Kapitel 31: Das ist dein Leben

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Roxy


Seit nun fast einer Stunde saß ich vor dem weißen Blatt Papier und hatte nichts niedergeschrieben. Nicht einen Satz. Wieso fiel es mir so schwer? Endlich konnte ich meiner Familie von guten Neuigkeiten berichten. Ich könnte ihnen von meinem ersten Semester an der Juilliard erzählen, von dem Apartment, in dem ich mit der wundervollsten Frau auf Erden wohnte. Es gab so viel Gutes in meinem Leben, aber eines fehlte und das waren sie. Meine Familie.

Das Öffnen der Wohnungstür ließ mich aufschrecken. Cath kam von der Arbeit heim.

„Hey, Süße, was machst du da?" Ich seufzte.

„Ich will einen Brief an meine Mom schreiben." Cath sah mich mit traurigen Augen an. Sie wusste genau, wie sehr ich meine Familie vermisste. Sie wusste, dass ich wieder Kontakt aufnehmen wollte. Nur den ersten Schritt zu wagen, war so unendlich schwer.

„Dir scheinen die Worte zu fehlen", merkte sie an, als sie das noch unbeschriebene Blatt Papier vor mir liegen sah.

„Ich bin schlecht in sowas." Cath umarmte mich von hinten und legte ihr Kinn auf meinem Kopf ab.

„Du solltest ihnen deine Nummer mitteilen. Gib ihnen eine Chance dich zu kontaktieren."

„Und, was mache ich, wenn sie mich nicht anrufen." Ich wusste nicht, ob ich einen Korb von meiner eigenen Familie ertragen könnte.

„Sie werden dich anrufen", versicherte Cath mit sanfter Stimme. „Sie sind deine Eltern und sie lieben dich, ganz egal, was für Fehler du gemacht hast. Glaub mir, Eltern verzeihen einem so ziemlich alles." Ich musste schmunzeln, weil ich wusste, dass sie auf unsere Beziehung und ihre Mutter anspielte. Inzwischen war es ein Jahr her, dass Cath vor meiner Wohnung in Chicago stand und uns eine zweite Chance gab. Ihre Mom hatte sich damit abgefunden, dass wir ein Paar waren. Ich glaube sogar allmählich fing sie an mich zu mögen. Mögen ist vielleicht etwas viel gesagt, aber der Fakt, dass ich ziemlich erfolgreich studierte, schien mir ihre Anerkennung einzubringen.

„Es macht mir einfach Angst", gab ich zu. Caths Umarmung wurde noch etwas fester.

„Du schaffst das schon und denk immer daran, ich werde für dich da sein. Ganz egal, was passiert." Sie küsste mich auf den Kopf und ich fühlte mich augenblicklich etwas sicherer. Cath hatte recht, es war höchste Zeit diesen Schritt zu gehen. Es war die letzte Hürde, die ich nehmen musste, um mit meiner Vergangenheit abzuschließen.


Und ich tat es. Ich schrieb meine Nummer in den Brief und seitdem erwischte ich mich unzählige Male dabei, wie ich ehrfürchtig auf mein Handy starrte. Ich rechnete ständig mit einem Anruf und drei Tage nachdem ich den Brief weggeschickt hatte, rief mich tatsächlich eine unbekannte Nummer an.

Ich wusste nicht, ob ich ausflippen oder erstarren sollte. Ganz ruhig, Roxy. Vielleicht war das auch jemand ganz anderes. Ich atmete noch einmal tief durch und nahm den Anruf entgegen.

„Thurman. Hallo?" Eine Sekunde war es still, und dann hörte ich eine Stimme, die mir nur allzu vertraut war. Die Stimme, die mir Gute-Nacht-Lieder vorgesungen hatte, als ich klein war. Die Stimme, die mich stets führte, mich beruhigte, mich ein Stück weit formte. Die Stimme meiner Mom.

„Roxy? Oh mein Gott, Roxy. Du bist es wirklich." Sie schluchzte und auch ich begann zu weinen. Nach viereinhalb Jahren sprach ich zum ersten Mal wieder mit meiner Mutter. Das Gefühlschaos in mir war überwältigend.

„Mom." Das war alles, was ich herausbekam. Und erst jetzt erkannte ich, wie sehr sie mir wirklich gefehlt hatte.

„Ich hab dich so lieb", brachte sie unter all den Tränen hervor. Es war das Schönste, was sie sagen konnte. All meine Ängste waren wie weggefegt. Sie hasste mich nicht, sie verabscheute mich nicht. Nein, sie war noch immer die liebevolle Mutter, die ich über alles liebte.

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