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Der Tisch ist gedeckt, eine Schüssel voll mit Salat, eine Karaffe mit Dressing, eine Auflaufform mit einer Quiche, es ist alles da. Tim und ich sind die Letzten, die ankommen, doch die Blicke von Mia und Freddie brennen sich so sehr in mein Fleisch ein. Das Piepen des EKGs wird schneller, sodass ich in den Einstellungen rumsuche und schließlich den Ton ausmache. Entgegen meinen Erwartungen wird mir nicht gesagt, dass ich dies nicht darf, trotzdem fühlt es sich falsch an. Wobei, die Betreuer müssten wahrscheinlich einen Alarm haben, falls diese Maschine etwas Kritisches bemerkt. Es wird so oft anschlagen, nicht weil ich Sport mache oder gar irgendwas wie ein Herzinfarkt auftritt, sondern vielmehr, dass durch meine Nervosität und emotionale Zusammenbrüche.
Der Geruch von dem Essen lässt mich wieder zu einer Art Übelkeit kommen, weshalb ich ohne irgendwas mir zu nehmen das Besteck auf meinen leeren Teller tue und ihn etwas wegschiebe. Ohne zu zögern nimmt Tim den Teller vor mir, nimmt eine kleine Menge von dem Salat, schneidet das kleinste Stück von der Quiche und gibt einen winzigen Tropfen von dem Dressing auf meinen eigengemachten Salat. Panisch schaue ich ihn an, doch er blickt nicht einmal zu mir, er stellt einfach den Teller vor mich und nimmt sich dann selbst sein Mittagessen, eine um einiges größere Portion als meine. Er fängt an zu essen, genau wie alle anderen, nur ich nicht. Zwanghaft versuche ich herauszufinden, wie viele Kalorien das sind, doch ich habe es nicht abgewogen. Es sind vielleicht 100g Salat, nicht mal ein Teelöffel Dressing, aber bei der Quiche hört es auf. Ich weiß nicht was drin ist, ich weiß nicht was genau das für eine Quiche ist, ich weiß gar nichts, außer, dass ich das nicht essen möchte.

„Wir machen das ab heute immer so. Ich gebe dir was auf den Teller und du wirst es essen. Keine Widerrede." Gibt Tim zu, er schaut jedoch immer noch nicht zu mir. Ob er wütend auf mich ist? Was habe ich falsch gemacht? Oder macht er sich nur Sorgen? Versucht er es sich als Aufgabe zu machen, dass ich zunehme und gesund werde? Ich weiß es einfach nicht, doch in seinen Augenwinkeln erkenne ich die kleinen Tropfen, die noch nicht runterfließen, aber laufen werden, wenn ich nicht esse. Ich versuche mich noch zu beruhigen, als ich meine Gabel nehme und ein grünes Blatt aufspieße und runterwürge. Ehrlicherweise möchte ich nicht wissen, was das EKG gerade anzeigt, doch durch ein lautes Piepsen, welches von Geräten von den Betreuern kommt, die es aber genauso schnell wieder ausschalten, wie es angeschlagen hat, muss es einfach angeschlagen sein, dass mein Blutdruck zu hoch ist. Nach jedem Bissen muss ich Wasser trinken, da ich ansonsten die winzigen Stücke nicht runtergeschluckt bekomme. Es ist die reinste Qual, wie ich das alles runterwürge und trotzdem fast als Letzter fertig werde mit meiner kleinen Portion. Doch ich schaffe es. Mein Teller ist zwar nicht blitzblank, aber er ist leer. So schwer, ich fühle mich so unglaublich schwer. Das Essen ist wie ein Haufen Steine in meinem Magen, er schreit nach mehr, nach mehr Steinen, nach mehr Nahrung. Schon seit Ewigkeiten, hatte ich nicht so ein massives Hungergefühl. Normalerweise bekam ich es kaum mit, dass ich hungrig bin. Klar, der Magen knurrt, mein Bauch verkrampft sich, ich kippe um, es ist aber alles nicht so schlimm, wie mein Inneres, was mir sagt, dass ich was essen soll, dass ich mich endlich von dem Gedanken lösen muss, dass Hungern die Lösung jeglicher Probleme ist. Ich muss mir den Bauch halten, damit ich das rundliche spüre, dass ich fühle wie fett ich doch bin, ich ertaste aber nichts dergleichen. Ich spüre nur, wie sich meine Hüftknochen in meine Handinnenflächen bohren und das so massive Knurren meines Magens. Ich bemerke nicht einmal, wie ich anfange zu schwitzen, sodass sich Schweißperlen auf meiner Stirn bilden.

„Stegi? Ist alles in Ordnung?" dringt gedämpft Tim zu mir durch, ich kann aber meine Blick nicht erheben.

„Ich hab so Hunger." Ist das einzige was ich aus mir rauspressen kann und schon verschwindet der Teller vor mir, nur um wenig später mit neuem Essen vor mir zu stehen. Ich kann mich nicht halten. Ich schaufle mir einen Teller nach dem anderen rein, ohne Kontrolle, ohne Perfektion, einfach nur fressen, bis ich platze. Sie alle wissen, was das ist, was ich mache, was ich habe, ich kann mich aber einfach nicht halten. Ich esse und esse und esse und Tim gibt mir immer wieder mehr. Es dauert seine Zeit, bis ich es selbst realisiere und eine volle Gabel wieder hinlege und kränklich aufschaue. Wie viel war das jetzt? Wie viele Kalorien habe ich gefressen? Zu viel. Es ist einfach viel zu viel. Sicherheitshalber prüfe ich noch einmal meinen Bauch. Er ist runder geworden, meine Knochen dominieren trotzdem. Es kann doch nicht wahr sein... Ich bin so ein Versager. Wenn ich abnehmen möchte, dann komme ich immer nur ein paar Gramm runter, wenn ich hingegen esse und mich einmal in meinem Leben entschließe noch dicker zu werden, kann ich das auch nicht. Wofür sollte ich es dann bitte probieren zu essen? Für mein Leben? Schwachsinn. Mir geht es körperlich immer noch gut, ich habe doch sowieso nichts zu verlieren. Sie sagen ich sterbe, sie sagen ich müsse essen, sie sagen so viel, dabei gehöre ich nur mir. Niemand kann darüber entscheiden wie es mir geht und was ich brauche, außer mir selbst. Ich muss auf Toilette. Ich hab zu viel gegessen und das muss wieder raus. All die Kalorien, das Fett, einfach alles. Ich muss es rauskotzen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 29, 2022 ⏰

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Good boys don't eat {Stexpert}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt