Es duftet nach Kaffee und frischem Gebäck, kuschelig weiche Sessel verschlucken die Sorgen der Menschen, welche sich reinsetzen. Zufriedenheit und Geborgenheit gepaart mit Süssigkeit.
Pragoma - Vielen Dank für diese Idee.
In ebendiesem Café habe auch ich einen kleinen Tisch ergattern können - und das ist dabei entstanden:***
Ich öffne die Türe und augenblicklich strömt mir die heimelige Wärme entgegen, welche man sonst bloss in Grossmutters Küche verspüren kann. Ich bin zuhause, obwohl ich eigentlich noch gar nie hier war. Freudig schiebe ich den dicken Wollvorhang etwas zur Seite. Meine Augen gewöhnen sich langsam an das warme, gedämpfte Licht, die Brille gibt den nebligen Beschlag wieder frei. Die Kälte bleibt seltsam am Vorhang hängen, sobald die Schleuse hinter mir liegt, umarmt mich die Wärme des Lokals.
Viele Tische sind besetzt, sympathische Gesichter spähen neugierig in meine Richtung, ich lächle verlegen und nicke hie und da mit dem Kopf. Meist jedoch schlage ich die Augen noch ab und bewege mich nur zögerlich, etwas scheu, durch die, wie mir scheint, eingeschworene Gesellschaft. Ganz hinten, in einer etwas dunkleren Ecke, habe ich ein freies Tischchen entdeckt, rund, mit zwei Stühlen. Perfekt, denke ich, und schleiche in seine Richtung.
Meine Bücher lege ich auf den leeren Stuhl, setze mich so, dass die Ecke im Rücken liegt und ich den Überblick über den Raum behalten kann. Aus irgendwelchen versteckten Lautsprechern ertönt leise Musik, in meinen Ohren klingt es wie Blues. Dem Wippen und Nicken der anderen Gäste entnehme ich, dass die Musik wohl auf geheimnisvolle Weise nicht in aller Ohren gleich klingt. Sie wippen alle in ihrem eigenen Rhythmus, was eher etwas seltsam aussieht, und dennoch sind sie alle am gleichen Ort, hier, im Wattpad Café. Vor etwa neun Monaten hat mir meine Nichte Mia dieses Lokal empfohlen. "Es ist ein Ort des Lesens und des Schreibens", hat sie gesagt. "Dort treffen sich Gleichgesinnte und tauschen ihre Texte aus, geben sich Feedbacks und lesen viel."
Ich habe mich sogleich aufgemacht, diesen Ort zu finden, da ich dachte, das würde mir sicher gefallen. Und nun bin ich hier. Ich werde nicht enttäuscht.
Ich bestelle mir eine heisse Weisse Schokolade mit Schlagsahne. Ja, ich mag es süss, das kann ich nicht leugnen. Zu schreiben habe ich eigentlich eher zufällig angefangen, wenn ich so darüber nachdenke. Klar, ich lese und schreibe schon mein ganzes Leben lang, aber so richtig mit Büchern und so, das hat mich erst vor etwas mehr als einem Jahr gepackt. Ich hatte damals im Urlaub kein Buch mehr dabei, das ich hätte lesen können, und so sagte ich mir: Schreibe einfach ein eigenes. Das hat mich unheimlich fasziniert und ich bin dabei geblieben. Heute sehe ich, dass andere Menschen an meinen Geschichten Freude haben, was mich zusätzlich motiviert, weiter zu schreiben. Wohl nicht ganz zufällig heisst mein erster Roman denn auch "Die Reise".
Ich war schon immer ein guter Beobachter und Zuhörer. Eine Szene im Strassencafé, in der Eisenbahn, einen Streit zweier Menschen, die Autobahn und ihre Befahrer, eine einsame Landschaft, alle diese Bilder, Töne und Gerüche bilden in meinem Kopf Geschichten, welche ich dann in Worte zu fassen versuche. Somit sind meine Texte oftmals Momentaufnahmen, mitten aus dem Leben gerissen. Als Romanfiguren habe ich mir Menschen ausgedacht, welche weltoffen sind, welche Empathie verspüren und welche auch mal natürliche Ecken und Kanten haben. Was mich allerdings auch faszinieren könnte, wäre etwas Übernatürliches, etwas Geheimnisvolles oder die grosse Welt der Paralleluniversen. Vielleicht tauche ich dort mal etwas mehr ein. Quantenphysik, ein ganz spannendes Gebiet.
Von meinem Vater habe ich wohl ein Flair für Sprache und Wortwahl vererbt bekommen, wofür ich ihm dankbar bin. Das Gehör für Sprachmelodien, Musik und das Auge für die Kunst habe ich eher von meiner Mutter, was mich ebenfalls sehr dankbar macht. Beides zusammen gibt mir dann das wohlige Gefühl, wenn ich mit Worten eine Situation, eine Landschaft oder einen Menschen beschreiben kann. Da ich seit meiner Jugend gerne lese und auch sehr viele Filme anschaue, hat sich in meinem Kopf eine ganz eigene, manchmal schier unermesslich scheinende Fantasie entwickeln können. Das alles hilft mir beim Schreiben.
In meinem Alter macht man sich Gedanken, was man nach dem langen Berufsleben so noch alles machen möchte. Ich will keine Berge mehr besteigen, ich muss keinen Marathon gerannt haben, ich möchte ganz einfach schreiben und andere Menschen mit meinen Zeilen glücklich machen. Oder sie zum Weinen bringen, oder ihnen einen neuen Weg aufzeigen, oder sie unterhalten, es gibt da noch viele Oder, die ich hier im Café vielleicht entdecke.
Die heisse Weisse Schokolade steht dampfend vor mir. Ich will sie nicht erkalten lassen. Langsam hebe ich den Kopf und blicke in die Runde. Hallo Freunde. Ich bin Bruno Heter. Es ist mir eine grosse Ehre, hier mit euch sitzen zu dürfen und die wohlige Wärme der Gemeinsamkeit zu spüren. Prost, auf euer Wohl.
***
Meine Geschichte war nur kurz Gast im genannten Werk. Ich wurde postwendend aus dem Café geworfen, als ich 2021 mit meinem Buch einen Watty gewonnen habe und kurz darauf ins damalige WP-Star-Programm aufgenommen wurde (das es heute nicht mehr gibt). Die Schokolade durfte ich vorher noch austrinken.
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Einerseits ... Fortsetzung
RandomWeiter gehts mit den Texten auf einer Seite. Beobachten und Schreiben machen solchen Spass - da muss ich einfach dran bleiben.