Diagnose: MagersuchtEs gibt bestimmt viele Wege mit so einer Diagnose umzugehen. Direkt mit einer Therapie anfangen, damit man die Krankheit schnell besiegt oder man frisst, egal wie sehr sich dein Geist fertig macht deswegen... Aber die einfachste Methode ist alles abzustreiten, sich der Krankheit hinzugeben und sein Leben an die Magersucht abzugeben, sodass sie es vollkommen bestimmen kann. Genauso habe ich es gemacht und das schon seit sechs Jahren.
Seit sechs Jahren steuere ich mein Leben nicht selbst.
Seit sechs Jahren ist Essen nicht mehr lecker.
Seit sechs Jahren dreht sich alles um Kalorien und ihre Verbrennung.
Seit sechs Jahren kann ich nicht mehr in Spiegel sehen, ohne dass sich mein Magen zusammenzieht.
Seit sechs Jahren hasse ich mich.
Seit sechs Jahren bin ich nur noch eine Marionette meiner Krankheit.
Und auch wenn so ein Leben für Außenstehende schrecklich sein mag, für mich ist es vollkommen normal. Jeden einzelnen Tag.
Schweratmend hieve ich mich auf die Fensterbank und beobachte die Menschen, die im Park herumirren.
Kinder und Jugendliche von den Jugendstationen, junge und alte, Männer und Frauen von den anderen Stationen.
Egal wieso diese hier sind, egal ob sie unter Depressionen leiden, andere Personen auf dem Gewissen haben, Drogen ihre einzige Rettung waren oder sie sich einfach nicht konzentrieren können, wir alle haben genau eine Sache gemeinsam: der fehlende Glanz in unseren leeren Augen.
Normalerweise hat jeder Mensch diesen Glanz der Freude, Begeisterung, Motivation, der Wut oder auch der Lebenslust. Dieser ist für viele selbstverständlich und das auch mit gutem Grund, weil man dadurch Personen durchschauen kann, doch wenn man weiß, wenn man selbst dieses Glänzen verliert, dann weiß man, dass man kaputt ist und jeder Verletzte kann jeden anderen in die Augen schauen und sehen, wie es einem wirklich geht.
Aus diesem Grund schaue ich keinen mehr in die Augen. Es tut zu sehr weh, wenn man zufällig bemerkt das jemand zersprungen ist, wie man selbst...
Das Klopfen der Tür reißt mich aus meinen Gedanken und eine Betreuerin kommt rein."Lukas? Es gibt gleich Mittagessen."
Lukas... dieser Name steht für ein unversehrtes Leben, bevor ich kaputt gegangen bin. Seitdem nenne ich mich nur noch Stegi, aber die Betreuer und Psychologen wollen mich nicht so nennen.
"Hab keinen Hunger."
Flüstere ich, doch sie sieht mich mit einem zweifelnden Blick an.
"Es wäre aber schön wenn du dich trotzdem dazu gesellst. Du weißt doch wie die Regeln sind."
Ja ich weiß es. Ich muss nichts essen, aber mich daneben setzen, sonst darf man nicht mehr raus. Es ist jedes Mal das gleiche, aber Regeln sind Regeln... leider.
"Ok... wann ist es soweit?"
"Höchstens zehn Minuten. Du kannst ja schon hingehen."
Ich nicke und sie will gerade gehen, als sie sich nochmal umdreht.
"Du weißt das heute ein neuer Zimmerpartner kommt oder?"
Auch das weiß ich. Ich hoffe es wird nicht so schlimm wie letztes Mal.
Als ich eingewiesen wurde, war mein Partner sehr nett, doch er wurde nach einem Monat schon entlassen. Er hatte starke Aggressionen, aber hat die Patienten nie verletzt. Immer als er Therapie hatte, konnte man ihn über die ganzen Gänge schreien hören, weil er immer wieder die Therapeuten verteufelt hat. Danach hat er immer geweint. Ob er geheilt war? Auf keinen Fall. Er sagte mir er wurde quasi rausgeschmissen und er wusste auch, dass er wieder in eine Klinik kommen wird.
Nach ihm kam ein Mann der ein oder zwei Jahre jünger war als ich. Er nervte mich sehr. Er hat mit seiner Krankheit rumgespielt, so als würde er es gut finden krank zu sein. Jeden Tag erzählte er mir wie schlimm es doch ist magersüchtig zu sein und wie froh er doch ist, dass er es nicht ist. Eigentlich gar kein Problem, aber er prahlte mit seinen Depressionen rum, als wäre es ein Orden der verliehen wird, an die Menschen, die viel schlimmes erlebt haben und wie schlimm es ja ihn getroffen hat.
Es nervte wenn er mir seine Narben stolz präsentierte und damit durch die Klinik lief wie ein armer Held.
Zum Glück ist er seit zwei Wochen weg und ich hoffe das ich mich mit dem nächsten einigermaßen verstehe.
Langsam stehe ich auf und trotte zum Esszimmer. Die meisten sitzen schon und ich setze mich neben Freddie, der auch schon länger hier ist.
Er schaut mich mit traurigen Augen an und ich erzwinge mir ein Lächeln.
Man muss mit ihm nicht reden damit er versteht. Er hat diesen fantastischen Sinn Menschen zu verstehen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Allein durch ihr Verhalten und Blicke weiß er was man braucht. In meinem Fall meistens Ruhe.
Sein Beenie mit einem gelben Dreieck ist ein bisschen verrückt weswegen ich auf meinen Kopf tippe. Freddie versteht sofort und richtet ihn. Ein paar seiner braunen Locken finden dabei den Weg aus der Mütze, was aber nicht weiter stört.
Nachdem alle Patienten da sind erlauben die Betreuer das wir anfangen können zu essen. Mein Blick wandert über den dunklen Holztisch und allein bei dem Anblick der Kartoffeln und dem Braten zieht sich mein Magen zusammen. Auch wenn mein Bauch knurrt, rühre ich die Schüsseln nicht an. Meine Gedanken belohnen mich dafür das ich mir nichts nehme und verkünden mir das mein Magen applaudiert und nicht nach essen schreit. Wie so oft glaube ich ihnen.
Während die meisten sich unterhalten und die Gabeln in ihren Mund schieben, bleibe ich still und beobachte ihre Blicke. Würde man jetzt ein Bild machen, würde es so aussehen wie eine kleine Wg die gerade mit Freude beisammen sitzt. Aber das sind wir nicht. Es haben sich zwar Freundschaften gebildet, wie bei mir und Freddie, aber glücklich sind wir alle nicht. Vielleicht werden wir das auch niemals sein, auch wenn wir unsere Therapie beenden.
Es ist doch immer so. Wenn man suizidgefährdet ist und man den Drang unterbinden kann, wird man entlassen. Wenn man sich selbstverletzt und man zwei Monate clean ist, wird man entlassen. Wenn man magersüchtig ist und ein bestimmtes Gewicht halten kann, wird man entlassen.
Aber nie wenn man glücklich ist.
Gedankenversunken bemerke ich nicht wie Freddie die Kartoffeln untersucht, erst als die zwei kleinsten auf meinem Teller landen und ich ihn anstarre bemerke ich wie mich die Betreuer skeptisch mustern.
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Good boys don't eat {Stexpert}
Fanfic"Du bist fett! Iss nichts! Lass die Finger vom Essen! Wehe du kotzt das alles nicht wieder aus!" "Stegi... Du musst essen. Sonst verhungerst du noch oder bekommst wieder eine Sonde..." "Sie sind unter dem angegebenen BMI." Ihr könnt nicht verstehen...