Erleggönig - Die Entstehung

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Es war einmal ein kleines Dorf mit einer Kirche auf einem Hügel, einem aktiven Gewerbeverein, vielen netten Menschen und einer grossen Schule. Das Dorf lag friedlich eingebettet zwischen einem Fluss und der Fortschritt schreienden Autobahn. Die Menschen in diesem Dorf liebten ihre Traditionen. Im Sommer gab es das winterliche Skifest, im November den Herbstmarkt und irgendwo dazwischen das Grümpelturnier der Fussballer.

Auch die grosse Schule hatte ihre Traditionen, die aus Abschlussfesten, Konzerten der Musikschule und einer Ausstellung im Fachbereich Werken bestanden. Anlässlich einer solchen Ausstellung entstand der Text "Erleggönig". Begeben wir uns auf eine Zeitreise zu jenem schöpferischen Moment.

Lehrerinnen und Lehrer, heute müsste man sie korrekterweise Lehrpersonen nennen, sind ein sonderbares Völklein. Nicht dass sie immer alles besser wissen, nein, ihre stoische Ruhe und ihre pünktliche Verspätung zu jedem Termin täuschen Unzuverlässigkeit vor. Das Gegenteil ist der Fall. Kurz vor der Eröffnung der Ausstellung im Fachbereich Werken, mit den Abteilungen Werken, Textiles Werken und Bildnerisches Gestalten, ist der grosse Gemeindesaal bereist mit den schönsten und wichtigsten Ausstellungsstücken vollgepackt. Die Lehrpersonen haben die Gemälde ihrer Schülerinnen und Schüler aufgehängt. Der Werklehrer hat noch stundenlang nachgebessert, bis alles nach seinem Gusto perfekt dargestellt war.

Die grosse, gefüllte Halle ist menschenleer, es ist schon bald Mitternacht. Einzig auf der Bühne brennt noch Licht und es herrscht ein seltsam emsiges Treiben. Zwei Fachlehrerinnen für Textiles Werken und ein gewöhnlicher Lehrer, der ihnen als Handlanger dient, wuseln hin und her. Fast könnte man denken, man beobachte hier die Wichtel, welche den Weihnachtsbaum schmücken, bevor ihn die Kinder entdecken, aber anstelle von Kugeln und Lametta befestigen die drei Freunde Stoffdrachen, Girlanden und Blumen an die Ausstellungsgitter. Sie dekorieren die Bühne zu einem Textilen Wunderland, wo die Besucher die ganze Bandbreite des kreativen Schulfaches erfahren, erfühlen können.

Auch wenn die Müdigkeit zunimmt, arbeiten die zwei Frauen und ihr Gehilfe präzise, jedes Detail muss stimmen. Dazwischen wird geplaudert, gesungen und je später der Abend voranschreitet, auch gedichtet. Sie versuchen, den vollständigen Zauberlehrling zu rezitieren, lachen bei jedem Fehler und verändern den Text. So um Mitternacht herum haben die drei emsigen Bienchen schliesslich Hunger. Sie bestellen Pizza beim ortsansässigen Lieferdienst. So entsteht zwischen zwei Stücken Pizza, inmitten vieler Stofftierchen, völlig übermüdet der Text "Erleggönig". Der Lehrer gibt alles, schmückt sich mit einer Krone und geht erhaben über die Bühne. Die drei lachen und scherzen und die Zeit schreitet voran. Bald wird es tagen.

Ja, die Ausstellung wurde ein grosser Erfolg. Niemand wusste von den nächtlichen Ergüssen literarischer Kreativität. Die Drachen hingen an ihren Gittern, die Blumen strahlten mit dem Publikum um die Wette. Die beiden Lehrerinnen gaben kompetent Auskunft zu jeder Frage, welche ihnen gestellt wurde. Von unten aus dem Saal schielte der Lehrer ab und zu auf die Bühne und lächelte dabei kaum sichtbar. Was hätte wohl Goethe zur letzten Nacht gesagt?

Ich denke, es sind genau diese Momente, welche spontane Kreativität zulassen und damit echte Gefühle zu Musik, zu Gemälden oder zu Texten werden lassen. In solchen Momenten hat Mozart Musik geschrieben, haben zahlreiche Musiker der Rock und Pop Musik ihre Garage-Aufnahmen gemacht oder Jazzmusiker gejammt, was das Zeug hält. Es ist wie eine Nacht mit guten Freunden. Die Zeit bleibt einfach stehen. Die Gedanken sprudeln, die Kreativität ist grenzenlos. Ich wünsche mir Politiker, die in solchen Momenten ihre Wirtschaftspläne, ihre politischen Programme entwickeln.



Anmerkung: Der Text "Erleggönig" ist in der Sammlung "Einseitige Texte" zu finden.

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