Kapitel Sechs

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Ich landete auf einem der langen, dünnen Zweige und faltete die Flügel eng am Körper zusammen. Ich putzte meine Federn und betrachtete dann den Boden unter mir.

Fast hätte ich den sich langsam bewegenden Flecken nicht gesehen, doch der Savannenboden war etwas rötlicher und dunkler als die Wüsten-Hornviper, die sich dem Baum, auf dem ich saß, näherte. Wie hatte die mich so schnell entdeckt?

Ich hielt inne und starrte die Viper an, die zu mir hinaufschaute.

Ich hörte ein hämisches Lachen in meinem Kopf.

Hast du Angst, du dämliches Federvieh?, ertönte Ashantis Stimme.

Ich ärgerte mich über mich selbst. Ashanti schaffte es ständig, mich zu erschrecken, nicht nur in ihrer Zweitgestalt. Dabei sollte ich mittlerweile eigentlich wissen, dass es hier in Südafrika keine Wüsten-Hornvipern gab, wie Ashanti eine war.

Ach halt doch die Klappe. Kannst du mich nicht mal in Ruhe lassen?, schickte ich ihr in den Kopf.

Heulst du jetzt rum, weil ich ein paar Mal fies zu dir war? Ashanti klang erfreut darüber, dass ich mich erschreckt hatte. So eine hirnamputierte Idiotin.

Ein paar Mal?, gab ich zurück. Noch mehr untertreiben kann man ja nicht. Du weißt schon, dass Lamia und Hidaya gerade nicht da sind, oder? Du brauchst also nicht so rumzuprahlen. ist eh keiner hier, den das beeindruckt.

Ich versuche nicht, irgendwen zu beeindrucken, gab Ashanti genervt zurück.

Die Schlange funkelte mich bösartig an und ich spürte ihren Zorn aufwallen. Ashanti wurde schnell wütend, obwohl sie das mit Körpersprache nicht vermittelte und meistens ganz gechillt blieb und so wirkte, als wäre sie ein sehr geduldiger Mensch. Ihre Gedankensprache konnte sie allerdings nicht so einfach abschalten.

Wären wir  nicht auf dem Schulgelände, hätte sie mich wahrscheinlich schon längst attackiert. Also schätzte ich mich einfach glücklich, dass es an unserer Schule Regeln gab.

Ashanti sandte mir noch eine Welle gedanklichen Hasses zu, bevor sie umkehrte und sich davonschlängelte. Okay, ja, ich war bei einigen Personen in meiner Klasse nicht sonderlich beliebt. Dabei hatte ich Ashanti und ihren beiden "besten Freundinnen" Lamia und Hidaya nie etwas getan. Gut, wir hatten nicht viel Kontakt und manchmal war ich etwas unfreundlich zu ihnen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich bei einer Lernexpedition mit Hidaya und Ashanti mal was verpatzt hatte. 

Ich blieb noch etwas auf dem Baum sitzen und flog schließlich zur Black Rock High. Die Sonne würde erst in ein paar Stunden untergehen, aber ich wollte nicht mehr draußen rumlungern. Außerdem sollte ich mal schauen, was Yemaya machte und ob sie noch pennte. Das Mädchen konnte man keine fünf Minuten aus den Augen lassen.

Als ich in unserem Zimmer ankam, stand die Zimmertür sperrangelweit offen und der Raum war leer. Ich seufzte innerlich und ließ mich auf dem Bett nieder. Ich checkte ab, dass keiner mir zusah und verwandelte mich zurück. Hastig schnappte ich mir meine Klamotten und zog sie an. Dann verließ ich den Raum und schaute mich nach meiner besten Freundin um. "Yemaya?", rief ich in den leeren Flur hinein, aber niemand antwortete. Wahrscheinlich machte sie gerade wieder irgendwas dummes. Ich nahm es ihr nicht übel - Yemaya war nicht unbedingt der intelligenteste Mensch der Welt, und das meinte ich auch gar nicht böse. Sie wirkte nur oft etwas verloren und verwirrt und verstand unsere Welt nicht so ganz.

Waris hingegen war der ruhige, ordentliche Typ, der sie zusammen mit mir in Schach hielt, wenn sie wieder eine ihrer abenteuerlustigen, riskanten Ideen hatte. Und die hatte sie oft.

Ich schaute mich nach Yemaya um, konnte sie aber nicht finden und verwandelt einen meiner Arme in einen Flügel, was wohl ziemlich komisch und gruselig aussah. In Gedanken rief ich nach Yemaya, bevor ich Richtung Cafeteria ging. Es war nicht selten, dass Yemaya als Leopard in der Cafeteria nach heruntergefallenem und übrig gebliebenem Essen suchte.

Allerdings war Yemaya auch dort nicht anzutreffen. Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und legte die Stirn in Falten.

Nachdem ich auch die Pausenhalle kontrolliert hatte - und unterwegs Mr Martin erklären musste, was ich da machte - machte ich mich auf den Weg zu Waris' Zimmer. Vielleicht hatte Yemaya sich dazu entschieden, ihm einen Besuch abzustatten. Er hatte ja heute etwas niedergeschlagen gewirkt nach seiner Auseinandersetzung mit Youma. Ob er sich mittlerweile mit ihr darüber unterhalten hatte?

Als ich in den Jungenflügel abbog (theoretisch durften wir da gar nicht hin, aber das kontrollierte eh keiner außer Miss Khosa), sah ich, dass die Tür zu Waris' Zimmer offenstand. Ich hörte da drin Stimmen und ja, das eine war ganz sicher Yemaya. Sie klang irgendwie aufgeregt (das positive aufgeregt), aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagte. Ich näherte mich und stand schließlich im Türrahmen, von wo aus ich mich bemerkbar machte: "Waris? Yemaya?"

Unsere Leoparden-Wandlerin stand mir gegenüber neben Waris. Sie trug einen Hoodie und eine Jogginghose, die definitiv ihm gehörten. Klar, wenn sie als Leopard hierhergekommen war, hatte sie wahrscheinlich nichts zum Anziehen dabeigehabt.

"Ich dachte, du wärst in unserem Zimmer?", sagte ich zu ihr.

Yemaya schüttelte den Kopf, sie wirkte immer noch so überdreht wie sonst auch, aber Waris' Augen waren erschrocken geweitet.

Ich starrte ihn einen Moment lang prüfend an.

"Sorry, ich wollte nur noch mal zu Waris, über den Schüleraustausch reden", sagte Yemaya fröhlich. Sie sagte das so einfach, dass ich ihr ihre Lüge fast geglaubt hätte, hätte Waris nicht so die Augenbrauen zusammengezogen und sich bei ihrer Aussage, wenn auch nur minimal, angespannt.

"Ja, über den Schüleraustausch", bestätigte Waris mit einem kleinen lächeln. Misstrauisch kniff ich die Augen zusammen.

"Und, worüber genau?", fragte ich neugierig, aber das Misstrauen in meiner Stimme war deutlich rauszuhören.

Waris wirkte ziemlich nervös - man sah ihm sowas immer sofort an. Außerdem konnte er echt nicht lügen.

Yemaya hingegen wirkte wie die Ruhe in Person. Sie sah mich mit ihrem typischen blendenden Lächeln an, das tatsächlich echt wirkte. "Wir wollen unbedingt mit den Wandlern an der Clearwater High über den Kampf letztes Jahr reden. Das ist sicher interessant."

"Oh ja, die werden sich bestimmt freuen, euch eure Fragen über ihre toten Klassenkameraden zu stellen", sagte ich giftiger, als ich es eigentlich geplant hatte. Um ehrlich zu sein war ich ein bisschen sauer und verletzt, denn die beiden hatten offensichtlich ein Geheimnis, das sie vor mir verbergen wollten.

Yemayas Lippen verschmälerten sich und sie runzelte die Stirn. Ich starrte sie einen Moment lang an. Yemaya war so hübsch, wenn sie glücklich und fröhlich war, aber sie so verwirrt und verletzt zu sehen, passte gar nicht zu ihr und ließ sie irgendwie ganz anders wirken. Ich schüttelte den Gedanken ab.

"Was ist denn auf einmal los, Sissi?", fragte sie scheinbar ernsthaft verwirrt.

"Nichts", brummte ich. Wenn sie mir nicht sagen wollten, was los war, war das ihre Entscheidung, nicht meine.

Wir stehen in Flammen (Woodwalkers Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt