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Erneut riss mich mein Wecker aus meinem nicht erholsamen Schlaf. Es war ein anderer Morgen, das merkte selbst Tim. Ich hatte den Wecker schon kurz nachdem er angeschlagen hat ausgeschaltet, stand auf und begab mich ins Badezimmer, während Tim noch grummelnd sich wehrte aufzustehen. Gerade als ich wieder aus dem Bad gehen wollte, da kam Tim rein, vollkommen verschlafen, halb am Würgen durch seine Morgenübelkeit und nicht zurechnungsfähig, doch er merkte, dass etwas mit mir nicht stimmte. Er wollte mich sogar darauf ansprechen, bevor er seinen Mund aufmachen konnte fiel die Tür schon ins Schloss und ich war wieder im Zimmer verschwunden. Den Spiegel im Bad habe ich gemieden. Dauernd hatte ich meine Augen verschlossen oder starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Ich will mich nicht ansehen, nicht heute. Allein die sanfte Spiegelung des Fensters hat mir schon den Rest gegeben. Ich will mich nicht sehen. Nie mehr.
Heute ist ein schrecklicher Tag. Allein, dass all meine Lieblingspullover dreckig sind und erst morgen gewaschen werden, deprimiert mich. Dazu sind sogar all meine Jogginghosen in der Wäsche, weshalb mir nur eine Jeans übrig bleibt anzuziehen. Schlussendlich bleibt mir nichts anderes übrig, als ein schwarzes T-shirt anzuziehen, doch mir wird zu kalt werden, ich friere ja jetzt schon. Das Einzige was mir zum drüberziehen bleibt, ist ein schwarz-rot kariertes Hemd, auch wenn es nicht ausreicht um meinen Körper zu wärmen. Als ich mir das Hemd anziehe, bemerke ich die hölzerne Kette um meinen Hals. Ich hatte sie nicht bemerkt, ich hatte sie nicht ausgezogen beim Schlafen.
Es ist mir nicht aufgefallen, es hat mich nicht belastet die Kette zu tragen. Warum? Warum auf einmal? Das kann doch nicht sein... Wie kann dieser Galgen mir nicht auffallen? Es ist aber auch egal. Heute ist der Tag viel schlimmer, als diese dämliche Kette zu tragen. Eigentlich dachte ich, dass ich mich in meine Jeans zwängen muss, doch sie sitzt ganz locker. Egal ob sie an meinen Waden, Oberschenkeln oder gar an meinem Bauch. Es müsste wenn ich mich recht erinnere sogar eine Skinnyjeans sein, also warum sitzt sie bitte so locker? Bei meinen Jogginghosen sieht man das eigentlich nicht, die kann ich beliebig festziehen und sie passen, doch hier brauche ich einen Gürtel. Ich habe noch nicht einmal einen Gürtel... zumindest nicht hier in der Klinik. Fuck, was soll ich denn jetzt machen? Tim nach einem Gürtel fragen? Der wird aber doch viel zu groß sein...
Ich lasse es jetzt einfach so, auch wenn mir meine Hose immer wieder runterrutscht. Es fühlt sich so ungewohnt und vor allem ekelhaft an eine Jeans zu tragen. Bei ihr kann ich meinen Körper nicht verstecken. Er wird damit komplett entblößt. Ich will das nicht. Ich will nicht, dass Menschen meinen Körper sehen, noch nicht jetzt, erst wenn mein Körper perfekt ist. Es ist bald soweit. Bald ist er perfekt. Nur noch ein paar Wochen hungern und ich bin soweit. Es wird so schön sein, wenn ich mein Ideal erreicht habe. Niemand wird jemals wieder an mir zweifeln.

„Brauchst du einen Gürtel?" reißt mich plötzlich Tims verschlafene raue Stimme aus den Gedanken. Er sieht schrecklich aus. So zerstört war er noch nie am Morgen.

„Deine Gürtel sind mir doch sowieso zu groß."

„Und wenn schon. Dann machen wir halt noch ein Loch rein." Ich kann mich sowieso nicht wehren, sodass ich ihn einfach in seinem Schrank rumwühlen lasse, bis mir ein Ledergürtel entgegengeworfen wird. Er sieht hochwertig aus, scheinbar sogar echtes Leder und die schnalle ist von einer bekannten Marke. Ich kann ihn nicht tragen.

„Der ist doch viel zu teuer, als dass wir da ein Loch reinbohren können."

„Probier ihn an. Der war sowieso ein bedeutungsloses Geschenk zu meinem Geburtstag." Weiterhin zögere ich, warte solange, bis sich Tim umgezogen hatte und mich nochmal anfordert ihn anzuziehen. Ich kann das nicht. Selbst wenn es nur ein Geschenk war, der materielle Wert bleibt doch bestehen. Mal wieder verstehe ich Tim nicht. Trotzdem probiere ich ihn an und gefühlt würde er zweimal um meine Hüfte passen. Der Gürtel ist riesig. Tim nimmt einen Stift und macht einen kleinen Punkt dorthin, wo das neue Loch hinmüsste. Dann ziehe ich mir ihn wieder aus und Tim kramt in meinem Schrank nach seinen Klingen. Es geht alles so schnell, als eine der silbernen Blättern in zwei teilt und sich an dem Leder zuschaffen macht. Und schon ist da ein neues Loch, gut eher ein Schnitt der einem Schlitz gleicht. Danach gibt er mir den Gürtel wieder und ich schnalle ihn mir wieder um, nur dass er diesmal passt und die viel zu lange Hälfte irgendwie in die Laschen verschwindet. Es ist unglaublich ungewohnt. Andererseits fühlt es sich irgendwie gut an, dass ich ein Teil von Tim trage. Es ist nur ein Gürtel, doch es gibt mir das Gefühl, dass er immer bei mir ist. Ein Teil von ihm ist bei mir. Es fühlt sich ein wenig so an, als würde er mich die ganze Zeit unterstützen, auch wenn er nicht da ist. So wie es früher bei meiner Kette war... egal wo ich war, sie war bei mir. Basti macht es ja genauso. Auch wenn sie nicht mehr zusammen sind und der Ärger, vielleicht sogar Hass zwischen ihnen ist, sie ist bei ihm. Die schönen Erinnerungen sind an seinem Hals und begleiten ihn durch den Tag.
Heute ist Tim bei mir. Egal was ich mache, er ist bei mir. Es ist ein wundervolles Geschenk, für diesen Tag. Mein Tagesplan ist die reinste Hölle, aber Tim ist da. Er ist einfach da.

Good boys don't eat {Stexpert}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt