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Meine Augen sind so unglaublich schwer, dass ich sie nicht öffnen will. Schon wieder habe ich das Gefühl, dass ich über Nacht mehr als zehn Jahre gealtert bin. Das unangenehme Piepsen des Weckers bestärkt es nur, denn der alltägliche Trott erscheint mir ewig. Jeder Tag wiederholt sich fast identisch, mit all den gleichen Problemen. Frühstück, Therapie, Mittagessen, Therapie, Abendessen, Schlaf. Nur um am nächsten Morgen kaputt aufzuwachen und das gleiche durchzumachen. Wenn wenigstens ein Ereignis angenehmer wäre, wäre der Tag ertragbar, bis jetzt ist dies aber nie der Fall gewesen. Mittlerweile wünsche ich mir sogar die Tage zurück, die ich vorher hasste. Wenn ich morgens aufstand, einen Kaffee trank, komplett übermüdet zur Uni rannte und nichts verstand und mir niemand helfen konnte. Meine Freunde trennten sich von mir, obwohl das nicht stimmte. Ich trennte mich von ihnen, weil sie mich nicht unterstützten mein Ideal zu erreichen. Diese Lüge machte es aber um einiges leichter mit meiner Einsamkeit umzugehen. Wenn ich alleine auf dem Campus saß und angeekelt andere Menschen anschaute, redete ich mir ein, dass meine Freunde an allem schuld seien, dass sie mich alleine lassen und mich keine Schuld treffe. Wie gemütlich es in meinen Lebenslügen war, obwohl ich die Konsequenzen immer spürte. Wie kleine Flammen kamen sie meiner Haut immer näher, dass es am Anfang des Konstruktes angenehm warm war, bis man schwitzt, langsam das Blut anfängt zu kochen und das Feuer dir das Fleisch von den Knochen abbrannte. Sie wussten, dass es mir so ging und ich diese Qualen auf mich nahm um meinen kranken Vorstellungen zu folgen. Wer schön sein will muss leiden. Das sagt man doch so leichtsinnig, so unverhofft und doch, es ist was Wahres dran. Alle Schönen, alle Bekannten leiden um genau das zu erreichen, was sie sind. Schön sein. Wieso kann ich nicht schön sein? Wie viel muss ich leiden, dass ich schön bin? Warum nennen sie mich fett, wenn der Rest sagt, dass ich untergewichtig bin? Warum nennen sie mich hässlich, wenn jeder andere mir sagt, dass es nicht so ist? Was ist wahr? Was ist falsch? Was ist Lüge?
Zu meiner Verwunderung ist Tim schon auf und sitzt angezogen und bereit auf seinem Bett. Er weiß, dass ich wach bin und ihn beobachte. Seine Wahl auf einen weißen Hoodie war unvorteilhaft gewählt. Je mehr er sich in seine Ärmel verkroch, desto mehr erkennt man diesen kleinen roten Fleck, der immer größer wird, mit der Zeit und an unterschiedlichen Orten seiner Arme auftauchte. Natürlich konnte ich ihn gestern nicht daran hindern es zu tun, die winzige Hoffnung bestand aber.

„Guten Morgen." Flüstere ich beim Aufstehen, jedoch geben meine Beine nach und ich breche direkt wieder ein. Es reicht aus, dass Tim mich gerade noch so auffängt, dass ich nicht dumpf auf den Boden einschlage. Dabei spüre ich, dass an meinen Händen es feucht wird, was der schmerzverzerrte Blick von Tim bestätigt. Gekonnt legt er mich zurück aufs Bett, schnappt sich mein und sein Kissen, meine Decke, rollt diese ein und schiebt sie unter meine Beine. Wie wenig habe ich gegessen? Das letzte Mal, dass ich morgens zusammengebrochen bin war in den Semesterferien. Ich habe mich komplett verkrochen, ging tagelang nicht raus und aß in vielleicht fünf Tagen einen Apfel. Mehr gab meine Küche auch nicht her.

„Ist alles ok? Ich habe noch Wasser, was du trinken kannst. Oder Apfelsaft, aber ich glaube das willst du nicht." Sagt er fast schon panisch und ich muss anfangen zu schmunzeln. Wie Recht er doch damit hat. Immer mal wieder gibt er mir einen Schluck Wasser, bis ich mich wieder entkräftet hinlege. Ich weiß nicht wie lang das so ging, erst als es an der Tür klopft, strampele ich die Kissen und Decke weg und versuche mich aufzusetzen. Ein Betreuer kommt rein, nur um uns wieder zu erinnern, dass wir zu spät zum Frühstück kommen.

„Ist bei euch alles in Ordnung?" fragt er skeptisch.

„Nein, Stegi-" will Tim anfangen.

„Mir geht es gut! Ich bin nur etwas müde von den Tabletten..." Erwidere ich so schnell wie nur irgend möglich, was beide nur ratlos drein blicken lässt. Zur Bekräftigung stehe ich auf, obwohl ich spüre, wie meine Beine zittern und ich mich irgendwo abstützen muss. Das reicht tatsächlich als Bestätigung, dass der Mann wieder geht und uns beide alleine lässt. Sofort als die Tür ins Schloss fällt, muss ich mich wieder bei Tim anklammern. Er musste anfangen zu lachen.

Good boys don't eat {Stexpert}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt